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Die Populismus-Welle ist gebrochen, die Corona-Krise hat diesen Trend verstärkt. Knapp ein Jahr vor der Bundestagswahl zeigt sich eine messbare Veränderung des Meinungsklimas in Deutschland, besagt das aktuelle Populismusbarometer, eine Datenerhebung der Bertelsmann Stiftung und des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Die Parteienlandschaft in Deutschland ist demnach deutlich weniger anfällig für populistische Strömungen als vor und nach der Bundestagwahl 2017. Gleichzeitig nimmt die Radikalisierung am rechten Rand zu.
Für die vorliegende Studie wurden im Juni 2020 mehr als 10.000 wahlberechtigte Deutsche von YouGov Deutschland repräsentativ befragt, seit 2017 mithin die fünfte Ausgabe des Populismusbarometers. Als Populismus gilt eine Demokratievorstellung, die u. a. von der Existenz eines einheitlichen Volkswillens ausgeht, Politiker für korrupte Elitevertreter hält und politische Kompromisse ablehnt.
Zeigte sich im November 2018 noch jeder dritte Wahlberechtigte populistisch eingestellt, war es im Juni 2020 nur noch jeder fünfte – ein Rückgang um mehr als ein Drittel. Parallel dazu nahm der Anteil unpopulistischer Wähler im selben Zeitraum um genau die Hälfte zu (von 31,4 auf 47,1 %). Zusätzlich zur Anzahl populistischer Wähler nahm auch die Intensität entsprechender Einstellungen ab: laut Populismusskala auf den mit Abstand niedrigsten Stand seit der ersten Erhebung im Frühjahr 2017.
Diese Trendwende rechnen die Autoren auch, aber nicht ausschließlich der gestiegenen Politik- und Regierungszufriedenheit im bisherigen Verlauf der Corona-Krise zu. Der antipopulistische Einstellungswandel in der Bevölkerung setzte demnach bereits im Verlauf des Jahres 2019 ein, die Pandemie wirkte nur verstärkend. „Gutes, verlässliches und inklusives Regierungshandeln“ habe die Populisten in die Defensive gebracht, heißt es in der Studie. Hinzu komme die restriktivere Migrationspolitik sowie eine verbesserte öffentliche und mediale Auseinandersetzung mit populistischen Einstellungen. „Demokratischer Antipopulismus braucht also nicht zwangsläufig eine ,große Krise‘, sondern kann auch als demokratische Selbstbehauptung im Normalbetrieb gelingen“, kommentieren die Autoren.
Der Meinungsumschwung findet vor allem in der politischen Mitte statt, stellen die Autoren fest. „Sie erweisen sich inzwischen als Stabilisator und Treiber eines sich wieder abkühlenden populistischen Meinungsklimas in Deutschland.“ Damit erweise sich die Mitte gegenüber der populistischen Versuchung als lernfähig. Eine wichtige Aussage, denn dieser Teil der Bevölkerung galt laut Populismusbarometer 2018 als besonders anfällig.
Die Entwicklung schlägt sich auch in der Parteienlandschaft nieder – diese ist aktuell merklich weniger populistisch orientiert als noch 2017. Ein weiteres Abgleiten der Unionsparteien und der FDP ins populistische Wählersegment ist vorerst gestoppt, merken die Autoren an: „Die Versuchung der beiden bürgerlichen Parteien, dem Populismus der AfD zu folgen, ihn nachzuahmen oder sich zumindest rhetorisch ihm anzupassen, wurde als Irrweg erkannt und korrigiert.“ Der unpopulistische Block der etablierten Parteien (CDU/CSU, Grüne, SPD und FDP) steht für mehr als 80 Prozent der Wähler.
Zwar wendet sich die politische Mitte vom Populismus ab, die AfD hingegen durchlebt eine Radikalisierung: „Und je stärker der Populismus abflaut, sowie populistische Wähler aus der Mitte zu den etablierten Parteien zurückkehren, umso dominanter werden unter den AfD-Wählern die rechtsextremen Einstellungen“, führt die Untersuchung aus. Die Partei habe sich seit 2017 von einer rechtspopulistischen Mobilisierungsbewegung zunehmend zu einer von rechten Einstellungen geprägten Wählerpartei entwickelt. Als auffällig gilt, dass sie trotz ihres Einzugs in den Bundestag auf eine unverändert hohe Ablehnung unter allen deutschen Wählern (71 %) stoße.
Der Populismustrend ist gemäß der vorliegenden Studie gebrochen, aber noch nicht gebannt. „Die populistische Versuchung bleibt auch bei uns latent“, warnen die Autoren der Studie. Für die Bundestagswahl 2021 sehen sie eine gute Chance für alle Parteien darin, wegen der großen Wählerzustimmung das Thema „mehr direkte Demokratie“ aufzugreifen. An die Adresse der Nichtpopulisten ergeht der Rat, die mittlerweile bessere Auseinandersetzung mit dem Populismus fortzuführen. „Weniger ausschließende Arroganz und kosmopolitische Überheblichkeit in dieser Auseinandersetzung würde ihre Wirkung noch verstärken.“
Wolfgang Merkel / Robert Vehrkamp, Einwurf 2/2020, Populismusbarometer, Bertelsmann Stiftung (Hg.), 1. Auflage 2020, 8 Seiten, Download
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