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Knaur, München 2019, 320 Seiten, 16,99 Euro.
Warum sind die Deutschen misstrauischer als die Schweizer, Norweger oder Niederländer? Für Eva Schulte-Austum (33) aus Münster ist Vertrauen eine Fähigkeit, die sich erlernen und wie ein Muskel trainieren lässt. Vertrauen folgt klaren Vorgaben und Zutaten, nach denen man – wie in einem Rezept – üben kann. Um das Phänomen des Vertrauens in verschiedenen Kulturen und Ländern zu erforschen, ging die Wirtschaftspsychologin ein Jahr auf Weltreise. Sie flog in die USA, nach Vietnam, nach Schweden, interviewte mehr als 350 Menschen. Sie sprach mit renommierten Vertrauensforschern, Experten aus Politik, Wirtschaft oder Medien und mit ganz normalen Menschen. Immer wieder stellte Eva Schulte-Austum die gleiche Frage: Wie entsteht Vertrauen und was bedeutet es für die Menschen? Sie schrieb ein „Rezeptbuch für ein erfülltes Leben“ und fasste ihre Erkenntnisse so zusammen: „Vertrauen kann jeder“.
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, „Vertrauen braucht Zeit“, „Vertrauen muss man sich verdienen“. Diese Sprüche gehören für Eva Schulte-Austum längst in das Reich der Mythen. Vertrauen lässt sich weder einfordern noch verordnen. Die Wirtschaftspsychologin reiste durch neun Länder und suchte nach weltweit bewährten Vertrauenskonzepten. Vietnam, Kanada, die USA, oder Norwegen gelten als Länder mit hohem Vertrauensniveau. Deutschland gilt statistisch eher als ein misstrauisches Land. Sie sprach mit ganz „normalen“ Frauen und Männern auf der Straße, in der U-Bahn, im Café, im Flugzeug, in einem Ruderboot auf dem Mekong. Ausgewählt hat die Autorin ihre Reiseziele nach einer „zeitstabilen, unabhängigen Metastudie“, die die Ergebnisse der größten internationalen Vertrauensstudien der vergangenen Jahre ausgewertet hat. Das spanische Unternehmen ASEP in Madrid sammelt, kategorisiert und gewichtet die relevanten Daten und erstellt ein Ranking für 117 Länder weltweit.
„Wir alle sind soziale Wesen und brauchen Beziehungen, um glücklich zu sein. Dafür wiederum braucht es Vertrauen. Mit dieser Fähigkeit werden wir auch geboren“, sagt Eva Schulte-Austum im Gespräch mit unserer Autorin. „aber im Laufe des Lebens leidet diese Fähigkeit, weil wir immer wieder mal nicht respektiert oder nicht gesehen fühlen, belogen und enttäuscht werden.“
Wie man zwischenmenschliches Vertrauen misst, ist weitgehend gleich; nahezu jede große Studie stellt laut Eva Schulte-Austum die gleiche Frage: „Glauben Sie, dass man Menschen im Allgemeinen vertrauen kann?“ In Norwegen, dem vertrauensstärksten Land der Welt, antworten 74 Prozent der Einwohner mit „Ja“. In Schweden liegen die Umfragewerte über Jahre konstant bei 60 Prozent, in der Schweiz stabil über 50 Prozent. In diesen Ländern vertrauen die Bewohner ihren Mitmenschen eher, als dass sie ihnen misstrauen. Deutschland zählt statistisch betrachtet auf Platz 20 zu den eher misstrauischen Ländern. Weniger als die Hälfte der Deutschen vertraut der Studie zufolge ihren Mitmenschen. Das Ende der Rangliste aus 117 Ländern bilden seit Jahren Trinidad und Tobago sowie die Türkei mit stabilen Werten unter 5 Prozent.
Ob sie glücklich sei, wurde Eva Schulte-Austum im Sommer 2016 gefragt. Als sie spürte, es fehlt etwas Entscheidendes in ihrem Leben, beschloss die Autorin, sich neu zu orientieren. Ermutigt von ihrer mittlerweile verstorbenen Mutter tauschte die Personalexpertin ihren sicheren Job samt Führungsposition ein gegen das Abenteuer, Vertrauen international zu erforschen. Sie vertraute ihrer eigenen Idee, gründete das World Trust Project und investierte in ihr Herzensthema, wie die Expertin es nennt: „Wir werden zwar mit der Fähigkeit zu vertrauen als einer Art sozialer Grammatik geboren, lernen aber erst im Lauf des Lebens damit umzugehen, ebenso wie mit Empathie oder Hilfsbereitschaft.“ Politische Misstrauensvoten belegen: Vertrauen ist weltweit schon lange nicht mehr selbstverständlich. Selbst das Gottvertrauen ist nach den unzähligen, eher zögerlich aufgeklärten Skandalen in der Katholischen Kirche zurückgegangen.
Ausgelöst wurde bei Eva Schulte-Austums Wunsch, mehr über Vertrauen zu wissen, weil ihr ureigenes Vertrauen als 13-jährige heftig missbraucht wurde. „Ich verlor alles Vertrauen und brach zusammen. Mit 15 Jahren beschloss ich: Wenn ich wieder glücklich bin, schreibe ich ein Mutmach-Buch über Vertrauen.“ Als junges Mädchen gab es keinen, dem sie sich anvertrauen wollte. „Meine Eltern oder Freunde wären da gewesen, aber ich hatte kein Vertrauen, mich ihnen anzuvertrauen.“ Sie sparte für ihren Jungmädchentraum, lebte – trotz gutem Einkommen – in Wohngemeinschaften, machte preiswerten Urlaub als Backpackerin.
Im Sommer 2016 brach die Autorin mit Kamera und Aufnahmegerät auf. Erste Station: Kanada. „Durch ihre freundliche, hilfsbereite Art und ihre Offenheit machten mir die Kanadier den Start leicht.“ Als sie in einem Café in Montreal nicht bezahlen konnte, weil sie ihr Portemonnaie vergessen hatte, vertraute ihr die Bedienung, dass sie wiederkommt. „Das belegen auch alle Forschungsergebnisse. Vertrauen zu verschenken macht Sinn. Vertrauen setzt an einem sensiblen Punkt an, nämlich der Ehre.“ Diesen Vertrauensvorschuss, wie die Autorin es nennt, erlebte die Expertin auf ihrer Reise immer wieder. Tiefes Misstrauen hatte Eva Schulte-Austum dagegen in ihrem deutschen Stammcafé erlebt. Sie musste in einer ähnlichen Situation ein kostspieliges Pfand dalassen. DM-Gründer Götz Werner sagte Eva Schulte-Austum im Interview: „Er spreche lieber von Zutrauen, es grundsätzlich für möglich zu halten, dass sich jemand anständig verhält. Aus Zutrauen, das nicht enttäuscht wird, entsteht schnell Vertrauen“ (S.283).
Vertrauen gliedert sich für die Autorin weltweit in drei Stufen. Erstens: Vertrauen in uns selbst. Zweitens: Das Vertrauen in andere, das zwischenmenschliche Vertrauen. Drittens: Das Vertrauen ins Leben. „Das hängt ganz eng zusammen, wenn wir uns selbst nicht vertrauen können, können wir auch anderen und dem Leben nicht vertrauen. Die Vietnamesen vertrauen in den Glauben und in die Familie.“ Und was haben alle vertrauensstarken Länder gemeinsam? „Sie stellen das Gemeinsame in den Vordergrund, stehen auf Konsens anstatt auf Konflikt. Was in den USA die Freundlichkeit ist, ist in Vietnam der Respekt.“ Was genau Vertrauen eigentlich ist, darüber sind sich die Forscher uneinig. Meist wird intuitiv dem Bauchgefühl vertraut, selten rein rational vertraut. Weitgehend Einigkeit herrscht, über die vier zentrale Merkmale von Vertrauen, dazu gehört die Bereitschaft, sich verletzbar zu machen und die positive Erwartung, dass unser Gegenüber das ihm geschenkte Vertrauen nicht ausnutzt, selbst wenn er es könnte.
„Jeder von uns trägt zwei Wölfe in sich. Der eine heißt Vertrauen, der andere Misstrauen, beide kämpfen jeden Tag auf neue miteinander“, erfuhr Eva Schulte-Austum von dem Schweizer Shaolin-Mönch Shi Xing Mi. „Der Wolf, den du fütterst, ist dauerhaft ein treuer Begleiter“ (S.282).
Vertrauen wird meist erst dann hinterfragt, wenn es brüchig geworden ist. Wenn es verletzt wurde oder verloren ging. „Dann spüren die Menschen erst, welche Kraft Vertrauen hat, wie sehr es Beziehungen bereichert und das Leben leichter macht“, so die Wirtschaftspsychologin.
Bei Interviews vor allem mit deutschen Gesprächspartnern fiel der Autorin auf: Der Mythos, Misstrauen bewahrt vor Enttäuschungen, ist weit verbreitet. Misstrauen schützt aber gar nicht vor Enttäuschungen und negativen Erfahrungen. Im Gegenteil. „Die Forschung zeigt, Misstrauen gegenüber anderen bewirkt genau das Gegenteil. Es fördert das befürchtete Verhalten. „Hegt man Misstrauen, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die Person nicht vertrauenswürdig verhält. Auch wenn wir glauben, der andere spürt es nicht. Tut er unbewusst doch.“ Zu den wichtigsten Vertrauensstiftern und Kernkompetenzen, wie die Autorin es nennt, gehören Verschwiegenheit, Respekt, Unterstützung und Neutralität.
Die Rezepte in dem lesenswerten Ratgeber „Vertrauen kann jeder“ sind gut nachvollziehbar, aber sicher nicht von heute auf morgen umsetzbar. „In vertrauensstarken Ländern beherrschen diese Zutaten selbst die Kleinsten, schreibt die Autorin. „Es ist eine Mischung aus positiven Charaktereigenschaften und Fähigkeiten, die erlernbar und trainierbar sind. Einige wie die Fähigkeit sich einzufühlen, wie Empathie, wurden den meisten in die Wiege gelegt, andere lassen sich mit nötigem Wissen erlernen.“ Es hilft, sich beim Lesen bewusst zu machen, wie schnell sich Misstrauen einschleicht, wie wichtig es ist, Vertrauensfallen wie Tratsch und Klatsch zu meiden und dass blindes Vertrauen „leichtgläubig und naiv“ sein kann.
Die persönliche Quintessenz von Eva Schulte-Austum lautet: „Ich bin deutlich glücklicher und gelassener geworden. Mein Vertrauen in mich, in andere und das Leben ist gestärkt. Die Reise hat mich stark, schlau und attraktiv gemacht, weil ich coole Geschichten zu erzählen habe.“
Vertrauen fällt nicht vom Himmel, sondern ist eine Grundeinstellung dem Leben gegenüber.
Eva Schulte-Austum ist eine Verfechterin des klugen Vertrauens: „Das beweist jemand, der über eine hohe Bereitschaft verfügt, Vertrauen nicht pauschal zu verschenken, sondern es jeweils der Situation anpasst. Nur im Einzelfall prüfen, ob derjenige das Vertrauen zu schätzen weiß: Vertrauen wird dann zu einer persönlichen Leistung, einer Kompetenz, die sich erlernen und trainieren lässt. Deshalb ist kluges Vertrauen stets reflektiert und fundiert.“
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