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Wie gehen Menschen mit der Corona-Krise um? In welcher Phase der Krise befindet sich unsere Gesellschaft aktuell? Was ist für die Zukunft zu beachten? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Teilstudie „Die Corona-Krise und Strategien der Bewältigung“, die das Kölner Rheingold-Institut im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellt hat. Ihr Fazit: Es gibt fünf unterschiedliche Strategie-Typen zur Bewältigung der Corona-Krise. Aufgabe einer guten Krisenkommunikation ist es, für jeden Typus die richtige Ansprache zu finden und dessen individuelle Stärken zu nutzen, um die Krise gemeinsam zu überstehen.
Für die qualitative Studie wurden 135 Probanden unterschiedlicher Religionszugehörigkeit im Alter von 25 bis 59 Jahren in Tiefeninterviews und Online-Chats befragt. Am Anfang der Corona-Krise war eine starke Fokussierung der Bevölkerung auf die Experten und ihre Empfehlungen sichtbar. So gaben klare Hygienevorgaben den Menschen das Gefühl, eine gewisse Kontrolle über das Pandemiegeschehen zu haben, wenn sie diese Regeln befolgen. Gesundheit und eine verstärkte Sinnorientierung standen weit oben auf der Prioritätenliste, der persönliche Freiheitsanspruch trat hinter einem starken Sicherheitsbedürfnis zurück. Es entwickelten sich neue Rituale, wie zum Beispiel tägliche Spaziergänge, um dem reduzierten Alltag eine klarere Struktur zu geben. Teilweise war diese erste Phase auch begleitet von Aktionismus wie Hamsterkäufen.
Seit einigen Wochen wird die Haltung der Bevölkerung gegenüber einschränkenden Maßnahmen jedoch zunehmend kritischer: Der Ruf nach rascheren Lockerungen wird lauter, Risiken werden relativiert oder gar geleugnet, Verschwörungstheorien grassieren. Die Gesellschaft polarisiert sich, alte Spannungen brechen wieder auf.
Um eine weitere Fragmentierung der Gesellschaft zu verhindern, komme es nun darauf an, unterschiedliche Formen der Ansprache zu finden, um alle Menschen in der Krise mitzunehmen, schreiben die Studienautor*innen. Sie unterscheiden dabei fünf Strategie-Typen: stabile Krisenmanager, kreative Vergemeinschafter, tatkräftige Optimisten, besorgte Schutzsuchende und eigenmächtige Aktivisten.
Die Krisenmanager
Stabile Krisenmanager sehen sich für Corona durch ihre familiären, nachbarschaftlichen und freundschaftlichen Bindungen gut gerüstet. Viele sind gläubig und vertrauen außerdem auf die Fähigkeit des Staates, die richtigen Maßnahmen zu treffen. Sie engagieren sich für Benachteiligte und gelten als wichtiger Stabilitätsanker in der Krise. Um eine höhere Wirksamkeit zu erreichen, brauchen sie jedoch Plattformen, auf denen sie ihre Hilfsbereitschaft ausleben und öffentlich machen können.
Die kreativen Vergemeinschafter
Gleiches gilt für die kreativen Vergemeinschafter – Menschen, die kreativ mit der Krise umgehen, indem sie Kultur, Kunst und Begegnungen online inszenieren – zum Beispiel virtuelle Konzerte, Ausstellungen oder Lesungen. Auch sie sind auf geeignete Möglichkeiten der Vervielfältigung angewiesen.
Die Optimisten
Tatkräftige Optimisten halten die Stimmung hoch und äußern gerne Durchhalteparolen. Sie sind jedoch eher unsichere Kantonisten, die bei einer Verschlechterung der Situation auch schnell aus ihrer Optimistenrolle herausfallen können.
Die Besorgten
Besorgte Schutzsuchende fühlen sich durch die Pandemie stark erschüttert. Sie befürchten schlimme Auswirkungen und sind grundsätzlich eher pessimistisch. Positiv ist, dass sie andere zu mehr Vorsicht animieren können. Meist sind sie sehr informiert, wenn auch nicht immer aus seriösen Quellen. Besorgte Schutzsuchende benötigen daher vor allem neutrale, qualitätsgesicherte Informationen und ausreichend Hilfestellung, damit sie nicht in Panik verfallen oder diese verbreiten.
Die Aktivisten
Eigenmächtige Aktivisten haben ein klares Weltbild und glauben oft, Dinge besser zu durchschauen als andere und zu wissen, was richtig oder falsch ist. Sie informieren sich in den ihnen passenden Medien und Publikationen und teilen ihre Erkenntnisse gerne anderen mit. Auch echte Experten und kritische Geister können eigenmächtige Aktivisten sein. Mit ihren Beiträgen und Ideen sind sie durchaus in der Lage, den gesellschaftlichen Diskurs in der Krise positiv vorantreiben und neue Lösungen zu entwickeln. Durch ihre oft apodiktische Haltung können sie den Dialog aber auch weiter polarisieren und Verwerfungen vertiefen.
„Die verschiedenen Krisenbewältigungstypen sind mit ihren Stärken und Schwächen auch in der gegenwärtigen Phase gut erkennbar“, heißt es in der Studie. Alle könnten mit ihren Stärken dazu beizutragen, die aktuellen Herausforderungen zu meistern – wenngleich die Besorgten und die Aktivisten die Krise auch verstärken könnten, weil sie emotional agieren bzw. polarisieren. „Der weitere gesellschaftliche Umgang mit der Krise sollte sich daher auch an den Potenzialen der unterschiedlichen persönlichen Strategien von Menschen orientieren“, empfehlen die Autor*innen.
Franz Neyer, Professor für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik der Universität Jena, geht noch ein Stück weiter: Er plädiert dafür, Menschen möglichst schon von Kindheit und Jugend an ganz individuell für ihre Stärken und Schwächen zu sensibilisieren. „Nur wer sich selbst gut kennt, kann in einer solchen Situation, wie wir sie jetzt erleben, seine individuellen Risiken einigermaßen akkurat einschätzen und sein Verhalten entsprechend anpassen.“
Johannes Dorn / Sabine Loch / Anne-Kathrin Vitt, Die Corona-Krise und Strategien der Bewältigung – Ergebnisse tiefenpsychologischer Interviews, Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Gütersloh 2020, 15 Seiten, Download
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