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Mal eben herausfinden, warum die Hauptstraße im Ort gesperrt ist, ob der Friseur noch geöffnet hat oder wer günstig das Badezimmer fliesen kann – digitale Nachbarschaftsplattformen und lokal agierende Facebook-Gruppen machen’s möglich. Das Angebot ist riesig: Es reicht von ehrenamtlich geführten Stadtteilblogs über lokale Diskussionsgruppen in Facebook & Co bis hin zu professionellen Plattformen mit bundesweiter Reichweite. Wer nutzt diese Medien und inwieweit tragen sie zu Gemeinschaftsbildung und sozialem Zusammenhalt bei? Das hat die Studie „Wandel von Nachbarschaft in Zeiten digitaler Vernetzung“ des Forschungsinstituts adelphi im Auftrag des Bundesverbandes für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. (vhw) untersucht.
Die Untersuchung stützt sich auf eine umfangreiche Literatur- und Medienanalyse, eine bundesweite Bestandsaufnahme digitaler Nachbarschaftsplattformen und eine Online-Befragung von Plattformbetreibern und -nutzern. Vier Fallstudien (Berlin-Wedding, München-Neuperlach, Paderborn-Elsen, Meißen) liefern regional und sozialräumlich vertiefende Erkenntnisse, sollen hier aber nicht eigens aufgegriffen werden.
Bundesweit fanden die Studienautoren acht überregionale und 13 lokale Nachbarschaftsplattformen. Allein die Plattform „nebenan.de“ hat über 4.600 aktive Nachbarschaften mit mehr als 600.000 Nutzern, „Nachbarschaft.net“ hat mittlerweile über 200.000 User. Die Zahlen ändern sich jedoch ständig – neue Plattformen kommen dazu, andere stellen ihren Betrieb mangels Finanzmitteln ein. Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer an Menschen, die über Facebook, WhatsApp und andere Medien mit ihren Nachbarn kommunizieren.
Die Nutzer der Nachbarschaftsplattformen sind zwischen 25 und 70 Jahre alt. Mit Mitte 40 liegt der Altersdurchschnitt dabei deutlich über anderen sozialen Medien. Bislang ist die Nutzung eher ein großstädtisches Phänomen: Besonders in Quartieren, die als anonym empfunden werden, kompensieren die Plattformen den Mangel an öffentlichen Begegnungsorten. Viele Nutzer sind Alleinstehende und/oder Zugezogene. Menschen mit eingeschränkter Mobilität – junge Eltern oder Ältere – sowie Ehrenamtler nutzen sie ebenfalls häufig. Doch auch in ländlich geprägten Regionen und Kleinstädten werden zunehmend digitale Medien verwendet.
In den Großstädten sind vor allem Mittelschichtangehörige mit hohem Bildungsniveau auf den Nachbarschaftsplattformen unterwegs. Menschen mit Migrationshintergrund nutzen diese deutlich weniger.
Rund 75 Prozent der Umfrageteilnehmer verwenden die Plattformen für Kleinanzeigen oder zum Tauschen und Teilen von Dingen. 70 Prozent nutzen sie außerdem für die Vermittlung von Hilfeleistungen und um Nachbarn kennenzulernen. „Nachbarschaftsplattformen machen die Angebote lokaler Akteure leichter zugänglich und senken die Hemmschwelle, mit Nachbarn in Kontakt zu treten. Indem sie das Entstehen loser sozialer Kontakte befördern, können diese Plattformen zur Ausweitung des sozialen Netzwerks und milieuübergreifender Beziehungen beitragen: Hier treffen auch Menschen aufeinander, die sich im analogen Raum kaum begegnet wären“, so die Studienautoren.
Liegen festere, klar umgrenzte Gruppen vor oder entstehen engere persönliche Bindungen, verlagert sich die Kommunikation zwischen Nachbarn dann oft auf Messengerdienste wie WhatsApp (Nachbarschafts-Gruppe, Gassi-Geher, Freundeskreis, Wandergruppe, etc.) – und damit mehr ins Private.
Soziale Medien schaffen jedoch nicht nur Raum für einen konstruktiven Austausch – sie dienen zugleich als Stimmungsanzeiger für lokale Themen und Bedürfnisse: So können Online-Diskussionen für lokale Akteure wie Quartiersmanagements und Kommunalverwaltungen wichtige Anhaltspunkte für die eigene Arbeit liefern und zugleich die Kommunikation mit Bürgern erleichtern.
Während auf den Nachbarschaftsplattformen meist freundlich kommuniziert wird – was vermutlich damit zusammenhängt, dass die Teilnehmer dort in der Regel mit Klarnamen auftreten – geht es in lokalen Facebook-Gruppen oft heiß her. „Hier besteht die Gefahr, dass bereits vorherrschende politische Polarisierungen und gegenseitige Abgrenzung noch weiter verstärkt werden. Ohne Gegenstimmen oder moderierende Eingriffe können hochfrequentierte lokale Gruppen in sozialen Medien zum Beispiel rechtspopulistischen Meinungen eine Plattform bieten und diese weiter normalisieren“, warnen die Autoren. Demokratiefördernde Arbeit lokaler Akteure sollte daher verstärkt auch im digitalen Raum ansetzen.
Ein wichtiger Aspekt zur Zukunft der Nachbarschaftsplattformen ist die Finanzierung: Welche Risiken birgt beispielsweise der unternehmerische Ansatz von Plattformen wie „nebenan.de“, falls sie an Konkurrenten verkauft werden – mitsamt der Nutzerdaten? Die Empfehlung der Studienautoren: Bund, Länder und Kommunen sollten hier prüfen, ob öffentlich finanzierte Plattformen eine sinnvolle Alternative sein könnten.
Franziska Schreiber / Hannah Göppert, Wandel von Nachbarschaft in Zeiten digitaler Vernetzung. Explorationsstudie zur Wirkung digitaler Medien mit lokalem Bezug auf sozialen Zusammenhalt und lokale Teilhabe in Quartieren. Hg.: adelphi im Auftrag des Bundesverbandes für Stadtentwicklung und Wohnen e.V.
Berlin 2018, 63 Seiten, Download
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