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Auf die Förderung in den ersten Lebensjahren kommt es besonders an, belegt die Bildungsforschung. Qualifizierte Betreuung, Erziehung und Bildung in der frühen Kindheit haben großen Einfluss auf die Entwicklung und Bildungskarriere eines Menschen. Dennoch sind die meisten Kindergärten hierzulande weit entfernt davon, diesen Ansprüchen zu genügen, kritisiert eine Studie des Deutschen Kitaleitungskongresses (DKLK). Nicht, weil sie nicht wollen oder können, sondern weil man sie nicht lässt: Personalnot, reduziertes Betreuungsangebot, massive Unterfinanzierung – die Studie liest sich streckenweise wie ein Not- und Weckruf. Die Forderung: Weg vom kurzatmigen Reparaturbetrieb, hin zu einer zukunftssichernden Fachkräfteversorgung in der frühkindlichen Bildung!
Die Studie wurde vom Informationsdienstleister Wolters Kluwer zusammen mit dem Verband Erziehung und Wissenschaft (VBE Bund) und seinen 16 Landesverbänden unter wissenschaftlicher Begleitung von Professor Ralf Haderlein von der Hochschule Koblenz erstellt. Sie begleitet den jährlich stattfindenden Deutschen Kitaleitungskongresses. Bundesweit wurden 2.628 Kita-Leitungen nach ihren Arbeitsbedingungen befragt.
Die Kita-Fachkräfte wünschen sich mehr realistische Beurteilung und Wertschätzung ihrer Arbeit. 77 Prozent sehen sich der Studie zufolge mit dem Vorurteil konfrontiert, den Nachwuchs lediglich spielend und bastelnd zu beschäftigen. Eine große Zahl der Befragten (80 %) fühlt sich darüber hinaus von der Politik im Stich gelassen. 75 Prozent sind mit der frühpädagogischen Bildungspolitik ihrer Landesregierung unzufrieden: in NRW 87 Prozent, in Schleswig-Holstein 48 Prozent – insgesamt kein gutes Klima für Nachwuchswerbung.
Die Fachkraft-Kind-Relation – die wissenschaftlich empfohlene Zielgröße – liegt für unter dreijährige Kinder (U3) bei einem Erzieher für drei Kinder, für über Dreijährige (Ü3) bei einem Erzieher für 7,5 Kinder. Die Wirklichkeit sieht indes anders aus: Knapp 95 Prozent der Kitas erfüllen diese Mindeststandards nicht, belegt die DKLK-Analyse. Bei rund 38 Prozent der Kitas liegt eine „Extrembelastung“ mit mehr als zwölf Kindern pro Erzieher vor. Da sind Abwesenheiten wegen Urlaub, Krankheit und Fortbildung noch nicht einkalkuliert. Die einst weltweit vorbildlichen deutschen Kindergärten würden „zunehmend bessere Verwahranstalten, die ihrem Bildungsauftrag trotz aller Anstrengungen nicht gerecht werden können", kommentiert VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann.
Viele der befragten Einrichtungen mussten wegen des Fachkräftemangels vorübergehend ihre Angebote reduzieren, oftmals auf das Niveau einer Minimalbetreuung. So fanden in 86 Prozent der Fälle weniger Ausflüge statt. In 21 Prozent der Kitas mussten Gruppen zeitweise zusammengelegt, in einigen Fällen (11 %) sogar geschlossen und Öffnungszeiten der Eirichtung eingeschränkt werden (16 %). Oftmals machte der Personalmangel auch eine ordnungsgemäße Aufsichtsführung unmöglich – mit Sicherheitsrisiken für die Kinder.
Über 60 Prozent der Kita-Leitungen auch großer Träger klagen über unbesetzte Stellen. Doch selbst mit Geld ließe sich der Personalmangel kurzfristig nicht beheben – der Arbeitsmarkt ist nahezu leergefegt. Zur Nachbesetzung offener Stellen benötigen 70 Prozent der Kitas mindestens drei Monate, in Großstädten häufig noch länger.
Als Wurzel allen Kita-Übels machen die Initiatoren der Studie die „unzulängliche Finanzierung in den meisten Bundesländern“ ausfindig. Das verhindere die Schaffung dringend benötigter Stellen und führe zu Überstunden, Aufsichtsproblemen und hohem Stresslevel. 65 Prozent der Kita-Leitungen empfinden ihre eigene Bezahlung als unangemessen gering, vor allem, wenn sie ohne Freistellung arbeiten. Auch das Gehalt ihrer Fachkräfte bewerten knapp 67 Prozent der Befragten als zu niedrig. „Ohne eine substanzielle Lohnsteigerung werden alle Versuche ins Leere laufen, mehr Menschen für pädagogische Berufe zu gewinnen.“
Immerhin habe die Politik erkannt, dass die Rahmenbedingungen für das frühpädagogische Berufsfeld merklich aufgewertet werden müssten, merkt die Studie an: durch mehr Lohn, bessere Aufstiegsmöglichkeiten und eine Straffung der derzeit fünfjährigen Ausbildung.
In diesem Zusammenhang greift die Untersuchung denn auch zwei aktuelle Initiativen von Familienministerin Franziska Giffey (SPD) auf. Die „Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher“ will bis 2022 mit insgesamt 300 Millionen Euro den Personalmangel angehen. „Einen kurzfristig spürbaren Effekt wird sie jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht haben“, äußert die Studie zurückhaltend.
Noch kritischer fällt das Urteil über das „Gute-Kita-Gesetz“ aus, das in den nächsten drei Jahren den Ausbau der frühkindlichen Bildung mit 5,5 Milliarden Euro fördert: „Das, was das sogenannte ‚Gute-Kita-Gesetz‘ suggeriert, ist mit Blick auf das, was die vorliegende Studie offenbart, fern jeder Realität.“ Die Befürchtung geht dahin, dass Bundesmittel zur Reduzierung der Elternbeiträge genutzt werden, wie es einzelne Länder bereits angekündigt haben. „Keine Erzieherin und kein Erzieher wird dadurch auch nur ein Kleinkind weniger betreuen“, heißt es.
Notwendig ist laut Studie ein stattliches Maßnahmenpaket: mit substanzieller Lohnsteigerung, einer bessere Fachkraft-Kind-Relation, mit Erleichterung des qualifizierten Quereinstiegs und flächendeckender Anerkennung des Erzieherberufs als Mangelberuf, damit mehr internationale Fachkräfte gewonnen werden können. „Was wir brauchen, sind nachhaltige Lösungen und deutlich höhere, langfristige Investitionen“, forderte VBE-Bundesvorsitzender Beckmann.
DKLK Studie 2019. Befragung zur Wertschätzung und Anerkennung von Kita-Leitungen, Wolters Kluwer, Köln 2019, 42 Seiten, Download
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