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Wie hat sich der deutsche Arbeitsmarkt in den letzten 50 Jahren entwickelt – wer hat profitiert, wer hat verloren? Die Ergebnisse einer von der Bertelsmann Stiftung geförderten Langzeitstudie der Freien Universität Berlin überraschen kaum: Danach sind hochqualifizierte Männer und Frauen mit akademischem Abschluss die Gewinner – wenngleich Frauen auch heute im Schnitt immer noch deutlich weniger verdienen. Geringqualifizierte Personen mit Realabschluss und weniger gehören dagegen mit den höchsten Arbeitslosenraten und Einkommensverlusten über die Zeit zu den Verlierern. Zwar ist der Anteil der Personen ohne Schul- oder Berufsabschluss in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt zurückgegangen. Politik, Gesellschaft und Wirtschaft müssten dennoch darüber nachdenken, wie sie gering qualifizierten Menschen mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnen und die Lohn- und Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen beseitigen, fordern die Autoren.
Seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es deutliche Strukturveränderungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. So ist das durchschnittliche Wirtschaftswachstum erheblich gesunken: Lag es in den Wirtschaftswunderjahren noch bei rund sechs Prozent, gilt heute schon ein Wachstum von zwei Prozent als Aufschwung. Durch die Globalisierung wurde der Arbeitsmarkt deutlich flexibler, aus einer Industrie- ist eine Dienstleistungsgesellschaft geworden. Die Erwerbsverläufe der Menschen wurden zunehmend unstet. Dabei spielten auch die ab den 1980er-Jahren einsetzenden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wie Befristung und Zeitarbeit eine wichtige Rolle. Sie sollten den Anstieg der Arbeitslosigkeit bremsen – schon viele Jahre vor den Hartz-Reformen.
Doch Personen mit einem geringeren Bildungsniveau fielen dabei durch den Rost. In Westdeutschland stieg die Arbeitslosenquote in dieser Gruppe von 1970 bis 2005 von nahezu null auf 22 Prozent bei Männern und rund 20 Prozent bei Frauen. Noch dramatischer sah es in Ostdeutschland aus: Hier lag die Arbeitslosenquote von geringqualifizierten Männern kurz nach der Wiedervereinigung bei 20 Prozent und stieg in 2005 sogar auf 43 Prozent. Die Arbeitslosenquote der ostdeutschen Frauen ohne Berufsausbildung, Abitur oder Studium war ähnlich hoch.
„Zwar haben die Hartz-Reformen in den 2000er-Jahren mit dem Ausbau des Niedriglohnsektors sowie die allgemein verbesserte wirtschaftliche Lage wieder zu einem leichten Rückgang der Arbeitslosigkeit und einer Zunahme der einfachen Tätigkeiten für Personen mit geringem Bildungsniveau geführt; dennoch bleibt die Arbeitslosenquote in dieser Gruppe sehr hoch“, stellen die Autoren fest.
Vor allem für alleinstehende Männern und Frauen mit geringer Qualifizierung hat sich die wirtschaftliche Lage in den vergangenen Jahrzehnten stark verschlechtert: Hatte ein geringqualifizierter westdeutscher Mann im Jahr 1976 umgerechnet rund 1 600 Euro zur Verfügung, waren es 2013 nur noch etwa 1.460 Euro. Bei Paarhaushalten, in denen der Haupteinkommensbezieher mittel- oder hochqualifiziert ist, stieg das Einkommen dagegen deutlich an.
Insgesamt hat die Wirtschaftskraft Deutschlands stark von der höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen profitiert: So hat sich die Zahl erwerbstätiger Frauen in den alten Bundesländern zwischen 1973 und 2013 von rund sechs auf zwölf Millionen verdoppelt. Gründe dafür sind unter anderem eine verbesserte Bildung, mehr Möglichkeiten der Kinderbetreuung, flexiblere Arbeitszeiten und mehr Teilzeitarbeit. Die größten Veränderungen gab es bei den westdeutschen Frauen – deren Bildungsniveau und Erwerbsbeteiligung sind seit der Gründung der Bundesrepublik stark gestiegen. Ostdeutsche Frauen waren dagegen traditionell schon immer stärker in den Arbeitsmarkt eingebunden, sodass die Entwicklung dort eher konstant geblieben ist.
Allgemein tragen Frauen immer häufiger zum Haushaltseinkommen bei: „Vor allem Frauen prekär beschäftigter Männer sind zu Zweitverdienerinnen geworden, um das Familieneinkommen abzusichern. So waren westdeutsche Frauen in Paarhaushalten mit Kindern in der unteren Einkommenshälfte im Jahr 2013 fast dreimal so häufig erwerbstätig wie 1973“, schreiben die Autoren. Das durchschnittlich verfügbare Haushaltseinkommen sei allerdings nur um die Hälfte gestiegen.
Es gibt jedoch nach wie vor deutliche Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern. Während beispielsweise Akademikerinnen 1976 in Westdeutschland ein Einkommen von umgerechnet rund 1.650 Euro zur Verfügung hatten, waren es bei Akademikern mit 3.700 Euro mehr als doppelt so viel. Auch 2013 hatten Akademiker in den alten Bundesländern mit 3.800 Euro im Vergleich zu Akademikerinnen (2.050 Euro) ein fast doppelt so hohes Einkommen. Bei gering- und mittelqualifizierten Arbeitnehmerinnen sieht es nicht viel anders aus. „Damit hinken Frauen der Einkommensentwicklung rund 40 Jahre hinterher, da sie 2013 immer noch nicht das Niveau erreicht haben, das Männer in den 1970ern hatten.“
Die vorliegende Studie analysiert die Entwicklung des Arbeitsmarkts seit Mitte der 50er Jahre. Sie ist der erste Teil einer dreiteiligen Reihe, in der die Auswirkungen der historischen, aktuellen und prognostizierten Trends am Arbeitsmarkt auf die individuelle Beschäftigungssituation und die künftigen Lebenserwerbseinkommen untersucht werden sollen.
Timm Bönke / Astrid Harnack / Miriam Wetter, Wer gewinnt? Wer verliert? Die Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt seit den frühen Jahren der Bundesrepublik bis heute,
Hg.: Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh 2019, 56 Seiten, Download
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Eigentlich ticken wir doch ziemlich ähnlich
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