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Corona bringt manches vertraute Familienbild ins Wanken. Die Belastbarkeit der Kleinfamilie wird auf die Probe gestellt, Homeschooling und Homeoffice kommen sich ins Gehege, Großeltern leben isoliert. Zugleich erfindet sich die schon oft totgesagte Familie derzeit neu: Viele Menschen erleben sie gerade jetzt als einen sicheren Hafen, Eltern balancieren Beruf und Familienarbeit neu aus, Kinder kümmern sich rührend um Ältere. Der aktuelle Familienreport 2020 rückt diese vieldeutige Schicksalsgemeinschaft mit nüchternen Daten und Fakten ins Licht.
Ein Teil der Familien hat die Einschränkungen des öffentlichen Lebens bereichernd erlebt, ein anderer Teil als nachteilig. Zur letzteren Gruppe zählen vor allem Familien mit kleinen Kindern. Mehr als jede zweite Familie hatte große Schwierigkeiten, Betreuung und Homeschooling für den Nachwuchs sicherzustellen. „Die Krise hat aber zu keiner Re-Traditionalisierung der Elternrollen geführt“, vermerkt der Report. Vor allem Väter hätten sich verstärkt in der Kinderbetreuung engagiert. Damit erhalten altbekannte Themen frische Aktualität: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Dringlichkeit des Ausbaus von Betreuungsangeboten.
Die Familie ist für die Menschen nach wie vor wichtigster Lebensbereich, belegt der Report. 94 Prozent der Deutschen sind nach EU-Daten „glücklich” mit ihrem Familienleben. Verheiratete Eltern führen diese Familienform mit großem Vorsprung an (70 %), mit zunehmender Tendenz gefolgt von Alleinerziehenden (19 %) und Lebensgemeinschaften (11 %). Anders als oft behauptet, steht es um die Ehe nicht schlecht – die Deutschen heiraten nach wie vor gerne. Im Zeitvergleich halten die Ehen länger, die Zahl der Scheidungen nimmt ab.
Nach einem kurzen Anstieg der Geburtenrate im Jahr 2016 lag diese 2019 bei nunmehr 1,54 Kindern pro Frau. Die Kinderlosigkeit liegt damit hierzulande knapp unter dem EU-Durchschnitt. Allerdings nimmt der Kinderwunsch inzwischen wieder zu.
Wie sehr die klassische Konstellation Vater, Mutter, Kind(er) erodiert ist, zeigen folgende Zahlen zu den Familienformen mit minderjährigen Kindern (2018): 5,6 Mio. gemischtgeschlechtliche Familien, 4.000 Regenbogenfamilien, also Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern, 909.000 gemischtgeschlechtliche und 6.000 gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften sowie 1,3 Mio. alleinerziehende Mütter und 181.000 alleinerziehende Väter.
Bei der Frage nach der kulturellen Herkunft ergibt sich folgende Momentaufnahme: 5,2 Mio. Familien mit minderjährigen Kindern haben keinen Migrationshintergrund, 2,8 Mio. Familien sehr wohl.
„Den meisten Familien geht es wirtschaftlich gut, aber nicht alle nehmen an der Entwicklung des Wohlstands chancengerecht teil“, fasst der Report zusammen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie staatliche Familienleistungen hätten dafür gesorgt, dass Familien in wirtschaftlicher Hinsicht nicht schlechter dastünden als kinderlose Haushalte, heißt es.
Schwierig wird es für einzelne soziale Gruppen: In Familien mit niedrigem Einkommen wachsen je nach Datenlage zwischen 14,5 und 20,7 Prozent der Kinder mit Armutsrisiko auf. Betroffen sind insbesondere Alleinerziehende bereits mit einem Kind (Armutsrisikoquote 41,1 %) und Familien mit drei und mehr Kindern (34,4 %). Wenn beide Elternteile einer existenzsichernden Erwerbsarbeit nachgehen, sei das die wirksamste Versicherung gegen Altersarmut, stellt der Report fest. Positiv in diesem Zusammenhang sind der Anstieg der Erwerbstätigkeit von Müttern seit dem Ausbau der Kindertagesbetreuung und die Einführung des Elterngeldes.
Das Bewusstsein und die Realität in den Familien schreitet merklich zugunsten einer gleichberechtigen Verantwortung für Familie und Beruf voran, besagt der Report. So machte im Jahr 2008 – ein Jahr nach der Einführung des Elterngeldes – jeder fünfte anspruchsberechtigte Vater (21 %) davon Gebrauch, 2017 waren es bereits 40 Prozent. Aktuell bezieht in einigen Bundesländern jeder zweite Vater Elterngeld. Allerdings erhalten Väter das Elterngeld nur 3,7 Monate, bei den Müttern sind es 14,3 Monate – zur wirklichen Gleichberechtigung ist es also noch eine Wegstrecke.
Die Ausgaben des Bundes für ausgewählte Familienleistungen stiegen deutlich an: von gut 87 Milliarden Euro (2009) auf mehr als 126 Milliarden (2019) – ein Plus von knapp 40 Milliarden Euro. Allein die Ausgaben für das Elterngeld nahmen von rund 4,5 Milliarden Euro auf knapp 7 Milliarden zu. Erhebliche Zuwächse gab es auch bei der Kindertagesbetreuung, beim Kindergeld, bei steuerlichen Freibeträgen oder beim Unterhaltsvorschuss, führt der Report an.
Für diese auf den ersten Blick beeindruckenden Zahlen lässt es der Report an einer kritischen Analyse fehlen. Die Grundfrage lautet: Werden die zweifellos gestiegenen Familienleistungen in Umfang und Struktur den ebenfalls gewachsenen Herausforderungen der Familien- und Sozialpolitik gerecht? Nur zwei Beispiele: Wie verhält es sich angesichts anhaltend niedriger Geburtenraten mit der tatsächlich erlebten Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Und wie steht es um die Armut hierzulande – eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung nennt speziell die Kinderarmut „eine unbearbeitete Baustelle“, der Paritätische Armutsbericht 2020 sieht die Armut auf „Rekordhoch“.
Familie heute. Daten, Fakten, Trends - Familienreport 2020, Berlin 2020, Hg.: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 149 Seiten, Download
Familien in der Corona-Zeit: Herausforderungen, Erfahrungen und Bedarfe. Ergebnisse einer repräsentativen Elternbefragung im April und Mail 2020, Berlin 2020, Hg.: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 35 Seiten, Download
Gegen Armut hilft Geld. Der Paritätische Armutsbericht 2020, 54 Seiten
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