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Die Kampagne "Rechts gegen Rechts" von EXIT-Deutschland gewann den 10. Wettbewerb Sozialkampagne
Kaum hatte Fabian Wichmann vonEXIT-Deutschland den Preis für die Kampagne „Das Trojanische T-Shirt“ entgegengenommen, entstand bereits die nächste Idee. Noch auf der Preisverleihung. „Ich habe mit jemandem von der Agentur sinniert, was man noch machen könnte. Und wir sagten, wir müssen mal an die Demos ran. Die Neonazi-Aufmärsche. Schnell kamen wir auf Spendenläufe. Normalerweise finden Spendenläufe ja neben den Demos statt, als Protestaktion. Wir hatten dann die Idee, beides mal zusammenzuführen. Also einen Spendenlauf gegen Neonazis gleichzeitig mit der Neonazi-Demonstration zu veranstalten.“ Ein Geistesblitz so einfach wie genial: Die Neonazis sollten bei ihrem Aufmarsch selbst die Spenden für Projekte gegen Rechts sammeln. Für diese Aktion gab es neben vielen weiteren Auszeichnungen auch den 1. Preis im 10. Wettbewerb Sozialkampagne der SozialBank. „Bei dieser Kampagne hat mich sehr überzeugt, mit welch einfachen Mitteln die Demonstration der Rechten unterlaufen werden konnte", erinnert sich Irmgard Nolte, Geschäftsführerin der Agentur neues handeln und Jury-Mitglied beim Wettbewerb Sozialkampagne.
Bis EXIT und die Agentur Grabarz & Partner die Idee in die Tat umgesetzt hatten, sollten noch zwei Jahre vergehen. Es musste ein passender Ort gefunden werden, Partner waren zu gewinnen. Entscheidender Faktor war eine absehbare Route der Demo, um die Strecke kurz vorher zu präparieren. Wichtig war auch, dass die Reaktion der Gegenseite kalkulierbar war. „Wir wollten so viele Gefahren wir möglich ausschließen“, erzählt Wichmann. Im oberfränkischen Wunsiedel waren die Bedingungen gegeben. Die Unterstützung vor Ort war da, der Wille der Stadt auch – die Aktion konnte starten.
Der jährliche Neonazi-Aufmarsch in Wunsiedel wurde also in einen Spendenlauf für Aussteiger aus der rechten Szene umgewandelt. Für jeden marschierten Meter der Neonazis gingen 10 Euro für Aussteigerprojekte an EXIT, gespendet von Bürgern und Kleinunternehmen aus Wunsiedel. So blieben den Neonazis nur zwei Möglichkeiten: entweder Spendengelder für EXIT sammeln oder nach Hause gehen. Und es wurde ein Erfolg.
Dass die Überraschung gelang, setzte akribische Vorbereitung und absolute Vertraulichkeit voraus. „Wir mussten alles bis zuletzt geheim halten. Es waren nur sehr wenige Leute eingeweiht, vielleicht eine Handvoll. Erst am Abend vor Ort haben wir weitere Helfer eingewiesen, die meisten haben sogar erst morgens vor der Aktion beim Aufhängen der Plakate davon erfahren“, berichtet Wichmann. Selbst die Polizei wusste nichts davon und musste schmunzeln, als sie die ersten Banner sah.
Nach dem unfreiwilligen Spendenlauf fand „Rechts gegen Rechts“ schnell Nachahmer in Deutschland und anderen Ländern. Der erste offizielle unfreiwillige Spendenlauf nach Wunsiedel fand in Bad Nenndorf statt und viele folgten, dann gab es in Schweden eine große Aktion bei einem Neonaziaufmarsch in Falun. „Wir stellen in diesen Fällen das Material – Banner, Plakate – und helfen bei strategischen Fragen, während Initiativen vor Ort die Aktionen planten und durchführten“, erklärt Wichmann. Die Spendenläufe brachten bis jetzt insgesamt knapp 50.000 Euro ein.
In den USA hat die Kampagne zwei Jahre später riesigen Einschlag gefunden. Nach den rechtsextremen Demonstrationen im August 2017 in Charlottesville gab es große Diskussionen. Ein Fundraisier aus San Francisco startete die Aktion „Adopt-a-Nazi (Not Really)“: Angelehnt an Patenschaften für Kinder in Entwicklungsländern sollten engagierte Bürger einen Neonazi „adoptieren“ und für seinen Ausstieg spenden. 160.000 US-Dollar sind darüber zusammen gekommen. Die Videos zu „Rechts gegen Rechts“ sind insgesamt drei bis vier Millionen Mal angesehen worden. „Mit der Kampagne war es möglich, die Notwendigkeit für Spenden charmant zu übermitteln“, fasst Wichmann den Grund für die enorme Aufmerksamkeit zusammen.
„Es geht hier nicht nur darum, dass man ein paar Spenden sammelt. Es geht darum, dass man die Inhalte, die Idee an die Öffentlichkeit trägt“, sagt Fabian Wichmann. Niemand steige aus der rechten Szene aus, weil er ein T-Shirt sieht, dass ihn dazu auffordert. „Es geht um die Bekanntheit des Angebots. Damit die Leute sich im entscheidenden Moment an EXIT erinnern. Wenn jemand mal nachdenkt und auf die Idee kommt auszusteigen, dann soll er wissen, an wen er sich wenden kann!“
Aber natürlich braucht es auch Geld, um den Aussteigern aus der rechten Szene beim Aufbau einer neuen Existenz zu helfen. Dazu können auch Auszeichnungen beitragen. „Das Preisgeld für den 1. Platz beim Wettbewerb Sozialkampagne (10.000 Euro, Anm. d. Red.) haben wir in die Stabilisierung der bestehenden Strukturen investiert. Und natürlich in die Kernarbeit von EXIT, um die Arbeit zu verstetigen“, berichtet Wichmann. Die Verantwortlichen bei Grabarz & Partner hätten sofort zugesagt, das Preisgeld EXIT zu überlassen. Obwohl die Agentur aus Hamburg selbst auch viel investiert hat: Zeit, Energie – alle Arbeiten wurden pro bono durchgeführt –, Risiken. Man denke nur an die Gefahr zu scheitern!
Dem Risiko steht das langjährige Vertrauen gegenüber. Mit Grabarz & Partner arbeitet EXIT seit über zehn Jahren zusammen und hat bereits viele erfolgreiche Aktionen durchgeführt. „Die Agentur ist einfach anders. Es geht ihnen nicht darum, ihre fertigen Ideen an den Mann zu bringen und sich zu profilieren. Wir setzen uns hin und überlegen gemeinsam, was wir machen können, arbeiten zusammen an der Idee“, beschreibt Wichmann die enge Kooperation. Ihre Zielgruppe kennt EXIT schließlich selbst am besten. Wenn die beiden Perspektiven von Agentur und Hilfsorganisation zusammenkommen, funktioniert es optimal.
Nach dem großen Erfolg von „Rechts gegen Rechts“ startete EXIT eine weitere kreative Kampagne: „Hass hilft!“ – die erste unfreiwillige Online-Spenden-Aktion. Für jeden rassistischen oder fremdenfeindlichen Kommentar im Internet wird ein Euro gespendet. Jeweils zur Hälfte an Flüchtlingsprojekte der „Aktion Deutschland Hilft“ und an EXIT. Das Geld dafür stellen Partnern und Unterstützer der Aktion bereit. „Die Spenden bei ‚Hass hilft!‘ sind zwar sehr kleinteilig. Aber durch die Häufigkeit und die virale Verbreitung gibt es einen nachhaltigen Effekt. Die Problematik ist dauerhaft präsent. Es ist eine sehr effektive Form der Kommunikation für die Notwendigkeit von Spenden“, so Wichmann.
Im Moment plant EXIT keine neuen aufsehenerregenden Kampagnen. Die letzten Aktionen haben so viel ausgelöst, daran arbeiten sie vorerst weiter. Und die Arbeit wird nicht weniger: „Es gibt viele, die sich im Netz rassistisch äußern.“ Dass es weniger werden, dafür setzt sich Fabian Wichmann mit seinen Kollegen Tag für Tag ein.
Weitere Informationen zu den Kampagnen:
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
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