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Spätestens seit Brexit und Donald Trump beherrscht ein Begriff die politische Arena: der Populismus. Hierzulande stehen dafür die AfD und ihr Einzug in Bundestag und Länderparlamente. Doch was ist überhaupt Populismus? Eine Revolte gegen das Establishment, ein Schlagwort zur Abwehr unliebsamer Kritik, ein wissenschaftlicher Terminus? Im Populismusbarometer 2018 untersucht die Bertelsmann Stiftung zusammen mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) das aktuelle Populismuspotenzial der Deutschen – und wirft zugleich kritische Fragen auf.
Die aktuelle Untersuchung schreibt eine Studie aus dem Jahr 2017 zum Thema fort. Zugrunde liegen zwei Umfragen von Infratest dimap mit mehr als 3.400 Wahlberechtigten. Kern der Studie ist die Stellungnahme der Befragten (von „stimme voll und ganz zu“ bis „eher nicht“) zu acht Aussagen, die den Forschern zufolge Grundmuster populistischer Politikvorstellung widerspiegeln: Anti-Pluralismus, Anti-Establishment und Pro-Volkssouveränität. Die Studie definiert Populismus als ein Demokratie-Modell, das den Gegensatz zwischen „wahrem Volk“ und „korrupter Elite“ (Politiker, Wirtschaftsbosse, Medien) beschwört.
Einige dieser Aussagen lauten beispielsweise: „Die Bürger sind sich oft einig, aber die Politiker verfolgen ganz andere Ziele“, „Die Parteien wollen nur die Stimmen der Wähler, ihre Ansichten interessieren sie nicht“, „Was man in der Politik ,Kompromiss' nennt, ist in Wirklichkeit nichts Anderes als ein Verrat der eigenen Prinzipien“ oder „Wichtige Fragen sollten nicht von Parlamenten, sondern in Volksabstimmungen entschieden werden“.
Das zentrale Ergebnis der Studie: „Umfang und Intensität populistischer Einstellungen haben sich vor allem in der politischen Mitte signifikant verschärft", sagt Robert Vehrkamp, Mitautor der Studie. Knapp jeder dritte Wahlberechtigte ist populistisch eingestellt (30,4 Prozent), vier Prozent mehr als 2017. Gleichzeitig ist der Anteil der eindeutig unpopulistischen Wähler um gut elf Prozent geschrumpft.
Die Populismus-Konjunktur hat Folgen an der Wahlurne: „Profitieren konnten davon bisher vor allem die politischen Ränder und mit Abstand am stärksten die AfD“, merkt die Studie an. Während die Zunahme der Wahrscheinlichkeit, für die AfD zu stimmen, leicht links von der politischen Mitte nur bei etwa vier Prozentpunkten liege, verdreifache sie sich mit zunehmender Populismusneigung der Wähler in der Mitte auf 13 Prozentpunkte. „Rechte wählen die AfD, weil sie rechts ist, und Wähler aus der Mitte wählen AfD, weil sie populistisch ist.“
Damit, so die Autoren, fungiere Populismus als „trojanisches Pferd“: AfD-Wähler aus der politischen Mitte entscheiden sich für eine Partei, die politisch viel weiter rechts steht, als es ihrer eigenen Weltanschauung entspricht. Allerdings stoße der Rechtspopulismus gegen eine immanente „gläserne Decke“: 71 Prozent aller Wahlberechtigten lehnten die AfD grundsätzlich ab und würden sie „auf keinen Fall“ wählen – ein Spitzenwert für die Ablehnung einer Partei.
Die Studienautoren werten die Populismusneigung der Parteien als Lackmustest für Markentreue und Wählerzuspruch. Demnach haben CDU/CSU, SPD, Linke und FDP ein gemeinsames Problem: Sie konnten dem Lockruf des Populismus nicht widerstehen, folgten ihm allerdings weitaus moderater als die AfD. Sie alle sehen sich unter dem Druck, ihre nur mäßig populistische Wählerschaft ebenso zufrieden zu stellen, wie ihre klassischen Stammwähler. Einzig die SPD steht in Gefahr, sich dabei aufzureiben. Insgesamt gilt für die Traditionsparteien, dass populistische Einstellungen vor allem der AfD zugute kommen – sie ist nunmal das Original. Eine klare Alternative bieten der Studie zufolge die Grünen/Bündnis 90: Diese Partei habe sich einen unpopulistischen Linksliberalismus als Markenkern und Alleinstellungsmerkmal erworben. Die Konsequenz: „Je unpopulistischer ein Wähler, umso eher wählt er grün.“
Wohl keine Frage treibt die Strategen der Traditionsparteien so sehr um wie die nach resonanzstarken Themen jenseits populistischer Verheißungen. Die Studie macht zwei bislang verpasste Mobilisierungschancen aus:
Das aktuelle Populismusbarometer belegt das Scheitern der etablierten Parteien, den Rechtspopulismus der AfD einzudämmen, bestätigt die Studie. Es gehe darum, die tatsächlich zugrundeliegenden Ursachen anzugehen. Eine Lösung muss zwei Ansätze berücksichtigen: den Politikwechsel hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit und die konkrete und zugewandte Ansprache der Bürger. „Antipopulismus“ müsse selbst auch populär sein, müsse die Menschen in ihrer Sprache erreichen und in ihrer Lebenswelt abholen.
Kritik an vorliegender Studie entzündete sich vor allem an den zugrundeliegenden acht Aussagen, die zusammengenommen eine populistische Einstellung definieren sollen. Zwar erklärten die Autoren, dass diese Fragen nicht willkürlich formuliert, sondern dem aktuellen Forschungsstand entliehen seien. Kritiker sehen das Problem mit diesem Hinweis aber nicht gelöst. Vor allem die Verknüpfung von Populismus und Volksabstimmung sei falsch, zitiert der „Tagesspiegel“* stellvertretend Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandssprecher der Pro-Volksabstimmungsinitiative „Mehr Demokratie“. Seine Kritik: „Man ging in diese Umfrage als Demokrat rein und kam als Populist raus.“ Die Forderung nach mehr Volksabstimmungen sei nicht populistisch, sondern ziele auf die basisdemokratische Ergänzung repräsentativer Entscheidungsmechanismen. Andere Kritiker bemängeln, dass die Bestimmung der politischen Mitte auf der Selbsteinschätzung der Befragten gründe oder linker Populismus zu kurz komme.
*Tagesspiegel vom 05.10.2018 (am 09.11.2018 aufgerufen)
Robert Vehrkamp / Wolfgang Merkel, Populismusbarometer 2018. Populistische Einstellungen bei Wählern und Nichtwählern in Deutschland 2018, Gütersloh, 96 Seiten, Download
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