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„Die da oben“ gegen „Wir, das Volk“, alte Bundesrepublik und neue Länder, biodeutsch oder zugewandert: Die Behauptung, in einem gespaltenen Land zu leben, ist fast schon ein Allgemeinplatz. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung hingegen fragt nicht nach dem Trennenden, sondern nach den Gemeinsamkeiten in der Gesellschaft: Wie stehen die Bürger zur Befolgung von Gesetzen, zur Steuermoral, zur Gleichberechtigung von Mann und Frau? Sind sie vielleicht sogar stolz auf Deutschland? Das Ergebnis mag manchen überraschen. Bei den Bürgern mit und ohne ausländische Wurzeln ist der Konsens darüber, was ein „guter Bürger“ ist, größer als bei den Menschen zwischen Ost- und Westdeutschland oder Jung und Alt.
2.058 Personen hierzulande ab 14 Jahren wurden in einer repräsentativen Umfrage befragt, was sie unter einem „guten Bürger“ verstehen. 891 Teilnehmer hatten keinen Migrationshintergrund, 569 waren in Deutschlandgeborene Kinder von Migranten und 598 Zuwanderer – letztere lebten bereits rund zehn Jahre in Deutschland.
Bei den Befragten wurde ermittelt, wie wichtig ihnen 15 unterschiedliche Bürgertugenden sind. Die absolut höchste Zustimmung gab es für die Haltung, eigenverantwortlich für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen, Gesetze zu befolgen und Respekt vor älteren Menschen zu haben (jeweils 98 %). Und fast alle meinen: Familie (93 %) und Schule (88 %) sind wichtige Orte für die Wertevermittlung, nicht etwa eine Religionsgemeinschaft (46 %). Hohe Zustimmung erhielten auch Werte wie umweltbewusstes Handeln (97 %), Gleichberechtigung der Geschlechter (96 %) und die Respektierung von Religion (93 %). „Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass keine grundsätzliche Spaltung in den allgemeinen Einstellungen der deutschen Bevölkerung hinsichtlich der Verhaltensregeln im Zusammenleben vorhanden ist“, findet Studienautor Orkan Kösemen.
Muss man in Deutschland geboren sein, um ein guter Bürger zu sein? Die meisten Menschen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, verneinen das (94 %) und können sich auf dieselben Bürgertugenden einigen. Nimmt man allerdings die als „sehr wichtig“ genannten Merkmale des guten Bürgers in den Blick und untersucht, inwieweit einzelne Bevölkerungsgruppen mit Abweichungen von mindestens fünf Prozent geantwortet haben, ergibt sich ein detaillierteres Bild: Dann zeigt sich, dass zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund insgesamt weniger Differenzen bestehen als zwischen anderen Bevölkerungsgruppen. „Am häufigsten weichen die Antworten von jungen (14–29 Jahre) und alten (60 Jahre plus) Befragten sowie von Personen aus West- und Ostdeutschland ab“, hält die Studie fest.
„Der Generationenunterschied und die ehemalige deutsche Teilung haben einen stärkeren Einfluss auf die Präferenzen bei Fragen des Zusammenlebens als etwa die ethnische Herkunft“, bringt es Kösemen auf den Punkt. So wichen bei der Frage nach dem Herkunftsland Deutschland für den guten Bürger die Antworten von alten Personen (8 % Zustimmung) und jungen Personen (2 % Zustimmung) sowie von Ostdeutschen (10 % Zustimmung) merklich vom Durchschnitt aller Befragten ab. Wichtige Erkenntnisse lauten demnach:
Für die Bertelsmann Stiftung ist die Sache klar: „Der Eindruck großer gesellschaftlicher Spaltung täuscht. (…) Darauf kann man ein gutes gesellschaftliches Miteinander aufbauen, gerade in einem Einwanderungsland wie Deutschland." Ganz so klar ist die Sache aber wohl doch nicht, wie einzelne Ergebnisse nahelegen. So stuft es die Studie an anderer Stelle als durchaus „bedenklich“ ein, dass es deutlich weniger Junge und Migranten wichtig finden, sich politisch zu informieren und zu wählen. Außerdem ist die Rede von „Defiziten bei der Vermittlung von politikbezogenen Merkmalen des Bürgersinnsbei Migranten mit niedriger Bildung“.
Die Studie spricht im Hinblick auf gemeinsame Bürgertugenden von „Bausteinen für ein neues Wir“. Damit ist aber die Frage nach dem sozialen Kitt, der diese Steine zusammenhält, nicht beantwortet. Übereinstimmende Werthaltungen, was den guten Bürger ausmacht, überwinden noch keine gesellschaftliche Spaltung, wie sie angesichts aktueller Streitfragen um sozioökonomische Gerechtigkeit und politische Teilhabe sichtbar werden. Sie können aber einen fruchtbaren Ansatzpunkt bilden.
Orkan Kösemen, Bürgersinn in der Einwanderungsgesellschaft. Was Menschen in Deutschland unter einem guten Bürger verstehen, Hg.: Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 31 Seiten, Download
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