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Ijoma Mangold war lange Literaturchef bei der Wochenzeitung Die Zeit und ist nun ihr Kulturkorrespondent in Berlin. In „Die orange Pille“ folgt der renommierte Literaturkritiker der Spur der Kryptowährung Bitcoin. Unsere Autorin Maicke Mackerodt hat mit Ijoma Mangold über seine überbordende Begeisterung für Bitcoin gesprochen.
Was passiert, wenn sich ein Philosoph und Schöngeist wie Ijoma Mangold für Ökonomie interessiert? Wenn sich ein Feuilletonist und studierter Literaturwissenschaftler mit der Kryptowährung Bitcoin beschäftigt? Um es vorweg zu nehmen: Es entsteht eine zugleich selbstironische und aufklärerische Liebeserklärung, aus der die Faszination für das Bitcoin-Versprechen ebenso deutlich hervorgeht wie die Zweifel gegenüber derzeitigen Strukturen. Damit eignet sich das Buch weniger als Ratgeber für Anleger und mehr für jene, die den teilweise geradezu religiösen Eifer von Bitcoin-Fans ergründen möchten.
Das bestehende Geldsystem der Nationalwährungen in Frage zu stellen, war für Ijoma Mangold trotz anfänglicher Skepsis ein „intellektuelles Abenteuer“ und „eine Reise in den Kaninchenbau“, wie er es nennt. Wer sich mit der Kryptowährung Bitcoin auseinandersetzt, dem wird seiner Meinung nach die Macht der Wall Street und der Zentralbanken der Welt bewusst.
Eines der zentralen Leitmotive in „Die orange Pille“: „Die Geldpolitik, wie die Zentralbanken sie in den letzten 15 Jahren betrieben haben, also seit der großen Finanzkrise 2008, das war eine Politik des billigen Geldes“, erläutert der Autor. Anders als es ein sehr verbreiteter Volksglaube meint, profitieren von diesem billigen Geld für Ijoma Mangold die, die schon Vermögen besitzen. Dem streitbaren Journalisten gehe es darum, das Bewusstsein dafür zu schärfen, „dass diese Geldpolitik der Zentralbanken nicht der sozialen Gerechtigkeit dient, sondern ganz im Gegenteil eher so etwas wie ein Grundeinkommen für die Reichen ist“. Und hinter Bitcoin sei soziale Gerechtigkeit genaugenommen das gesellschaftspolitische Anliegen.
Die Blockchain-Technologie, auf der Bitcoin aufgebaut ist, wurde zwar immer wieder totgesagt, entfaltet aber trotz ihres schlechten Rufs nach wie vor eine hohe Anziehungskraft. Das liegt für Ijoma Mangold „an der Idee eines dezentralen Geldes, das ohne Banken und staatliche Regulierung auskommt“. Nach der jüngsten Pleite von zwei amerikanischen Banken und der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS hätten erneut viele Anleger „die Clownswelt der Schulden, Finanzderivate und Negativzinsen“, wie der Autor es nennt, verlassen und in Bitcoin investiert. Obwohl die virtuellen Währungen nach dem Zusammenbruch der Kryptobörse FTX im Frühjahr des Jahres viel an Glaubwürdigkeit verloren hatten.
Gut verständlich erkundet Ijoma Mangold die komplexe Ideengeschichte des Bitcoins und die gemeinsamen Ziele der verschiedenen Krypto-Fangemeinschaften:
„Satoshi Nakamoto, die sagenumwobene Gründerfigur des Bitcoins, von der niemand weiß, ob sich hinter diesem Pseudonym ein Mann, eine Frau oder eine Gruppe von Cypherpunks verbirgt – gemeint ist eine Bewegung von Programmierern, die sich durch Kryptografie vor der Gefahr digitaler Überwachung zu schützen versuchten – habe ein technologisches Instrument entworfen, das eine Form der Dezentralität ermöglicht, von der man vorher nur träumen konnte“, schreibt der Autor.
Für Ijoma Mangold hat Satoshi Nakamoto „den Universalschlüssel für die Lösung sämtlicher relevanter Probleme der Gegenwart entdeckt, weil es durch eine unfälschbare Datenbank erstmals in der Weltgeschichte möglich ist, Eigentum in absoluter Eigenverantwortung zu verwahren.“ Der Zeit-Feuilletonist ist überzeugt: Die meisten Menschen wären sich gar nicht bewusst, dass das Geld auf ihrem Girokonto nicht mehr ihr Geld sei, sondern ein mehr oder weniger zinsloser Kredit an das Bankinstitut. Diese Form des Vertrauens gehe einher mit dem, was man Gegenparteirisiko nennt, nämlich das Risiko, dass die Bank, der man sein Geld anvertraut hat, pleite gehen könne. „Das ist bei Bitcoin nicht der Fall“, glaubt Ijoma Mangold.
Im Gegenteil gelte für dieses Krypto-Netzwerk, und das würde man in der Regel immer auf Englisch sagen, betont Ijoma Mangold: „Es ist trustless und darin liegt für mich das große Potenzial. Es wird gerade kein Vertrauen vorausgesetzt, sondern es ist ein spieltheoretisch so konstruiertes Netzwerk, dass sich Betrug nicht lohnt.“
Weil die Farbe des Bitcoins orange ist, erzählt der Philosoph in „Die orange Pille“ sehr unterhaltsam, wie er selbst georangepilled wurde. Damit spielt Ijoma Mangold auf den Film „Matrix“ an, in dem sich der Held entscheiden muss, ob er die blaue oder die rote Pille schluckt. Die blaue lässt ihn vergessen, die rote die Wahrheit über die Welt erkennen. „Wer zum ersten Mal in die leuchtenden Augen eines überzeugten Bitcoiners blickt, entdeckt Anzeichen von religiöser Psychose“, schreibt der Journalist, der seine monetären Erkundungen immer wieder mit religiösen Bildern verknüpft, um dann festzustellen: „Da ist man als skeptischer Zeitgenosse besser auf der Hut“. Der Spiegel nennt „Die orange Pille“ gleich das Protokoll einer Erweckung.
„Jeder, der neu in den Bitcoinspace kommt, wird es sehr abschreckend finden, wenn er zum Beispiel den beliebten Satz hört, fix the money, fix the world, also die Vorstellung, wenn wir erst ein besseres Geld haben, können wir viele Probleme, an denen dieses System krankt, beheben.“ Das hat mich misstrauisch gemacht, weil ich eigentlich ein liberaler Skeptiker bin, betont Ijoma Mangold. „Bitcoiner sind skeptisch und misstrauisch, weil wir eigentlich finden, dass Bitcoin eine Graswurzelbewegung ist.“
Seiner Meinung nach geht es den Bitcoinern darum, „ein faires Sparinstrument zu finden, nicht ein spekulatives Investment“. Die Politik der Notenbanken habe es heutzutage unmöglich gemacht, auf dem Sparbuch für das Alter vorzusorgen. „Stattdessen zwingt sie jeden dazu, Investor zu werden. Die Idee von Bitcoin ist die eines deflationären Geldes. Man muss nicht investieren, man kann ganz einfach sparen, um für sein Alter vorzusorgen – was wir alle tun sollen“. Für Ijoma Mangold sind Bitcoiner genau das, „eine schwäbische Hausfrau, leidenschaftliche Sparer und ausdrücklich quasi konsumkritische Bürger. Sie haben mit den Lamborghini-Fahrern, die es vielleicht bei irgendwelchen anderen Kryptowährungen gibt, nichts zu tun“, so der Autor.
Drei Jahre hat sich Ijoma Mangold mit Bitcoin beschäftig. Während er in seinem Garten in seinem kleinen Bauernhaus in der Uckermark Unkraut gejätet hat, habe er unentwegt Finanz-Podcasts gehört. Der erste Funke sei übergesprungen bei der Vorstellung, dass es so etwas wie digitale Knappheit und einen digitalen Wert an sich gibt. Erst allmählich habe er begriffen, dass das Internet zwar eine Kopiermaschine des Wissens sei, digitales Geld sich aber nicht per Mausklick unendlich kopieren lässt. Es gab viele „metaphysische Gänsehautmomente“, schreibt der Autor, bei seinem Versuch zu verstehen, wie raffiniert im Bitcoin-Geldnetzwerk Informatik und Spieltheorie ineinandergreifen.
Im Herbst 2022 besuchte Ijoma Mangold eine große Bitcoin-Konferenz in Innsbruck. Die Finanzministerin von El Salvador habe dort erzählt, dass Bitcoins in El Salvador bereits gesetzliches Zahlungsmittel sind und welche fruchtbare Wirkung davon ausgehe. Der Journalist erzählt, wie er überlegte, nach El Salvador zu reisen: „In dem Moment musste ich an Hans Magnus Enzensberger, den großen Lyriker und Intellektuellen der Nachkriegszeit denken, der in seiner heißen kommunistischen Phase 1968, 1969 nach Kuba reiste und mit glühenden Augen erklärte, das Fidel Castro den wahren Kommunismus in die Welt umgesetzt hat.“ Und als er 40 Jahre später Texte hervorkramte aus dieser Zeit, zu sich selbst sagte: Mein Lieber, was hast du dir nur damals alles dabei gedacht?“ In dem Moment, als Ijoma Mangold überlegt nach El Salvador zu reisen, stellte er sich vor, wie er in 30 Jahren auf sich selber schaut und dass er sich vielleicht eines Tages fragen würde: „Meine Güte, welchen Illusionen hast du dich damals hingegeben? Auch wenn man von der Sache überzeugt ist, darf man sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass man in der Begeisterung oft auch Dinge verkennt.“
Es ist ungewöhnlich, dass sich ein Geistesmensch und kluger Essayist wie Ijoma Mangold für die finanztechnologische Avantgarde interessiert. Elegant beschreibt er, was es mit dieser Währung auf sich hat, wie sie funktioniert und worin sie sich von Dollar, Yen und Euro unterscheidet. Mal selbstironisch, mal provokant und keineswegs ausgewogen setzt sich der Literaturkritiker und Essayist mit den Ambivalenzen und den Widersprüchen von Bitcoin auseinander. Klug erzählt Ijoma Mangold von seinen Berührungsängsten und wie er letztendlich dem Zauber der Krypto-Welt Bitcoin heillos verfallen ist. Ijoma Mangold versteht sich als Brückenbauer und vertrauenswürdigen Reiseführer und ermuntert, eigene Glaubenssätze zum Thema Geld zu hinterfragen.
Autorin: Maicke Mackerodt
Weiterführende Links:
https://www.sueddeutsche.de/kultur/ijoma-mangold-orange-pille-bitcoin-literaturkritiker-1.5770310
alle abgerufen am 06.04.2023
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