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Verlag: DVA München 2018, 224 Seiten, 18,- Euro, ISBN 978-3421048226
Zuletzt hat sich der Stern-Reporter Walter Wüllenweber mit Superreichen und Unterprivilegierten beschäftigt. Der Publizist verwendete dafür die Begriffe Oberschicht und Unterschicht. Beide stehen für ihn außerhalb der Mehrheitsgesellschaft, tragen zu deren wirtschaftlichem Erhalt wenig bis gar nichts bei, seien vielmehr eine echte Gefahr für Demokratie und Mittelschicht. Diesmal geht der Journalist der ewigen Schwarzmalerei auf den Grund und sucht Antworten auf die Frage: Wie bewertet man die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte? Er lässt Fakten gegen Gefühle antreten, Zuversicht gegen Verunsicherung, Selbstbewusstsein gegen Angst. „Der neue ideologische Graben verläuft zwischen froher Botschaft und Hiobsbotschaft", schreibt Walter Wüllenweber und nennt sein Buch passenderweise Frohe Botschaft:
Das Leben in Deutschland ist gefährlicher geworden, seit immer mehr angeblich kriminelle Flüchtlinge ins Land kommen. Solche Bilder in den Köpfen erzeugen das weit verbreitete Grundgefühl: Gewalt und Kriminalität nehmen zu. Populistische Parteien nutzen geschickt die diffusen Ängste vor der Zuwanderung, um öffentlichkeitswirksam geschlossene Außengrenzen gegen den Asyltourismus zu fordern und Angela Merkels Flüchtlingskurs zu attackieren. Die gefühlte Wirklichkeit wird bestimmt von Krisen, Katastrophen und Kriegen. Die Medien und das Internet liefern dazu rund um die Uhr bedrohliche Bilder von einer Welt voller Konflikte. Deshalb glauben viele mittlerweile wirklich: Der Untergang des Abendlands steht vor der Tür.
Dieser weit verbreiteten negativen Weltsicht widerspricht Walter Wüllenweber vehement. „Schluss mit der Hysterie“, sagt der renommierte Stern-Autor im Gespräch mit unserer Autorin. „Wir leben so sicher wie nie zuvor. Den ganzen Tag werden wir aber trotzdem bombardiert mit Meldungen, die uns beunruhigen müssen. Deshalb haben wir das Gefühl, das nimmt ja wahnsinnig zu. Das Gegenteil ist aber der Fall.“ Die Gewaltkriminalität ist in Deutschland teils dramatisch zurückgegangen. Die Zahl der angezeigten Straftaten war voriges Jahr so gering wie seit zehn Jahren nicht mehr. Mehr als jede zweite Straftat wurde hierzulande aufgeklärt.
Das klingt so provozierend positiv, dass man sich allein bei dem Gedanken daran irritiert fragt: Kann das wirklich sein? „Das kann nicht nur sein, es gibt wenig in unserer Gesellschaft, was so eindeutig nachgewiesen ist“, sagt der Autor. Die Kindersterblichkeit hat sich zwischen 1990 und 2016 mehr als halbiert. „In den 70er, 80er Jahren war die Kriminalität tatsächlich höher. Es gab viel, viel mehr Morde, viel mehr Vergewaltigungen, wir haben nur nicht so viel davon erfahren. Es hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten einen dramatischen Anstieg an Medien gegeben, das Medienangebot hat sich verunendlichfacht - und das was die Medien darbieten ist Alarm.“
Zum Beweis verweist Walter Wüllenweber auf die Zahlen über Kriege: „In den 70er Jahren, also nicht während des Zweiten Weltkrieges, war die Wahrscheinlichkeit für einen Menschen, bei Kriegshandlungen auf der Welt getötet zu werden, achtmal so groß wie heute. Achtmal so groß. Aber die Menschen in den 70er Jahren hatten nicht so viel Angst wie wir. Damals wurde mehr gestorben, heute wird mehr darüber berichtet.“
Akribisch beschäftigt sich Walter Wüllenweber zunächst mit den großen Erfolgen und nennt es „die Aufwärtsspirale“. Noch nie waren die Menschen seiner Meinung nach so gesund und hatten so viele Freiheiten zur persönlichen Entfaltung. Noch nie konnten so viele Bürgerinnen und Bürger weltweit demokratisch wählen, verzichteten so viele Staaten auf die Todesstrafe. Noch nie war die Lebenserwartung so hoch und der Anteil an Analphabeten so gering, schreibt der Journalist in seinem durchaus lesenswerten Buch Frohe Botschaft. Belegt wird das mit eindrücklichen Zahlen, die Wissenschaftler aus einer Vielzahl historischer Quellen gewonnen haben. Selbst wenn der Autor manche seiner Rückschlüsse stark vereinfacht: Der analytische Blick in die Vergangenheit ist ein hochwirksames Instrument der Aufklärung.
Die Menschheit hat enorme Fortschritte gemacht. Fast alle Kurven zeigen steil nach oben. Das passt so gar nicht zu dem Bedrohungsgefühl, zu der „Erfolgsblindheit“, wie Walter Wüllenweber es nennt. Es geht weniger darum, sich jede einzelne Zahl zu merken. Entscheidend ist der Gesamteindruck – und der ist erstaunlich positiv. Für den Journalisten ist entscheidend: Fast alles ist erheblich besser geworden, das bedeutet nur nicht, dass es so bleiben muss. Die Kurve, die positive Entwicklung ist nicht unumkehrbar. Für ihn haben einige Länder tatsächlich schon den Rückwärtsgang eingelegt, in England gibt es den Brexit, in Amerika gibt es Donald Trump.
Natürlich ist der massenhafte Asylbetrug, das Bamf-Versagen bei Identitätsklärungen, das Einsickern von Gefährdern und Terroristen, die Unfähigkeit des Staatsapparates, abgelehnte Asylbewerber in nennenswerter Zahl zurückzuführen, nicht zu leugnen. Daraus entsteht für Walter Wüllenweber mit die Hauptbotschaft der Populisten: Die Welt steht am Abgrund. „Diese Behauptung ist für mich die Mutter aller Fake News. Weil genau das Gegenteil richtig ist. Wenn wir erkennen, das ist der pure Unsinn, dann ist das für uns alle eine Methode, diesem Populismus zu begegnen. Aus meiner Sicht sind die frohen Botschaften ein Schutz gegen den Populismus.“
Ein wichtiger Grund, weshalb es gute Nachrichten so schwer haben: Sie sind meist komplex, ihre Hintergründe nicht immer leicht zu verstehen und sie passen in keine Schlagzeile. Frohe Botschaften haben noch einen interessanten Aspekt: Sie verhindern Spenden. Deswegen sei für professionelle Apokalyptiker das Schüren von Angst so lukrativ, schreibt der Stern-Journalist. Mit Hilfe der populistischen Parteien wurde daraus ein extrem erfolgreiches Geschäftsmodell. Selbst in Debatten mit Freunden und Kollegen spürt der Autor häufig eine Abwehrreaktion, einen Widerwillen gegen gute Nachrichten. Er nennt sie „den Pessimismusreflex“:
„Wir sind geübt darin, eine pessimistische Brille aufzuhaben. Derjenige, der warnt und richtig apokalyptische Vorstellungen hat, ist ein weiser, kluger Mensch. Derjenige, der sagt, es läuft doch ganz gut, den sehen wir als Naivling, vielleicht sogar als gekauft. Nach dem Motto: Das kann ja gar nicht sein.“ Die Vorstellung, immer wird alles schlechter, ist für Walter Wüllenweber ein fester Reflex und gehört zum Selbstverständnis eines wichtigen Teils der Gesellschaft.
Das Waldsterben wurde abgewendet, das Ozonloch schließt sich, Gewalt, Armut und Hunger wurden entscheidend zurückgedrängt. Das bedeutet längst nicht, dass alles bestens läuft. Oder wie es im Untertitel heißt: „Es steht nicht gut um die Menschheit, aber besser als jemals zuvor.“ Die Welt steht für den Journalisten vor großen Herausforderungen wie dem Klimawandel oder dem Plastikmüll. Es gibt nur einen Bereich, der für Walter Wüllenweber vom Erfolg ausgenommen ist: Gerechtigkeit. In den letzten 30 Jahren sind in Deutschland die Vermögen erheblich schneller gewachsen als die Wirtschaftsleistung.
Was sich wirklich in unserer Gesellschaft lohnt, ist nicht Leistung, sondern eigenes Vermögen, schreibt der Autor und nennt das Phänomen „explodierenden Reichtum“.
Für Walter Wüllenweber ist der Reichtum nach wie vor ungerecht auf der Welt verteilt. Seit den 90er Jahren hat es, vor allem in der westlichen Welt, eine deutliche Steigerung der Vermögen und des Reichtums gegeben. Von diesem Reichtum haben in der Regel nur die oberen fünf Prozent wirklich etwas gehabt. „Das ist eine Ungerechtigkeit, die die Menschen spüren. Diese Ungerechtigkeit trägt mit zu dem Empfinden bei, alles wird schlechter. Es vergiftet die Erfolge, die wir in anderen Bereichen haben. Wir haben das Gefühl, mir selbst geht es gar nicht schlechter, aber da gibt es welche, die werden immer reicher und reicher.“
Walter Wüllenweber ist der angeblich überraschende Ansturm der Flüchtlinge genauso ein Märchen wie Angela Merkels Grenzöffnung. Zwischen 2014 und 2017 wurden 1,5 Millionen Geflüchtete in Deutschland aufgenommen: Flüchtlinge kosten zwar viele Milliarden, dafür stabilisieren sie möglicherweise in ein paar Jahren das Rentensystem. Sie haben eine regelrechte Flüchtlingsarbeitsbranche entstehen lassen, lassen Geld im Land, kurbeln so die heimische Wirtschaft an. Für den Journalisten sind Geflüchtete eine Investition in die Zukunft, aber es sei einfacher zu schreiben: Flüchtlinge sind teuer und die Mutter aller Probleme.
Für den Autor werden wir irgendwann erkennen, die Geflüchteten sind genau im richtigen Moment gekommen. „Wir werden glücklich sein, dass sie da sind.“ Die größte Bedrohung für den Wohlstand in unseren Gesellschaften ist für den Journalisten „die Alterung der Gesellschaften“. Natürlich weiß Walter Wüllenweber, dass die Flüchtlinge „nicht exakt die Menschen sind, die das Bruttosozialprodukt dramatisch nach oben treiben“. Aber sie mildern die Gefahren der Alterung so unglaublich ab, dass der positive Effekt durch ihre Kinder und Kindeskinder groß sein wird. „In 20 Jahren werden wir uns wirklich darüber freuen und sagen: Das war historisch ein großer Erfolg für unsere Gesellschaften.“
Grünen-Chef Robert Habeck nennt „Frohe Botschaft“ „ein extrem gut geschriebenes Buch“, selten habe er sich beim Lesen so herausgefordert gefühlt. Für NDR-Info ist es „ein Buch für Menschen, die die ewige Schwarzmalerei satt sind. Es wird die Welt nicht verändern, aber es könnte eine Debatte anstoßen, die interessant wäre“. Dem schließt sich die Autorin gerne an.
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