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Der Ruhestand krempelt das Leben nochmal kräftig um. Die Kinder sind aus dem Haus, berufliche Kontakte reißen ab, da kann es zuhause recht einsam werden. Nur wer hat schon Lust aufs Abstellgleis? Ältere Menschen wollen Neues ausprobieren, Versäumtes nachholen und Kontakte pflegen. Dazu braucht es jenseits von Familie und Berufswelt neue Orte und Gelegenheiten zur sozialen Teilhabe: öffentliche Räume zwangloser Geselligkeit und lebendigen Austauschs, sog. Dritte Orte. Wie können altersfreundliche Kommunen solche Orte gezielt fördern, fragt eine gemeinsame Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und der Körber-Stiftung.
Die Untersuchung knüpft an das Konzept vom Dritten Ort bzw. „Third Place“ an. Es geht auf das 1989 erschienene Buch des amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg (1932-2022) zurück. Der Titel spricht für sich: „The great good place: cafes, coffee shops, bookstores, bars, hair salons, and other hangouts at the heart of a community“. Ausgehend von den anonymen Vorstädten wuchernder US-Metropolen begründet Oldenburg die Notwendigkeit „großartiger guter Orte im Herzen der Gemeinschaft“.
Erste Orte gehören nach diesem Konzept der Familie und dem Wohnen, zweite Orte der Arbeit und dem Berufsumfeld. Dritte Orte – etwa Biergärten, Bürgertreffs, Cafés und Bibliotheken – schaffen Ausgleich zum ersten und zweiten Ort. Sie beugen der Vereinsamung vor, bieten Raum für zweckfreie Selbstverwirklichung, für Gemeinschaft, Hobby und Freizeitvergnügen. Dritte Orte sind einfach erreichbar und erschwinglich, stehen allen Bevölkerungsgruppen offen und locken mit einladender Atmosphäre. Kurzum, sie sind ein Wohlfühlort, das zweite Wohnzimmer.
Der Bedarf an solchen Freiräumen ist groß, führt die Studie aus. „Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der veränderten Ansprüche der alternden Babyboomer sollten Dritte Orte nicht nur das individuelle Wohlbefinden und die Gemeinschaft fördern, sondern auch das lebenslange Lernen und den Erwerb neuer Fähigkeiten unterstützen.“ Von der Engagementbereitschaft Älterer könne die ganze Gesellschaft profitieren.
„Solche Begegnungsorte müssen gar nicht immer neu erfunden werden. Bestehende Orte sollten aber kreativ genutzt werden“, empfiehlt die Studie. So zeigen Untersuchungen aus den USA und Kanada, dass sich Seniorinnen und Senioren gerne in den offenen Erlebniswelten von Shopping Malls treffen, weniger zum Shopping als zum zwanglosen Zusammensein, und dabei auch die gastronomischen Angebote nutzen. Im baden-württembergischen Weinstadt vergibt der Seniorenbeirat das Zertifikat der „seniorengerechten Gaststätte“: für eine klar lesbare Speisekarte, kleine Portionen, ein preiswertes Mittagsgericht und geduldiges Personal. In Großbritannien sind rund 440 Filialen einer großen Kaffeehaus-Kette an das „Chatty Café Scheme“ angeschlossen, einer Initiative gegen Einsamkeit und soziale Isolation. Ein gut sichtbares Logo ermuntert zu „Chatter and Natter“, zum Schwatzen und Plaudern auch mit fremden Gästen.
Auch im Bibliothekswesen wird eine Veränderung hin zu Dritten Orten sichtbar. Online-Ausleihe und digitale Verfügbarkeit von Filmen und Audiodateien verdrängen die traditionelle Präsenz-Kundschaft. Viele Büchereien haben sich daher zu öffentlichen Teilhabe-Treffpunkten gewandelt, bieten sich für Lesungen, Diskussionsrunden und Fortbildungskurse an oder unterhalten ein Café zum Studium der täglichen Zeitung.
Dritte Orte können auch im digitalen Raum liegen. So ermöglicht die Internet-Plattform „nebenan.de“ vielerlei Formen nachbarschaftlichen Miteinanders, von der Nachhilfe über den Tausch und Verkauf alltäglicher Gebrauchsgegenstände bis zur Einladung zum Straßenfest. Die Plattform kann Dritte Orte in der analogen Welt beflügeln, indem sie auf die Aktivitäten von Nachbarschaftsvereinen, Hobbygruppen und Bürgerinitiativen verweist.
Keine Kommune ist zu klein, um nicht altersfreundlich zu denken, belegt die Studie. So wurden in der Kleinstadt Stollberg im Erzgebirge (11.200 Einwohner) in die Jahre gekommene Gebäude wie Bahnhof und Schule umgewidmet und modernisiert und dienen heute als Bürgerbegegnungszentren für Vereine und Selbsthilfegruppen. Der Verein „groß & klein“ zielt ausdrücklich auf gemeinsame Aktivitäten der Generationen.
Große Kommunen haben die Chance, Altersfreundlichkeit zum strategischen Ziel der örtlichen Daseinsvorsorge zu erheben. Den Haag (550.000 Einwohner) gilt hier als Modell weitblickender Stadt- und Sozialplanung. In den mittlerweile 60 Dritten Orten, den „Haags Ontmoeten“ (deutsch: „Treffen in Den Haag“) erarbeiten hauptberuflich Beschäftige mit engagierten Bürgerinnen und Bürger ein vielfältiges Angebot mit Treffen, Aktionen und Veranstaltungen. Viele Standorte sind an Pflege- oder Sozialstützpunkte angeschlossen, sodass Menschen auch im höheren Alter möglichst selbstständig in ihrem Quartier wohnen bleiben können. „In Den Haag lässt sich eindrucksvoll erleben, wie eine strategische Alterspolitik die Teilhabe Älterer in der Stadt verbessert und generationenübergreifenden Austausch fördert. Die wissenschaftliche Evaluierung der politischen Maßnahmen schafft eine Grundlage für Anpassungen“, resümiert die Studie.
Hierzulande gehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Berlin-Instituts auf die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover ein. Dort haben die Planer bereits in den 1970er Jahren mit dem Bau von Nachbarschaftshäusern in allen Stadtteilen gesorgt, in denen sich die Generationen austauschen und gegenseitig helfen können. Der aktuelle „Senior*innen-Plan“ beschreibe eine umfassende Strategie für die weitere Gestaltung der einzelnen Stadtbezirke. Oberstes Ziel sei auch hier die Sicherung der Selbstständigkeit älterer Menschen bei hoher Lebensqualität. Dazu wird die Zusammenarbeit von Wohlfahrts- und Sozialverbänden sowie kirchlichen Einrichtungen koordiniert und finanziell unterstützt und die ehrenamtliche Arbeit gefördert.
Belegt durch Fakten und Praxisbeispiele fordert die Studie: „Neue Alte brauchen neue Orte“. Herkömmliche Seniorentreffs gehören weniger dazu, da sie sogar von der Zielgruppe mit einem negativen Altersbild assoziiert werden. „Viele Angebote werden in fünf Jahren nicht mehr gefragt sein“, zitieren die Autorinnen und Autoren die Leiterin des Kommunalen Seniorenservice Hannover. Heute schon sei Digitales der Renner bei den 70- bis 95-Jährigen. „Wir müssen neue Schwerpunkte setzen.“ Wichtige Zukunftsaspekte für altenfreundliche Kommunen sind die Öffnung von Ehrenamt und Freiwilligenarbeit für bisher unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen – Männer und Migranten – sowie für neue Themen wie Klimawandel, Artenvielfalt und Demokratieengagement.
Florian Breitinger / Catherina Hinz / Sabine Sütterlin, Dritte Orte. Begegnungsräume in der altersfreundlichen Stadt. Hintergrund und gute Praxis, erstellt von Körber-Stiftung und Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, November 2023, 32 Seiten
www.berlin-institut.org/studien-analysen/detail/dritte-orte
abgerufen am 7.12.2023
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