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Westend Verlag, Frankfurt 2019, 256 Seiten, 17,99 Euro
Profi-Koch David Höner setzt mit seinem Schweizer Hilfswerk „Cuisine sans frontières“ – Küche ohne Grenzen auf gelebte Küchendiplomatie. Über 800 Projekte hat der „Gastgeber der Hoffnung“, wie ihn die Medien liebevoll nennen, mittlerweile ins Leben gerufen: Von Tschernobyl über den Libanon bis in seine Wahlheimat Ecuador. Mit seiner gemeinnützigen Organisation kochte David Höner anfangs in Konfliktgebieten wie Kenia, Kolumbien oder Georgien. Er bringt mit seinen „Projekten der Esskultur“ verfeindete Volksgruppen zusammen, indem er ihre Anführer zum Essen einlädt und groß auftischt – für alle Beteiligten eine friedenstiftende Erfahrung. Sein neuestes Projekt: Im ecuadorianischen Amazonasgebiet will der Friedenskoch seit 2016 mit einer schwimmenden Kochschule den Indigenen helfen, mit dem Ökotourismus unabhängig von der Erdölindustrie zu werden. Über seine Beobachtungen und Begegnungen hat David Höner das Buch „Kochen ist Politik“ geschrieben.
Seit 25 Jahren lebt David Höner (64) mit seiner Familie in Quito, der Hauptstadt von Ecuador. Genauso lange reist der Schweizer Weltenbummler schon durch die Krisenregionen der Welt, um Menschen beim Kochen und Essen zusammenzubringen. Mit seiner Non-Profit-Organisation „Cuisine sans frontières“ (CSF) wurde der Koch zu einem kulinarischen Grenzgänger. „Essen und Trinken verbindet Menschen jeder Herkunft und Klasse. Gerade in Krisen ist eine Gemeinschaft darauf angewiesen, miteinander zu kommunizieren und Lösungen zu finden“, sagt David Höner im Skype-Interview mit unserer Autorin, die ihn zuhause in Quito erreichte. „Mit der Cuisine wollen wir geschützte Orte schaffen, an denen Menschen ohne Zeitdruck wieder Gemeinsamkeiten finden. Gemeinschaft und Frieden manifestieren sich für mich durch Gastfreundschaft.“ Eine gemeinsam gekochte Mahlzeit an einem Tisch zu teilen, schafft für Höner „ein Kollektiv“. Darin sieht Höner eine der Aufgaben des CSF: Als Gastgeber zu Tisch zu bitten, um Konflikte zu lösen und Gemeinschaft zu fördern.
In vielen Krisenländern schafft es die Cuisine, Menschen an einem Ort zu versammeln, die sonst nicht miteinander reden würden. Das verbindende Element war anfangs das gemeinsame Kochen. Für David Höner ist eine der Grundbedingungen für gute Entwicklungsarbeit: „Die Helfer und die, denen geholfen wird, sollten eine echte Partnerschaft eingehen, getragen von Empathie und Respekt.“ Das erste erfolgreiche Projekt startete David Höner vor zwölf Jahren im kolumbianischen San Josecito. Mitte der 90er Jahre gründeten die vertriebenen Bauern von San José de Apatadó – ausgelaugt von grauenhaften Massakern – inmitten von Kokainmafia, Guerilla und paramilitärischen Einheiten eine Friedensgemeinschaft. Sie nannten den waffenlosen, gewaltlosen und drogenfreien Ort San Josecito.
In dem Friedensdorf aus Wellblechhütten tauchte David Höner 2007 mit seinen Plänen auf, eine Gaststätte plus einen Comedor – ein Esszimmer - für die Gemeinschaft zu bauen und mit wechselnden CSF-Teams dort zu kochen. „Am Anfang misstraute man uns. Wir haben der zukünftigen Küchenchefin erklärt, Hühner und Schweine haben nichts in der Küche verloren. Geschirr und die Hände immer mit heißem Wasser und Seife reinigen.“ Anfangs wurden unterernährte Schulkinder – die meisten davon Waisen – und alte Menschen verköstigt. Abends wird der Comedor seitdem als Gaststätte und Treffpunkt genutzt. Es kam allerdings nie so weit, „dass die Kommandanten der AUC und der FARC in unserem Restaurant einen Sancocho – einen Eintopf – gegessen und sich die Hände geschüttelt haben“, erzählt David Höner mit spürbarem Bedauern. „Auch keine Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes, von Oxfam oder von Médecins sans frontières war meines Wissens jemals im Comedor von San Josecito.“
Gegen die Angst, am Ende der Welt einfach zu verschwinden, waren „unsere vielfältigen Verbindungen in die Welt ein guter Schutz“, schreibt Höner. „Wir sind Zeugen, die man nicht einfach umbringen kann. Wenn uns etwas passiert, gibt es Untersuchungen.“ Bis zum Sommer 2011 begleiteten verschiedene Kochteams das erste CSF-Projekt, unterstützten es monatlich mit 300 Schweizer Franken. Das Essen für die Kinder, Gas und Strom wurde bis 2009 bezahlt. Es freut David Höner, „dass der Gesundheitszustand der Bewohner nachweisbar gestiegen ist“. Die kleine pazifistische Friedensgemeinschaft überlebte bis heute, auch wenn ein Ende der Gewalt in Kolumbien für den Koch nicht in Sicht ist. „Krieg ist die Basis der geschäftsfördernden Strafffreiheit für Drogenhändler, Oligarchen und Großgrundbesitzer.“
Um zu verstehen, was den Gastgeber der Hoffnung antreibt, lohnt sich ein Blick auf seinen Lebenslauf. In den 1970er Jahren lernte David Höner beim Schweizer Spitzenkoch Jacky Donatz. Als Jahrgangsbester arbeitet er anschließend in Spitzenrestaurants in Zürich, Genf, New Orleans. Später heuerte er auf Luxuskreuzfahrtschiffen an und gründete mit einem Freund in der Schweiz ein Cateringprojekt, mit dem er u.a. James-Bond-Filmproduktionen versorgte. Nach 15 Jahren stieg er aus, arbeitet seitdem als Autor, Journalist – und Friedenskoch. Angefangen hat sein altruistisches Engagement, wie David Höner es nennt, mit einer naiven Reise in den kolumbianischen Dschungel. Dort hatten Söldner im US-Auftrag im kolumbianischen Putumayo und entlang der ecuadorianischen Grenze den chemischen Kampfstoff „Agent Green“ versprüht. Gemeinsam mit seiner Frau Iris, einer Dokumentarfilmerin, riskierte er für TV-Beiträge darüber beinah sein Leben. Zurück in der Schweiz spürte der Journalist: Solche Beiträge ändern überhaupt nichts vor Ort. Im Gegenteil: „Ich merkte, dass die Zivilgesellschaft im kolumbianischen Bürgerkrieg zerfällt.“
Zwei Jahre nach der kolumbianischen Erfahrung gründete der damals 50-jährige Höner als mittelloser Koch den Verein Cuisine sans frontières – gleich das erste Projekte in San José funktionierte. „Küche ohne Grenzen ist eine gemeinschaftliche Aktion von Menschen, die sich für das Thema erwärmen, Gastgeber in schwierigen Zeiten zu sein.“ Anfangs betrug das Jahresbudget 12.000 Schweizer Franken, mittlerweile wurde die Million gesprengt.
Um Geld für die „Projekte der Esskultur“ zu akquirieren, gründete der Autor das Fundraising-Projekt „Kitchen Battle“ und überzeugte seine Star-Kollegen aus der Schweizer Gastroszene mitzumachen. Ende 2009 fand der erste Küchenwettstreit in Zürich statt. Die freiwilligen Helfer, die vierköpfigen Kochteams, alle arbeiteten seitdem ehrenamtlich. Sämtliche Battles sind seit über zehn Jahren ausverkauft, finden inzwischen auch in Bern und Luzern statt und sind die wichtigste Einnahmequelle des Vereins. Mittlerweile dauert die Battle allein in Zürich fünf Tage, ein Platz inklusive Menü kostet 500 Franken.
Essen und Trinken hat für David Höner friedensstiftenden Charakter: „Mit der Verdauung geht eine geistige kommunale Denkweise einher, die zu was Gutem führt.“ Eine jahrzehntelange Feindschaft kann überwunden, Vorurteile abgebaut werden. Im Nord-westen Kenias hat CSF das Projekt Calabash mit aufgebaut: Ein Restaurant mit Garten, eine kleine Ziegenherde und fünf Häuschen zum Übernachten für Gruppen. Das eindrücklichste Beispiel war für David Höner das Treffen beim Calabash-Einweihungsfest, wo die verfeindeten Stämme der Turkana und Pokot gemeinsam an einen Tisch saßen. „Bis dahin konnten sie sich kaum unterhalten, weil man sich eigentlich eher eine Kugel durch den Kopf jagte“. Calabash steht inzwischen fast auf eigenen Beinen: Einmal im Monat ist Disco, einmal die Woche gibt es Pizza, erste Gruppen übernachten.
„Die Grundidee hat sich nach 15 Jahren verändert. Jetzt engagieren wir uns mehr in Dauerkrisengebieten. Wir glauben, der Esstisch ist ein guter Verhandlungsort.“ Das neueste Projekt ist sehr komplex: 2016 brachte der Friedenskoch in das ecuadorianische Amazonasgebiet eine schwimmende Kochschule. Dort bieten David Höner und sein Team sechsmal im Jahr Basiskochkurse für Teenager oder Mütter an. Über eine Gastronomieausbildung will der Friedenskoch den Indigenen am Rio Napo eine Alternative zur Erdölindustrie bieten und sie zum Ökotourismus motivieren.
David Höners Traum: eine selbst verwaltete Tourismusregion mit eigener Buchungszentrale in El Coca, über die die Indigenen ihre kommunalen Ökotourismusprojekte am Napo selbstständig verkaufen. Gekoppelt an ein Restaurant mit gehobener Amazonasküche. 2020 beginnt erstmals eine einjährige Gastgeberausbildung, mit einem Zertifikat der Universität Esmeraldas. Der Autor unterstützt die indigene Bevölkerung mit diesem Projekt dabei, langfristig ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften und sich so ihren Platz in der Gesellschaft zu sichern: „Entweder werden die Indigenen über den Ökotourismus Teil der Globalisierung oder sie werden von ihr ausgelöscht.“
„Kochen ist Politik“ ist ein nachdenkliches, ein spannendes Buch. Die vielfältigen „Projekte der Esskultur“ geben Einblick, wie gemeinsam kochen Frieden stiften kann. Ein tröstlicher Gedanke, wenn man als Lesender später für sich und die Familie kocht. Wenn der Autor über die Küche ohne Grenzen schreibt, zieht sich aber auch ein Gedanke wie ein roter Faden durch das Buch: Kleinere Hilfswerke wie Cuisine sans frontières werden seiner Erfahrung nach von den NGO-Playern der Entwicklungszusammenarbeit völlig ignoriert. Das Cuisine-Team hilft trotzdem Menschen in den Flüchtlingslagern von Thessaloniki in Griechenland oder in Burj el Barajneh südlich der libanesischen Hauptstadt Beirut mit Basiskochkursen dabei, später beispielsweise eine eigene Cateringfirma aufzubauen. Ja, kochen ist auch politisch und das ruft beim Lesen tiefsten Respekt hervor.
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