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Ein Bewohner eines Alten- oder Pflegeheims hierzulande verbraucht ebenso viel Energie wie eine vier- bis sechsköpfige Familie – tagtäglich. Das Sparpotenzial ist enorm, schätzen Experten. Genauere Ergebnisse liefert ein Modellprojekt des Steinbeis Forschungsinstituts Solites (Stuttgart) mit elf Heimen in NRW und Baden-Württemberg: Demnach entsprechen die eingesparten Energiemengen dem Wärmeverbrauch von elf, dem Wasserverbrauch von 26 und dem Stromverbrauch von 55 Einfamilienhäusern mit Vier-Personen-Haushalt. Wie lässt sich nun konkret die Energieeffizienz im Altenheim erhöhen? Das Projekt liefert nützliche Hinweise.
Fürs Energiesparen kommen viele Maßnahmen infrage: angepasstes Nutzungsverhalten, Verringerung der Betriebsdauer etwa von Heizungs- und Lüftungsanlagen, regelmäßige Wartung oder Ersatz und Modernisierung technischer Anlagen. Vorstehendes Projekt zielt eher niedrigschwellig auf das energiebewusste Handeln der Beschäftigten in den Einrichtungen und auf gering-investive technische und organisatorische Schritte.
Das Projekt „Energieeffizienz für Pflegeeinrichtungen“ fand zwischen Juni 2015 und Oktober 2018 unter Führung von Solites zusammen mit dem Amt für Umweltschutz Stuttgart, dem Beratungsbüro Johannes Nowak für Sozialunternehmen (Meerbusch) und elf Pflegeeinrichtungen in den beiden Bundesländern statt. Das gemeinsam entwickelte Konzept bestand aus mehreren Modulen für ein modernes Energiemanagement: Initialanalyse, Personalschulungen, Workshops zum Austausch zwischen den Piloteinrichtungen, Info-Material und abschließende Evaluation. Ein eigens geschaffenes Internetportal zur Erfassung des Energieverbrauchs der einzelnen Einrichtungen berechnet auch künftig die monatliche Energiebilanz und macht somit Erfolg und Schwachstellen der ergriffenen Maßnahmen sichtbar.
Die elf Piloteinrichtungen (in der Auswertung anonymisiert) decken ein großes Spar-Spektrum ab. So erzielte eine Einrichtung die höchste Einsparung von Wärmeenergie (21 %) unter allen Häusern durch die neue Einregelung von Heizung und Warmwasseraufbereitung. Dem war ein wochenlanger Optimierungsprozess durch Haustechnik und Wartungsfirma unter Einbeziehung der Rückmeldungen von Pflegepersonal und Heimbewohnern vorausgegangen. Ein weiteres Heim errang den Spitzenplatz bei der Stromersparnis (19 %): ein Beispiel für sinnvolle Erneuerung der Anlagentechnik, mit der zugleich die CO2-Emissionen drastisch fielen (44 %). Zunächst wurde der Stromkessel durch einen Gaskessel und ein BHKW ersetzt, dann kam eine Solarthermieanlage hinzu. Energiemanagement sorgt seither für optimale Lastverteilung der Komponenten zu jeder Jahreszeit.
Für das Gesamtprojekt gilt: Entscheidend ist nicht das Abarbeiten einer abstrakten Maßnahmenliste, sondern die Schärfung des Blicks für die energetische Gesamtsituation der Einrichtung und sich daran anknüpfende Schritte. So unterhält ein Heim zwei Elektroautos für seine ambulanten Dienst. Zugleich hat die denkmalgeschützte Einrichtung die teilweise undichten Holzfenster nicht ausgetauscht, sondern lediglich abgedichtet und die Mitarbeiter in Fensterlüftung und Heizkörperbedienung geschult. Ein anderes Heim prüfte in seiner Wäscherei das Wiegen der Wäschemenge, um Waschmaschinen und Trockner bestmöglich auszulasten. (Beschreibung der Sparmaßnahmen der elf Heime und Auswertung der Energiedaten unter: www.ee-fuer-pflege.de/projekt/energiedatenauswertung/)
Nicht alles, was technisch machbar, wirtschaftlich erstrebenswert und ökologisch sinnvoll ist, passt auch durch das Nadelöhr der Pflegebürokratie. „Insgesamt ist es schwierig, im Pflegesektor Motivation für das Thema Energiesparen zu stiften“, sagt Projektleiterin Magdalena Berberich von Solites. Einen Grund dafür sieht sie im gesetzlichen System der Pflegekostenabrechnung, das kaum Anreize für Einsparungen gibt. „Da Investitionen das Heimentgelt und damit den Eigenanteil der Bewohner erhöhen, besteht kein Anreiz für Investitionen in effiziente Anlagentechnik oder die Gebäudehülle, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen“, beklagt Berberich. Deshalb beschränke sich der akzeptable Handlungsspielraum für Energiesparmaßnahmen auf das Nutzerverhalten und gering-investive Maßnahmen. Hinzu komme der vergleichsweise überschaubare Stellenwert energiebezogener Investitionen: Die Personalkosten liegen bei 80 Prozent der Gesamtkosten einer Einrichtung, die Energiekosten zwischen 2,5 bis 4,0 Prozent.
Das Modellprojekt kann nach Angaben der Verantwortlichen mit erheblichen Einsparungen überzeugen: 2017 wurden im Vergleich zu den Jahren 2013 bis 2015 im Durchschnitt aller elf Einrichtungen jeweils acht Prozent an Wärme, Strom und Wasser gespart. Bei rund 11.000 Alten- und Pflegeheimen hierzulande deutet das auf ein riesiges Sparpotenzial. Außerdem sparte das Modellprojekt 13 Prozent an CO2-Emissionen ein (in Summe 380 Tonnen). Berechnungen schätzen das Vermeidungspotenzial für die deutsche Pflegebranche auf bis zu 2,5 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr.
Die laufende Betriebsoptimierung der Energieversorgung, eine konsequente Umsetzung des Energiemanagements und das Verhalten des Personals sind entscheidende Erfolgsbedingungen. Vor allem die Motivation der Mitarbeiter, sich für sparsame Energieverwendung in den kleinen und großen Dingen ihres Arbeitsalltags einzusetzen, ist überaus wichtig. Dabei müssen Geschäftsleitung, Pflegepersonal und die Mitarbeiter aus Haustechnik und Versorgung (Küche, Wäscherei etc.) an einem Strang ziehen. Das Interesse ist oft vorhanden, viele pflegende Mitarbeiterinnen äußerten jedoch, dass der dauerhafte Stress im Job kaum erlaube, das Thema nachhaltig zu verfolgen. Vielfach sei auch Unwissenheit oder Gleichgültigkeit festzustellen, ganz nach dem Motto: „Mit der Energie im Haus habe ich persönlich nichts zu tun, weil ich sie ja auch nicht bezahle“, berichtet Berater Nowak.
Mitarbeiterinnen mit dieser Einstellung könnten möglichweise dank einer tieferen Erkenntnis aus der zweijährigen Pilotphase überzeugt werden: „Energie muss sichtbar werden, damit sich die Menschen in den Einrichtungen dafür interessieren“, sagt die Expertin. „Erst wenn Beschäftigte in ihrem Arbeitsbereich bisherige Verhaltensweisen im Umgang mit Energie hinterfragen, können sie diese auch verändern.“
Kontakt und weitere Informationen:
Magdalena Berberich
Solites, Steinbeis Forschungsinstitut für solare und zukunftsfähige thermische Energiesysteme
Meitnerstr. 8, 70563 Stuttgart
Telefon 0711 673 2000-55
E-Mail: info@ee-fuer-pflege.de
www.ee-fuer-pflege.de
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