Suche
Krankenstände steigen, die Arbeitszufriedenheit ist mäßig, gleichzeitig verschlingt der betriebliche Gesundheitsschutz Rekordsummen. Was läuft das falsch, fragt Prof. Dr. Sabine Hammer von der Hochschule Fresenius. Ihre Untersuchungen zu Zufriedenheit und Krankmeldungen in Facharbeiter- und Serviceberufen führt zu einer ernüchternden Einsicht: „Das Geld hätten sich die Betriebe und Krankenkassen vermutlich sparen können.“ Weit besser als alle Fitnessangebote, Rückenschulen und Stress-Coachings wirke eine ganz andere Art betrieblicher Gesundheitsförderung, erläutert die Gesundheitswissenschaftlerin gegenüber der Redaktion der BFS-Trendinfo.
Gemäß den Daten von Robert-Koch-Institut und Statistischem Bundesamt nahm die Krankenstandsquote hierzulande in den vergangenen zehn Jahren um 30 Prozent zu. Gemäß Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin addieren sich durchschnittlich 17,5 Fehltage pro Arbeitnehmer zu einem Minus der Bruttowertschöpfung von 133 Mrd. Euro (2016). Dem stehen bei Unternehmen und Krankenkassen stolze 6,5 Milliarden Euro für Gesundheitsförderung gegenüber.
Offensichtlich doktert die betriebliche Gesundheitsförderung nur an den Symptomen herum. Das legt die Studie von Autorin Hammer nahe. Ihr liegt die Befragung von 180 Mitarbeitern aus Handwerk, Personentransport, Reinigung und Service aus sechs Großunternehmen zugrunde. Hauptursache für hohe Krankenstände ist demnach der Effizienzdruck, der auf den Unternehmen lastet und nach unten weitergegeben wird. Druck erzeugt Stress, Unzufriedenheit und Loyalitätsmangel. „Die größte Herausforderung für Betriebe wird unserer Ansicht nach sein, diesen Effizienzdruck so zu kanalisieren, dass die Krankenstände nicht noch weiter steigen beziehungsweise dauerhaft reduziert werden können.“
Betriebliche Angebote der Gesundheitsförderung werden oft als ungeeignet oder bevormundend wahrgenommen, ergab die Mitarbeiterbefragung. Dabei äußerten Befragte zum Beispiel: „Wir haben Fitnesscenter den ganzen Tag hier.“ (Handwerker)
„Ich habe immer so ein Gefühl, das ist so – sorry – so ein vorgespieltes Interesse an unserer Gesundheit. (...) Aber im Endeffekt, wenn ich mir halt angucke, wie ich zu arbeiten habe, dann weiß ich, ich bin nur eine Nummer.“ (Servicekraft)
Wertschätzung ist das Zauberwort, macht Hammer deutlich: „Für unsere Gesprächspartner war entscheidend, dass sie das Gefühl haben, mehr zu leisten als sie zurückbekommen.“ Da bewirke tatsächlich ein erhöhtes Erkrankungsrisiko; es wurden infolge dieses Ungleichgewichts sogar veränderte Immunparameter gemessen. Andererseits gebe es auch die Effizienzlohntheorie aufseiten des Arbeitnehmers, der z. B. durch „Krankfeiern“ eine wahrgenommene Ungerechtigkeit bei Gehaltszahlungen für sich ausgleiche.
Dass das Gleichgewicht von „Leistung“ und „Entlohnung“ einen Einfluss auf die Gesundheit hat, ist gut untersucht. Im Sinne der „Entlohnung“ scheint die Anerkennung dabei eine der wichtigsten Rollen zu spielen, ganz besonders dann, wenn das Gehalt nicht sehr hoch ist. „Für viel Geld nimmt man auch viel Kritik in Kauf, wenn man aber wenig verdient und wenig Entwicklungsmöglichkeiten bestehen, dann kann die Entlohnung letztlich nur durch Anerkennung (oder Arbeitsplatzsicherheit) stattfinden.“
Die Erkenntnisse gelten insbesondere für Beschäftigte mit hoher körperlicher Belastung. Bei dieser Gruppe gehe man eher davon aus, dass sie unter physischen Beschwerden leiden und dabei Unterstützung brauchten (z. B. Muskelkräftigung, Rückengymnastik), so Hammer. Tatsächlich sind die körperlichen Risiken relativ hoch – auch durch Einflüsse wie Lärm, Staub, Chemikalien und wechselnde Temperaturen. „Interessant ist, dass diese Beschäftigten trotzdem subjektiv stärker unter den psychosozialen Bedingungen leiden. Da gibt auch die Forschungsliteratur Hinweise: Körperlich hart arbeitende Personen erfahren weniger sozialen Support und geringere Anerkennung als überwiegend ,kognitiv’ Beschäftigte.“
Um Ausfallzeiten zu reduzieren, sind demnach Investitionen in die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter vordringlicher als in die betriebliche Gesundheitsvorsorge.
Im Wesentlichen bestätigt die Studie von Hammer frühere Ergebnisse der Gesundheitsforschung, etwa jüngst den Fehlzeitenreport 2018 des wissenschaftlichen Instituts der AOK (WidO). Sinnhafte Arbeit leistet demnach einen wichtigeren Beitrag zur Gesundheit als das Gehalt – eine auskömmliche Versorgung natürlich vorausgesetzt.
Sabine Hammer, Heute bleibe ich zu Hause, Fresenius 2018
(Pressemeldung)
Die Studie erscheint in Kürze. Der Beitrag basiert vor allem auf einem Interview mit der Autorin.
Fehlzeiten-Report 2018: Sinnerleben im Beruf hat hohen Einfluss auf die Gesundheit,
hg. vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (Pressemeldung)
Gesundheitswirtschaft
Gesundheit am Kiosk: Bundesweit neuartiges Projekt in Hamburg
Arbeitswelt
Was steckt hinter hohem Krankenstand und was hilft?
Pflege
Innovative Wohnformen: Gut versorgt, trotzdem selbstbestimmt
Gesellschaft
Populismusbarometer 2018: Trojanisches Pferd an der Wahlurne
Europa
Erasmus für Senioren und andere Ideen für mehr Europa
Pflege
Pflegende Angehörige bei der Stange halten!
Demografie
Die Babyboomer altern: Kommunen müssen gegensteuern
Buchempfehlung
Walter Wüllenweber: Frohe Botschaft
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail