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In fluiden Lebenswelten ist Commitment gefragt, denn die digitale Transformation performt nur mit dem richtigen Mindset: Ansagen dieser Art umgibt die Weihen höheren Expertentums, doch was meinen sie konkret? Der Verdacht auf leeres Geschwätz liegt nahe, will aber genauer begründet werden. Eine Forschungsarbeit von Alexander Elia an der International School of Management (ISM) untersucht, was „Bullshit-Kommunikation“ in der Arbeitswelt ist und wie sie sich nachteilig auf Mitarbeitende und Unternehmen auswirken kann. Die Trendinfo-Redaktion sprach darüber mit Studienleiter Dr. Nico Rose.
Dr. Nico Rose: Mir geht – zumindest, wenn ich anfange, Management-Postillen zu lesen – das Thema „Purpose“ auf den Senkel. Rund um dieses Sujet wird unglaublich viel Stumpfsinn produziert.
Alexander Elia und ich fanden das Thema so interessant, dass wir uns dem einfach widmen wollten. Zudem gehen wir davon aus, dass mindestens zwei Dynamiken das Auftreten von Bullshit intensivieren: Zum einen wird die (Arbeits-) Welt immer komplexer. Es ist nicht mehr möglich, über alles, was relevant ist, einen guten Überblick zu behalten. Das verstärkt die Neigung zum Bullshitten, weil man sich trotzdem durchwurschteln muss. Daran kann man übrigens auch ein positives Element dieser Praktik erkennen: Sie hilft uns bisweilen, handlungsfähig zu bleiben. Zum anderen lässt sich beobachten, dass Social Media-Plattformen das Auftreten von Bullshit befeuern. Er lässt sich leicht verbreiten und in entsprechenden Echokammern erhält man dafür viel Zuspruch.
Bullshit existiert in einer Sphäre jenseits von Wahrheit und Lüge. Diese Kategorie spielt für den Bullshitter einfach keine Rolle. Stattdessen geht es in erster Linie um die kommunikative Wirkung des Gesagten. Bei Donald Trump lässt sich das gut beobachten. Er sagt heut dies, morgen etwas völlig anderes, um am dritten Tag zu behaupten, er hätte weder das eine noch das andere jemals von sich gegeben. Seine Gegner bezichtigen ihn an diesem Punkt der Lüge, aber die Vorwürfe perlen ab – weil es Mr. Trump gar nicht um Lüge oder Wahrheit geht. Ziel ist das Zufriedenstellen der eigenen Anhänger im Moment. Und er produziert Futter für die Medien.
Wir haben rund 650 Menschen einen kurzen Fragebogen vorgelegt. Darin wird die Wahrnehmung der Personen in Bezug auf drei Phänomene abgefragt: Erstens: Müssen in einer Organisation stichhaltige Daten und Fakten vorgelegt werden, um Entscheidungen zu begründen, oder kann man sich durchmogeln, indem man „fest dran glaubt“? Zweitens: Kommen hierarchisch höhergestellte Menschen mit ihren Ansichten durch (und prägen somit das Geschehen), einfach, weil sie eben „wichtiger“ sind? Drittens: Neigt die Organisation zur übermäßigen Nutzung von Management-Jargon, überflüssigen Abkürzungen usw. Diese drei Faktoren werden dann zu einem übergreifenden Bullshit-Level aggregiert.
Wir gehen davon aus, dass ein Übermaß an Bullshit-Kommunikation in der Organisation einem Phänomen Vorschub leistet, dass in der Forschung als psychische Irritation bekannt ist. Diese unterteilt sich weiter in mentale und emotionale Irritation. In unseren Daten sehen wir, dass Bullshit insbesondere die mentale Irritation befeuern kann. Die Menschen sind dann genervt, fühlen sich verschaukelt und insgesamt nicht gut aufgehoben. Das kann problematisch werden: Manche Forscher betrachten diese Form der Irritation als Burnout-Vorstufe.
Wir gehen zunächst davon aus, dass die Menschen dafür langfristig einen Preis bezahlen. Das Unternehmen erreicht dies dann über Umwege, zum Beispiel, weil der Krankenstand steigt. Außerdem steht die Idee im Raum, dass Bullshit meist nicht dabei hilft, die kundenbezogene Wertschöpfung zu verbessen. Denken Sie an die unzähligen Meetings, die oft „Arenen“ für Bullshit-Produktion sind. Verkürzt gesagt: Bullshitten lenkt Organisationen von ihrer Kernaufgabe ab,
Die Nutzung von Fachbegriffen selbst ist noch kein Bullshitten. Beispielsweise werden in der Forschung auch viele Fachbegriffe benutzt. Der Unterschied: Hier bemüht man sich zunächst um eine klare Definition – sodass alle wissen, worum es gehen soll. Und natürlich wird um solche Definitionen auch gerungen. Es geht um Klarheit, nicht Verschleierung. Der Bullshitter hingegen weiß in der Regel nicht so genau Bescheid – oder: es ist ihm schlicht egal – und er versucht, diesen Umstand durch Wohlklang zu übertünchen.
Die Begriffe Green- bzw. Pinkwashing deuten darauf hin, dass da etwas „nicht echt“ ist. Hier ist das Problem aber noch größer: Es wird etwas versprochen, aber nicht gehalten. Man „walked den Talk“ nicht, um es im Business-Denglisch zu sagen. Da gibt es dann einen fließenden Übergang zum Vortäuschen falscher Tatsachen, was gegebenenfalls sogar strafrechtlich relevant ist.
Gute Bullshit-Artisten können in sozialen Situationen nach streng objektiven Kriterien – wertfrei betrachtet – beachtliche Erfolg erzielen, siehe erneut Donald Trump. Manchmal braucht es auch ein wenig Bullshit, um Zweckoptimismus zu verbreiten. Denken Sie an Angela Merkels „Wir schaffen das!“ – im Grunde reinrassiger Bullshit: Wer ist „wir“? Was genau bedeutet „schaffen“? Und was ist „das“, was geschafft werden soll? Es ging ihr darum, den Menschen in Deutschland Mut zu machen, ohne schon genau sagen zu können, wie der Weg genau ausschauen würde.
Summa summarum raten wir aber davon aber, Bullshitten als Erfolgsrezept zu betrachten. Die negativen Folgeerscheinungen erscheinen uns langfristig zu gravierend.
Dr. Nico Rose
Selbstständiger Psychologe, bis Anfang 2022 Professor für Wirtschaftspsychologie, International School of Management (ISM)
E-Mail: hello[at]nicorose.de
www.nicorose.de
Alexander Elia
Consultant bei der Consistency GmbH, Master of Science in Wirtschaftspsychologie, International School of Management (ISM)
E-Mail: alexander.elia[at]consistency.de
www.consistency.de
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