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Mit eigener Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen, ist für behinderte Menschen äußerst schwer. Auf dem regulären Arbeitsmarkt haben sie kaum Chancen, das Angebot inklusiver Arbeitsplätze in Werkstätten und bei Behörden ist begrenzt. Gefragt sind neue Geschäftsfelder, die soziale Teilhabe, ein modernes Beschäftigungsprofil und rentables Wirtschaften zusammenbringen. Diesen Anforderungen soll das inklusive Boardinghouse-Konzept genügen, das der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS)* kürzlich in Fachkreisen vorgestellt hat. „Ziel ist die Schaffung stabiler Arbeitsplätze, auf denen Menschen mit Behinderung ihren Lebensunterhalt durch Einkommen aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung erwirtschaften können“, erklärt Bernhard Pflaum vom KVJS gegenüber der Trendinfo-Redaktion.
„Inklusionsunternehmen als Betreiber von Boardinghouses sind ein Novum“, ergänzt Frank Klasen, Projektleiter und Hotel-Fachberater. Vorgesehen sind inklusive 3-Sterne-Häuser in dynamischen Groß- und Mittelstädten, in der Nähe von Wissenschaftsparks, Gewerbezonen und Messezentren. Angesprochen sind vor allem Geschäftsreisende auf der Durchreise oder längeren beruflichen Einsätzen vor Ort. Nicht gebuchte Boardinghouse-Apartments sollen tagesaktuell als Hotelzimmer für Geschäfts- und Urlaubsreisende vermietet werden.
Hotelbetriebe mit ihrem weitgefächerten Dienstleistungsangebot eignen sich in besonderer Weise für die Beschäftigung von Behinderten. Deren Einsatz richtet sich nach Art und Ausmaß des Handicaps. Die Gemeinnützigkeit des Inklusionsunternehmens bedingt eine Beschäftigungsquote von mindestens 40 Prozent für behinderte Menschen. Das Personalkonzept sieht Supervision und Training für diesen Personenkreis vor, außerdem muss eine ausgewogene Besetzung mit leistungsstarken und -schwachen Mitarbeitern vorliegen.
Barrierefreiheit und inklusive Gestaltungsideen ziehen sich durch alle Bereiche des Hauses. Das reicht vom Rezeptions- und Bartresen, den auch Rollstuhlfahrer bedienen können, bis zur Blindenschrift und Etagenansage im Aufzug. In der Außenwirkung sollte das Haus eine Geschichte erzählen und seine besondere Botschaft als Integrationsunternehmen hervorheben. „Auf den Punkt gebracht: Ich muss dem Gast klar kommunizieren, warum er ausgerechnet in diesem Haus übernachten soll und nicht woanders“, betont Klasen.
Die Untergrenze für die Wirtschaftlichkeit liegt laut Rahmenkonzept der KVJS bei zusammen 64 Apartments, Hotelzimmern und einem Tagungsraum. Die Planrechnung kalkuliert Baukosten von acht Millionen Euro (inkl. Grundstück von 1.300 bis 1.500 Quadratmeter) und Investitionen für den Betreiber von 1.300.000 Euro netto (Einrichtung und Inventar). Die KVJS sieht Investitionszuschüsse pro Behinderten-Arbeitsplatz von 35.000 Euro sowie weitere Fördermittel zur Projektentwicklung vor. Zusätzliche Mittel können bei der Aktion Mensch und der Bundesagentur für Arbeit beantragt werden.
Die Rahmenkonzeption verspricht Investoren eine „gesellschaftliche Investition mit bester Rendite“. Nur was bedeutet das angesichts einer avisierten Rendite von lediglich 2,5 bis 3 Prozent? In erster Linie geht es Inklusionsunternehmen darum, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen zu schaffen. „Das setzt wirtschaftlich tragfähige Konzepte voraus, die in ökonomisch stabilen Segmenten angesiedelt sind“, erläutert Pflaum. „Wir gehen davon aus, dass die Kombination aus staatlichem Engagement und sozialen Unternehmen mit erwerbswirtschaftlicher Ausrichtung für solche Investoren interessant ist, die ihr Portfolio um langfristige Renditen ergänzen wollen und der sozialen Orientierung von Inklusionsunternehmen eine Bedeutung beimessen.“
Grundsätzlich ja. Die Förderung von Inklusionsbetrieben ist im Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch – bundesweit geregelt. Allerdings obliegt es der Entscheidung jedes einzelnen Integrationsamtes, welche Förderung zur Verfügung gestellt wird.
Bei der Förderung von Inklusionsbetrieben übernimmt das KVJS-Integrationsamt einen Teil der Beratung und Finanzierung aus öffentlichen Mitteln. „Insofern sind wir sehr daran interessiert, dass nur wirtschaftlich tragfähige Unternehmenskonzepte in den Betrieb gehen“, begründet Pflaum. Nach den bislang „nur guten Erfahrungen“ mit inklusiven Hotels könnte es auch mit den Boardinghouses klappen. Klar ist jedenfalls: „Inklusionsunternehmen müssen, wie die Mitbewerber auch, durch Leistung überzeugen. Ein Sozialbonus ist nicht Bestandteil der Betriebskonzepte.“ Schon bald soll der Beweis folgen: Die Grundsteinlegung für das bundesweit erste inklusive Boardinghouse ist für die kommenden Monate in Stuttgart geplant.
* Der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) ist Kompetenz- und Dienstleistungszentrum für die 44 Stadt- und Landkreise Baden-Württembergs.
Rahmenkonzeption Hotel- und Boardinghouse mit integrativem Betriebskonzept. Herausgegeben vom KVJS. Die Broschüre (47 Seiten) kann hier angefordert werden:
www.kvjs.de, Ansprechpartner: Bernhard Pflaum
Projektleitung Integratives Boardinghouse Hotel
Frank Klasen, AHC, www.consulting-klasen.com
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