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„Mehr Zentren für Familien!“ – für einen bundesweiten Ausbau von Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren spricht sich eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW Berlin) aus. Gefördert wurde die Studie von der Heinz und Heide Dürr-Stiftung, die sich seit 20 Jahren bundesweit für den „Early Excellence-Ansatz“ starkmacht, der Familien intensiver in frühkindliche Bildungsprozesse einbinden will. Familienzentren verbinden die Kindertagesbetreuung gezielt mit eltern- und familienorientierten Angeboten und Dienstleistungen – adressieren also die Familie als Ganzes. „Diese Einrichtungen versprechen eine hohe Rendite und erreichen auch Familien mit geringem Einkommen oder niedrigem Bildungsniveau“, sind die Studienautorinnen überzeugt. Sie schlagen daher eine Bundesinitiative „Zentren für Familien“ vor, an der sich Bund, Länder und Kommunen beteiligen sollen.
In den letzten Jahren hat die öffentliche Hand massiv sowohl in den Ausbau der Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur für Kinder als auch in Angebote der Familien- und Elternbildung (u.a. Frühe Hilfen) investiert. Aus gutem Grund: Rund zwei Drittel aller Mütter mit minderjährigen Kindern gehen mittlerweile arbeiten, überwiegend in Teilzeit, während die Väter nach wie vor meist einen Vollzeitjob ausüben. Gute Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit wird daher immer wichtiger.
Das Problem sei jedoch, dass die Angebote der Kinderbetreuung und der Familienbildung meist nebeneinander her existierten und nicht miteinander verzahnt seien, so die Studie. Das heißt, wer sein Kind in die Kita bringt, erfährt nicht unbedingt etwas von den Angeboten der Familienbildung: „Gerade Familien mit hohem Unterstützungsbedarf nehmen die klassischen Angebote der Familienbildung wie geburts- und familienvorbereitende Kurse, Hilfe in Erziehungsfragen, Sprachförderung oder Gesundheits- und Ernährungskurse selten wahr“, stellen die Autorinnen fest.
Kindertagesstätten seien daher der richtige Ort, um die verschiedenen Angebote in der Familienpolitik zu bündeln – denn hier würden alle Eltern noch gut erreicht.
Um eine möglichste breite Forschungsbasis zu bekommen, wurden in der Studie bundeslandbezogene, nationale und internationale Beispiele für Familienzentren unter die Lupe genommen. Danach gibt es in einigen Bundesländern zwar bereits Förderprogramme zur systematischen Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren, die Finanzierung erfolgt aber meist als Modellprojekt, also zeitlich befristet. Bisher hat nur Nordrhein-Westfalen Familienzentren in größerem Stil umgesetzt und auch eine zusätzliche finanzielle Förderung dafür im Landesgesetz verankert. Das „Landesprogramm Familienzentrum Nordrhein-Westfalen“ ist das wohl größte Vorhaben in Deutschland, das Kindertageseinrichtungen zu Zentren für Familien weiterentwickelt hat – mittlerweile gibt es dort fast 2 500 Familienzentren. Mit Erfolg: Seitdem stieg vor allem bei sonst schwer zu erreichenden Familien die Nachfrage nach Angeboten der Familienhilfe.
Beispiele vor allem aus dem US-amerikanischen Raum zeigen, dass es offenbar deutlich effizienter ist, hochwertige Bildung und Betreuung in Kitas mit Familienbildung und Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenz zu verbinden – vor allem für die Förderung von Familien mit geringeren sozioökonomischen Ressourcen. Beispielhaft ist hier das HighScope Perry Preschool Project, das bereits in den 60er Jahren in Michigan etabliert wurde und gezielt drei- bis vierjährige Kinder aus benachteiligten Familien gefördert hat. Von 123 sozioökonomisch benachteiligten Kindern wurden 58 zufällig ausgewählte Kinder in das Programm aufgenommen, die anderen als Vergleichsgruppe wissenschaftlich bis heute begleitet. Es zeigte sich, dass der monetär bewertete Nutzen dieses Programms die damit verbundenen Kosten um ein Mehrfaches übersteigt: So verdienen die geförderten Kinder heute mehr, benötigen weniger Transferleistungen und werden seltener straffällig als die Vergleichsgruppe.
Was ist bei der Einrichtung eines Familienzentrums zu beachten? Es sollte auf jeden Fall eine Kombination von kompensatorischen und komplementären bzw. koordinierenden Angeboten anbieten, um alle Schichten zu erreichen. Kompensatorische Angebote sind zum Beispiel Spracherwerbskurse; komplementäre Angebote umfassen längere Öffnungszeiten, Notfallbetreuungen auch für Geschwisterkinder, Hol- und Bringservices.
Wichtig ist auch, Hemmschwellen so gering wie möglich zu halten: Bewährt haben sich offene Treffmöglichkeiten – zum Beispiel ein kostenloses Frühstück – die mit niedrigschwelligen Formen der Beratung verknüpft werden. Die Autoren verweisen hier auf entsprechende Modellprojekte in Sachsen: „Niedrigschwellige Angebote wie Feste und Feierlichkeiten eignen sich besonders gut, um einen ersten Zugang zu den Eltern zu erlangen. Das führt dann dazu, dass auch Angebote der klassischen Familienbildung angenommen werden – und zwar von allen Bildungsschichten.“
Essentiell sei dabei gut aus- und weitergebildetes Personal – und eine nachhaltige Finanzierung der Zentren, um Planungssicherheit zu schaffen. Dazu müssten keine Parallelstrukturen geschaffen werden, sondern man könne auf bestehende Einrichtungen aufsetzen. „Zentren für Familien könnten so zu einem substantiellen Bestandteil der Infrastruktur für Familien werden. Darüber hinaus sind sie auch für arbeitsmarkt- und sozialpolitische Überlegungen von hoher Relevanz.“ Die Studienautorinnen empfehlen daher eine ressortübergreifende Initiative auf Bundesebene: Nur so könne sichergestellt werden, dass Familien überall in Deutschland gleichermaßen Zugang zu solchen Zentren haben und nicht von der politischen und finanziellen Prioritätensetzung vor Ort abhängig seien. „Wenn man bedenkt, dass die Förderung junger Familien aus volkswirtschaftlicher Sicht eine besonders hohe Rendite verspricht, würde sich jeder investierte Euro mehrfach auszahlen.“
Sophia Schmitz / Katharina Spieß, Familien im Zentrum: Unterschiedliche Perspektiven auf neue Ansatzpunkte der Kinder-, Eltern- und Familienförderung, Berlin, 2019, 76 Seiten
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