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Wo eine Krise, da viel Licht: Zu Corona-Zeiten erlebt soziales Engagement eine neue Blüte, packen Menschen in der Nachbarschaft an, gründen Helferinitiativen, sammeln Spenden. Damit erweist sich zivilgesellschaftliches Handeln nach der Flüchtlingskrise wieder einmal als systemrelevant. Doch zugleich beutelt die Corona-Krise auch die Helfer und bedroht manche gemeinnützige Organisation in ihrer Existenz. Dramatische Einnahmeausfälle und der Schock abrupter Digitalisierung stellen ihre Arbeitsfähigkeit in Frage. Eine Studie der Forschungsstelle ZiviZ im Stifterverband analysiert die Herausforderungen. Sie empfiehlt, zivilgesellschaftliches Engagement künftig enger in politische Prozesse einzubinden und existenzbedrohten Initiativen Finanzhilfe zukommen zu lassen.
Die Untersuchung geht ausführlich auf die „Lage des freiwilligen Engagements in der ersten Phase der Corona-Krise“ ein, wie es im Untertitel heißt. Auf der Basis von 45 leitfadengestützten Interviews mit Vertreter*innen von Verbänden, Infrastruktureinrichtungen Bürgerstiftungen und Selbsthilfeinitiativen werden zehn Engagement-Bereiche thematisiert. Einige Kapitelüberschriften lauten:
Im Folgenden werden beispielhaft einige markante Krisenfolgen in einzelnen Handlungsfeldern genannt.
Um existenzbedrohende finanzielle Notlagen gemeinnütziger Organisationen abzuwenden, sollten Bund und Länder eng kooperieren und den Zugang zu finanzieller Soforthilfe ermöglichen, fordern die Studienautor*innen. Stark betroffen sind demnach u. a. Jugend- und Bildungswerke, Kultureinrichtungen, Selbsthilfeorganisationen und einzelne Umweltschutzorganisationen. Mehrere Bundesländer sind in diesem Sinne bereits tätig geworden. Der Verlust von Mitgliedern, Spenden und Sponsoren könnte mit zeitlicher Verzögerung noch manche Initiative in Schieflage bringen.
Das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung im Gemeinnützigkeitsrecht verhindert den Aufbau adäquater Rücklagen. In der Krise zeigt sich, dass diese rechtliche Anforderung den betriebswirtschaftlichen Realitäten in Krisenzeiten entgegensteht. Das Gemeinnützigkeitsrecht sollte vor dem Hintergrund der Corona-Krise weiterentwickelt werden.
Digitalisierung verlangt Organisationsentwicklung – dafür braucht es weit mehr Einzelfallberatung, legt die ZiviZ-Studie nahe. Wie verändert digitales Arbeiten die Organisationskultur? Welche Außenprozesse (Mobilisierung, Fundraising, Kommunikation) können auf welche Weise digital ausgestaltet werden? Ideal wäre es, wenn Bund und Länder den Aufbau von Beratungskapazitäten etwa in Freiwilligenagenturen und Mehrgenerationenhäusern, Seniorenbüros, Selbsthilfekontaktstellen und Verbänden fördern und mit der in Gründung stehenden Bundesstiftung für Engagement und Ehrenamt vernetzen würden.
Viele Initiativen haben sich während des strikten Lockdowns der Möglichkeiten digitaler Kommunikation rasch und kreativ bemächtigt. Vielfach blieb aber auch ein Gefühl von Überforderung, u. a. auch bei Fragen von Datenschutz und Datensicherheit etwa für Videokonferenzen oder cloudbasiertes Arbeiten. Hier regt die Studie eine Whitelist an, die Überblickswissen über Anbieter und Funktionalität einzelner Anwendungen, über Kosten und Datensicherheit bietet.
„Zusammengenommen zeigt sich, dass staatliches Handeln in der Krise von Voraussetzungen lebt, die nicht der Staat, sondern Engagierte in Vereinen und gemeinnützigen Organisationen vor Ort erbringen“, beschreibt Studienleiter Holger Krimmer die Lage. Die unverzichtbare Solidarität der vielen Helfer*innen und ihrer Organisationen ist aber keine Einbahnstraße. So beklagt die Studie mit Blick auf die vergangenen Monate: „Die Politik hat die Zivilgesellschaft nicht als Partner, hat Verbände, Stiftungen und andere nicht als wichtige Brücken in die Gesellschaft erkannt.“ Hier sei die Einbindung der Zivilgesellschaft als mitgestaltendem Akteur in die Krisenbewältigung gefragt: über runde Tische, digitale Foren bis hin zu einem Zivilgesellschaftsgipfel im Bundeskanzleramt. Solche Beteiligungsverfahren könnten der Politik eine höhere Legitimation für den weiteren Weg durch die Krise geben.
Holger Krimmer / Magdalena Bork / Lydia Markowski / Johanna Gorke: Lokal kreativ, finanziell unter Druck, digital herausgefordert. Die Lage des freiwilligen Engagements in der ersten Phase der Corona-Krise. Herausgeber: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Mai 2020, 30 Seiten, Download
Die Untersuchung wurde von den Bundesländern Bayern, Berlin, Rheinland-Pfalz und der Ehrenamtsstiftung Mecklenburg-Vorpommern gefördert.
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