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Wer im Internet nach dem Begriff „ePflege“ sucht, hätte noch vor wenigen Monaten nur Fehltreffer erhalten. Mit der neuen Studie „ePflege – Informations- und Kommunikationstechnologie für die Pflege“ ist die Trefferquote deutlich gestiegen: Das rund 100 Seiten umfassende Gemeinschaftswerk von Roland Berger, dem Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (DIP) und der Pflegewissenschaftlichen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar gGmbH (PTHV) bietet einen umfangreichen Überblick, welche digitalen Lösungen es im Pflegebereich derzeit gibt (zu wenige, zu vereinzelt), wie der Bedarf ist (groß) und was konkret getan werden muss, um das elektronische „e“ in der Pflege zu verankern (jede Menge).
Auftraggeber der Studie ist das Bundesgesundheitsministerium, das angesichts des drängenden demographischen Wandels und zunehmenden Fachkräftemangels in der Pflege nach neuen, digitalen Wegen sucht. Zwei Zielvorstellungen konstatiert die Studie:
Durchgeführt wurde die Studie von Dezember 2015 bis Ende 2016: Neben einer Onlinebefragung von 63 Pflegeakteuren wurden 217 ePflege-Projekte analysiert, 16 Experten befragt und mehrere Experten-Workshops veranstaltet.
Bei den meisten vorhandenen Projekten geht es zwar um die direkte Unterstützung der Leistungsempfänger und der ambulanten Pflege – die Nutzer selbst werden aber zu wenig einbezogen bei der Entwicklung, die überwiegend von Technikern gemanagt wird. Defizite gibt es zudem bei der Information und Schulung der Pflegekräfte, die IKT-Lösungen anwenden sollen. Auch werden die Potenziale einer vernetzten Versorgung bisher kaum ausgeschöpft. So gibt es mittlerweile eine Reihe von Plattformen und Institutionen zur Digitalisierung im Gesundheitswesen – z. B. gematik, E-Health-Initiative oder das Zentrum für Telematik und Telemedizin – aber keine eigene für den Bereich Pflege.
Die Autoren verweisen daher auf fünf Handlungsbedarfe:
Projekte und technische Lösungen müssen sich künftig mehr an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen, ihrer Angehörigen und der professionellen Dienstleister orientieren. So können beispielsweise Sensoren im häuslichen Umfeld (z. B. an der Matratze oder bei Wanderungsdrang von Demenzkranken an der Tür) schon früh pflegerelevante Infos an Pflegekräfte und pflegende Angehörige weitergeben. Weitere Einsatzfelder in der häuslichen Pflege sind Telemonitoring, Sturzerkennung, Aktivitätsmonitoring sowie Haushalts- und Pflegeroboter.
In der professionellen Pflege sind zum Beispiel die zeitraubende Pflegedokumentation, die Material- und Medikamentenversorgung oder die Tourenplanung geeignete Bereiche für digitale Lösungen.
Was gelungene Vernetzung verschiedener Akteure bringen kann, zeigt das Best-Practice-Projekt „Vernetzte ärztliche Pflegeheimversorgung“ des Berliner Pflegeheims Bethanien Sophienhaus mit einer Arztpraxis. Durch die zusätzliche digitale Vernetzung von Heim und Ärztin hat sich die Anzahl der Krankenhaustage je Bewohner im Jahr 2013 um 7,4 Tage verringert. Der Anteil der Notfalleinweisungen ist um rund 15 Prozent zurückgegangen.
Als weiteres Handlungsfeld identifizieren die Studienautoren die bisherige Förderpolitik und Forschung – diese seien zu sehr auf technische Innovationen fokussiert und berücksichtigten das Pflegeumfeld und die erforderliche soziale Interaktion nicht ausreichend. Auch mit den herrschenden Marktbedingungen sind die Verfasser nicht zufrieden: Das vorhandene Angebot an digitalen Lösungen sei unübersichtlich, nicht transparent und die Vorteile für Nutzer oft nicht nachvollziehbar; hinzu komme die Sorge vor hohen Kosten von IKT-Anwendungen.
Um der ePflege den notwendigen Schub zu geben, schlagen die Autoren detaillierte Handlungsempfehlungen vor: Zum Aufbau eines Netzwerkes soll eine Initiative ePflege als Plattform für den gemeinsamen Austausch auf den Weg gebracht werden. Sie könnte Lösungsansätze voranbringen und Gesetzesinitiativen anstoßen.
Die Initiative soll von einer eigens einzurichtenden Geschäftsstelle ePflege koordiniert werden. Diese dient als Kontaktstelle und ist zugleich für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Um das Thema ePflege zu kommunizieren, könnten Akteure in der Pflege eine Transparenz- und Kommunikationsoffensive starten, um potentiellen Nutzern klar zu machen, welche Vorteile und Möglichkeiten digitale Lösungen bieten.
Daneben schlagen die Autoren Leuchtturmprojekte vor – so könnte die bisherige Förderinitiative „Besser leben im Alter durch Technik“ weiter ausgebaut werden. Im Rahmen einer Bildungsoffensive Digitalisierung in der Pflege soll das Thema auch in Schulen und Ausbildungsstätten auf die Agenda.
Noch offen ist die Frage der Finanzierung: Abrechenbar über die Krankenkassen würden digitale Lösungen nur dann, wenn Mehrwert und Wirtschaftlichkeit nachgewiesen wird. Hier besteht jedoch noch Evaluierungsbedarf. Bestimmte IKT-Anwendungen könnten dann künftig möglicherweise in die Hilfs- und Pflegehilfsmittelverzeichnisse der Kranken- und Pflegeversicherung aufgenommen werden. In Frage kämen technische Orientierungshilfen, Sicherheitssysteme für die Förderung der Mobilität Pflegebedürftiger oder Einbauten von Bewegungssensorik und audiovisueller Kommunikation. Eine weitere Möglichkeit ist der Innovationsfonds der GKV – darüber ließen sich eventuell sektorenübergreifende Versorgungskonzepte und der Aufbau von Netzwerken finanzieren.
Das Thema Datenschutz nimmt in der Studie keinen sehr breiten Raum ein: „Es wird empfohlen, (...) die Herausforderung des IKT-Einsatzes in der Pflege gesellschaftlich zur Diskussion zu stellen“, schreiben die Verfasser und raten „aussagekräftige Studien“ zu Fragestellungen wie Ethik, Datenschutz oder Rationalisierung im Pflegewesen an.
Eine klar strukturierte, umsetzungsorientierte Studie zu einem Thema, an dem die Pflege in Zukunft nicht vorbeikommen wird: Wir brauchen neue Informations- und Kommunikationstechnologien, um Pflege-Prozesse zu vereinfachen, mehr Vernetzungen zwischen den unterschiedlichen Akteuren zu schaffen und um im Alter möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben zu können. Wir brauchen aber auch einen intensiven gesellschaftlichen Diskurs darüber, wie weit die Technisierung in einem so intimen und sensiblen Bereich wie der Pflege gehen darf und soll.
„ePflege – Informations- und Kommunikationstechnologie für die Pflege“. Eine Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums, durchgeführt von Roland Berger GmbH, Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V., Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar, Juni 2017, 91 Seiten.
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