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Tatkräftig anpacken, für andere da sein: Das haben sich Bürgerhilfevereine in die Statuten geschrieben. Oft unterstützen sie ältere Menschen im Alltag, begleiten sie zum Arzt, mähen den Rasen. Häufig stemmen Ehrenamtler sogar kommunale Projekte, betreiben das Senioren-Kino oder lenken den Bürgerbus. Vor allem im ländlichen Raum, wo die Infrastruktur öffentlichen Lebens infolge von Abwanderung schwindet oder ohnehin kaum vorhanden ist, füllen die Helfer gravierende Versorgungslücken. Das Verbundprojekt BUSLAR* der Hochschulen Fulda und München untersucht das Potenzial dieser selbstorganisierten Bürgerdienste, analysiert die Interessen der Beteiligten und erörtert, wie Bürgerhilfevereine gestärkt werden könnten.
Beispielhaft nimmt sich die Studie zwei ländliche Regionen (Landkreis Fulda, Osthessen, und Landkreis Eichstätt, Oberbayern) vor. Drei Bürgerhilfegruppen vor Ort begleiteten das Projekt nach der Methode partizipativer Forschung. Die osthessischen Kommunen Tann/Rhön und Großenlüder liegen in einem land- und forstwirtschaftlich geprägten strukturschwachen Raum mit einem Bevölkerungsrückgang von geschätzten sechs Prozent (bis 2030). Das prosperierende Gaimersheim nahe Ingolstadt (Sitz von Audi) hingegen ist in eine industriell monostrukturierte und krisenanfällige Region eingebettet, mit einem prognostizierten Bevölkerungszuwachs von 7,4 Prozent.
Strukturschwacher und prosperierender Landstrich: Beiden gemeinsam sind die Nachteile des demografischen Wandels vor allem für ältere Menschen, darunter der Verlust von familiärem Zusammenhalt und Nachbarschaftshilfe. Dieses Defizit erfordert zivilgesellschaftliche Selbstorganisation unter der Maxime des „Welfare Mix“: Aktive Bürger unterstützen hilfsbedürftige Mitbürger, wo öffentliche Daseinsvorsorge nicht mehr ausreicht. Dabei ist die ältere Generation als Nutzer und Anbieter sozialer Leistungen doppelt angesprochen. Der 6. Altenbericht der Bundesregierung (2010) spricht konsequent davon, „dass sowohl auf der individuellen als auch auf der politischen Ebene eine aktive Bürgerrolle älterer Menschen vermehrt angenommen und vorausgesetzt wird.“
Klärungsbedürftig ist, worin diese „aktive Bürgerrolle“ genau besteht und wie groß die Erwartungen an ehrenamtliche Bürgerhilfe im System kommunaler Daseinsvorsorge sein dürfen. „Der Nutzen der freiwilligen Hilfen liegt (...) eher nicht in einer größtmöglichen Versorgung aller Hilfebedürftigen am Ort“, stellt Studien-Mitautorin Prof. Monika Alisch von der Universität Fulda klar. „Die Bürgerhilfevereine bieten vielmehr Plattformen für einen lebendigen sozialen Austausch und soziale Teilhabe.“ Das wird in den untersuchten Kommunen bereits an Vereinsnamen wie „Miteinander – Füreinander“ oder „Füreinander da sein“ deutlich.
Überhaupt muss sich ehrenamtliche Bürgerhilfe im Spannungsfeld divergierender Erwartungen der Beteiligten bewähren. Die Helfer sind an einer sinnstiftenden Tätigkeit interessiert und wollen das Dorfleben fördern. Um sich vor ständigen Ansprüchen zu schützen, wollen sie in der Regel keine persönlichen, familienähnlichen Beziehungen zu den Hilfsbedürftigen aufbauen. Anders die Hilfesuchenden: Sie wünschen sich eher eine persönliche Beziehung als nur ein Projekt, möchten erst einmal Vertrauen aufbauen, bevor sie sich in den eigenen vier Wänden konkret helfen lassen.
Die „Divergenz der Interessenorientierung“ geht noch weiter. Angesichts knapper Ressourcen halten die Vereine ihre Hilfe im Bereich direkter Dienstleistungen (im Haushalt helfen, einkaufen) für wichtiger als niedrigschwellige gemeinsame Aktivitäten (Kaffeeklatsch, Ausflüge). Eine Wertung, die zu hinterfragen ist: „Vielmehr sollten niedrigschwellige soziale Angebote als wichtige Voraussetzung für den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses verstanden werden, welches die Inanspruchnahme von Hilfeleistungen erleichtert.“
Die Unterstützung durch die Kommunen reicht von der Anschubfinanzierung über die Finanzierung von Büroräumen bis zur ausschließlich ideellen Förderung. „Die finanzielle Förderung ist abhängig von der jeweiligen Haushaltslage“, benennen die Wissenschaftler ein Dilemma. „Dabei können gerade jene Kommunen, die aufgrund des demografischen Wandels am dringendsten auf die Angebote der Bürgerhilfevereine angewiesen sind, die geringsten Mittel zur Verfügung stellen.“ Die Bürgerhilfevereine konkurrieren zudem mit weiteren Vereinen vor Ort um öffentliche Mittel, um Mitglieder und Sponsoren.
Die Schlussfolgerung der Autoren ist unmissverständlich: „Bürgerhilfevereine können es mittelfristig nicht leisten, als Co-Produzenten der Daseinsvorsorge die Kommunen und Landkreise zu entlasten.“ Im Sinne erweiterter Daseinsvorsorge organisierten sie jedoch soziales Leben, Dorföffentlichkeit und Lebensqualität. „Die Engagierten wollen darüber hinaus in der Regel nicht ,professionalisiert’, mit weiteren Aufgaben und Verantwortungen in der Kommune belastet und zeitlich über ihre eigenen Interessen hinaus beansprucht werden“, stellt Monika Alisch gegenüber der Trendinfo-Redaktion fest.
Kommunale Politik und Verwaltung sollten die Arbeit der Vereine stützen und fördern. Zum einen dadurch, dass sie Verwaltungsabläufe und Sprechzeiten im Sinne effektiver Zusammenarbeit organisieren. Zum anderen durch die Vernetzung aller an der Daseinsvorsorge beteiligten Freiwilligen und professionellen Kräfte. Ein ebenso nützliches wie schwieriges Unterfangen, wie das Forschungsprojekt am Beispiel haushaltsnaher Betreuungsleistungen im Rahmen der Pflegeversicherung zeigt. Die örtlichen Pflegedienste sind an einer Kooperation mit den Bürgerhilfevereinen kaum interessiert – wohl auch aus Konkurrenzangst –, während sich die Ehrenamtlichen nicht in Dauerverpflichtungen einspannen lassen wollen.
Das Projekt spricht noch weitere Optionen zur Weiterentwicklung der Bürgerhilfevereine an, zum Beispiel die Neuausrichtung innerer Strukturen oder die Gründung einer als Sozialunternehmen tätigen Genossenschaft. Zahlreiche Faktoren gilt es vorab zu klären, zum Beispiel die Belastbarkeit des Engagements der Mitglieder und deren Motivation zum Ehrenamt. Entscheidend sei vor allem die tatkräftige Bereitschaft der Kommunen und Landkreise, das sensible Pflänzchen bürgerschaftlichen Gemeinsinns der Vereine zu hegen und zu pflegen. „Dann kann sich ihre offenkundig wichtige Funktion zum Erhalt der ländlichen Gemeinwesen entfalten“, sind die Autoren vorsichtig optimistisch.
* BUSLAR: Bürgerhilfevereine und Sozialgenossenschaften als Partner der Daseinsvorsorge – Modellentwicklung zur ergänzenden Hilfeleistung für ältere Menschen in ländlichen Räumen. Ein Forschungsprojekt der Hochschulen Fulda und der Hochschule für angewandte Wissenschaften München, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Infos zum Projekt: www.buslar.de
Monika Alisch / Martina Ritter / Yvonne Rubin / Roger Glaser,
Miteinander, Füreinander, für Andere? Selbstorganisierte Unterstützung für Ältere in ländlichen Räumen, in: Monika Alisch, Stephanie Hagspihl, Claudia Kreipl, Martina Ritter (Hrsg.), Alter(n) und Soziale Nachhaltigkeit. Interdisziplinäre Zugänge zu den Herausforderungen alternder Gesellschaften. Gesellschaft und Nachhaltigkeit,
Bd. 5. Kassel 2017, Kassel University Press, Seiten 173-191
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