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Die Corona-Pandemie macht überdeutlich, wie wichtig gute Pflege ist. Zugleich werden die Schwachstellen der Versorgung wie unter einem Vergrößerungsglas sichtbar. Vor allem dann, wenn man nicht so sehr über die Pflegenden spricht, sondern direkt mit ihnen. Eine Studie der Diakonie Deutschland gibt Pflegekräften in der Altenhilfe eine Stimme: Sie betreuen jene Menschen, die vom Virus hochgradig gefährdet sind und bringen sich damit selbst in Gefahr – unter großer psychischer und körperlicher Belastung.
„Mittlerweile dürfen Angehörige die Bewohner wieder besuchen, jedoch nur mit Besuchstermin und im Besucherraum mit den vorgeschriebenen Hygienemaßnahmen (....). Aus dem anfänglichen Klatschen und Mutmachen der Angehörigen und Besucher wurde allerdings mit der Zeit eher Wut gegen uns, weil wir immer diejenigen sind, die darauf hinweisen, dass sie ihre Lieben nicht umarmen dürfen.“
Diese Aussage einer Altenpflegerin (33), die an der Befragung im Herbst teilnahm, bringt die Ausnahmesituation ihrer Berufsgruppe auf den Punkt. An derartige Erfahrungen knüpft die Studie zum Pflegealltag ein: Wie erleben die Pflegenden die Einsamkeit und Ratlosigkeit ihrer Schutzbefohlenen, wie gehen sie mit der außergewöhnlichen Verantwortung um? Und worin finde sie selbst Halt, welchen Handlungsbedarf sehen sie?
Die Untersuchung beruht auf einer repräsentativen Online-Befragung der Evangelischen Arbeitsstelle midi. Sie wurde im Oktober 2020 in stationären (60 %) und teilstationären Einrichtungen (7 %), in ambulanten Diensten (28 %) und Hospizen (5 %) aller 16 Landesverbände der Diakonie durchgeführt. Einige zentrale Erfahrungen im Pflegealltag:
Die Reaktionen auf den Arbeitsalltag unter Pandemiebedingungen zeigen eine gemischte Gefühlslage. Einerseits treten die belastenden Faktoren deutlich hervor: Weit mehr als die Hälfte der Befragten (61 %) fühlte sich durch Konflikte zusätzlich belastet, bei knapp mehr als der Hälfte (54 %) nahmen Gefühle von Wut, Ärger und Überforderung zu. Viele Befragte (63 %) sehen zudem ihr Familienleben durch die Arbeit beeinträchtigt. Andererseits berichten viele (63 %) auch von einem trotz Zeitdrucks intensiveren Austausch mit den Bewohner*innen und Klienten, 84 Prozent sind von Sorge erfüllt, „ihre“ Pflegebedürftigen anzustecken.
Woher nehmen die Pflegenden angesichts der hohen Dauerbelastung ihre psychische Energie? Starke Motivation liefern der Zusammenhalt in der Kollegenschaft, die familiäre Anerkennung und das diakonische Ethos praktischer Hilfeleistung (87 %). Orientierung geben Gespräche mit Familienangehörigen, mit dem Partner und der Austausch im Freundeskreis. Zahlreiche Befragte finden Ruhe und Halt auch in sich selbst: in Oasenzeiten, im Gebet und in spirituellen Alltagsroutinen.
Zugleich ist eine nüchtern-pragmatische Einstellung weit verbreitet: die Einschätzung, gut mit den Schwierigkeiten zurechtzukommen (80 %) und die Pandemie bald überwunden zu haben.
„Den Pflegenden ist mehrheitlich nicht an Balkon-Botschaften gelegen: weder von der Bevölkerung noch von politischen Entscheidungsträgern“, fasst die Studie kritisch zusammen und macht deutlich, dass die Geduld der Pflegekräfte mit den Unzulänglichkeiten in ihrem Berufsalltag erschöpft ist. Zwei Drittel der Befragten fordern endlich bessere Rahmenbedingungen. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie: „Es führt kein Weg vorbei an einer umfassenden Pflegereform, die zu mehr Personal in den Pflegeeinrichtungen und -diensten führt und die pflegebedürftige Menschen zugleich finanziell nicht überfordert.“ Auf die akute Situation bezogen gilt es, ausreichende Schutzausrüstung und regelmäßige Testungen der Mitarbeitenden sicherzustellen. 2019 hatte die Diakonie Deutschland ein Konzept für eine grundlegende Pflegereform vorgelegt.
Daniel Hörsch, Covid-19-Pflegestudie der Diakonie. Eine Ad-hoc-Studie zu den Erfahrungen von Diakonie-Mitarbeitenden in der Altenhilfe/-pflege während der Covid-19-Pandemie, midi – Evangelische Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung, Berlin 2020, 73 Seiten
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