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Eigentlich eine prima Idee: Endlich am Ziel angekommen, bettet sich der Reisende auf der Couch eines netten Einheimischen zur Nacht. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Längst ist die Pionier-Plattform Airbnb den Kinderschuhen entwachsen, ist der Anspruch freundlichen Teilens dem knallharten Geschäft gewichen: Die professionelle Kurzzeitvermietung verknappe in attraktiven Städten den bezahlbaren Wohnraum, sagen Kritiker. Forscher aus Dortmund stellen am Beispiel der Digitalplattform Airbnb dar, welchen nachteiligen Einfluss dieser Anbieter auf den lokalen Wohnungsmarkt hat und was Politiker dagegen tun können.
Anfangs war die tageweise Vermietung von privat an privat ein Hätschelkind der Ökonomie des Teilens, galt als zeitgeistig, nachhaltig und gemeinschaftsstiftend, ruft die vorliegende Expertise des Instituts für Landes- und Stadtentwicklung (ILS) und der TU Dortmund in Erinnerung. Doch aus leerstehenden Kinderzimmern wurden schnell ganze Wohnungen. Vor allem in den touristischen Hotspots wie Berlin, München, Barcelona, London und Paris nahmen Kurzzeitvermietungen regulären Wohnraums stark zu. Auf den ersten Blick fallen nur die Vorteile dieser so genannten Parahotellerie ins Gewicht: Reisende finden häufig zahlreiche kostengünstige Alternativen zum herkömmlichen Gastgewerbe. Vermieter können als Eigentümer Rücklagen bilden und als Mieter steigende Mietkosten abfedern. Oft profitiert auch die lokale Wirtschaft durch eine erhöhte Nachfrage in Einzelhandel, Gastronomie und Kultur.
Bei näherem Hinsehen werfen digitale Mitwohnzentralen wie Airbnb und booking.com jedoch auch viel Schatten auf den lokalen Wohnungsmarkt. Je mehr Angebote bei Airbnb, desto höher die Miete in der Umgebung, berichtet der ILS-Report. Dabei kann er sich auf eine Untersuchung des DIW Berlin exemplarisch für die Bundeshauptstadt stützen. Demnach sorgte jede zusätzliche Kurzzeitwohnung im Umkreis von 250 Metern für einen Anstieg der Monatsmiete für regulären Wohnraum von mindestens 0,07 bis 0,13 Euro pro Quadratmeter, maximal sogar von 0,46 Euro.
Die lukrative „Ferienwohnisierung der Innenstadtbezirke“ (taz) führt zur lokalen Ballung stark frequentierter Airbnb-Mietobjekte mit Lärmbelästigung, Verschmutzung, Verkehrszunahme und sozialer Anonymität. „Schließlich kann durch die weitere Zunahme von Ferienwohnungen die Gebietsprägung ‚kippen‘ und zu einer sukzessiven Ausrichtung der lokalen Versorgungsinfrastruktur zugunsten von Touristen anstatt von Bewohnern beitragen“, äußern die ILS-Forschenden.
Die Kommunen haben zwei Möglichkeiten, die Anzahl der Airbnb-Wohnungen einzudämmen: das Zweckentfremdungsverbot und die Vorschrift, über Airbnb oder ähnliche Plattformen vermieteten Wohnraum zu registrieren. Zweckentfremdungsverbote liegen derzeit (Stand September 2020) für die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg und für die sechs Flächenländer Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen vor. Insbesondere Städte mit einem hohen Wohnungsbedarf und einer hohen Belegquote im traditionellen Beherbergungsgewerbe wenden entsprechende Regelungen an.
„Die Regulierungen bleiben allerdings bislang nur schwer durchsetzbar“, konstatieren die Forschenden. Anonymität der Vermieter und Intransparenz bei den Vermietungszahlen erschweren das behördliche Vorgehen gegen Verstöße. Im Sommer 2020 erwirkten die Hamburger Behörden erstmals die Herausgabe von Vermieter-Daten durch Airbnb: Wer seine Einkünfte durch private Vermietung bei den Finanzämtern nicht angegeben hat, muss Nachzahlungen gewärtigen. NRW will in einer Neuauflage des Wohnungsaufsichtsgesetzes (WAG) die Unterkünfte fortan registrieren lassen. Weltweit rund 400 Städte schlossen mit Airbnb inzwischen eine Vereinbarung: Danach führt das Unternehmen die Bettensteuer an die Kommunen direkt ab und wird im Gegenzug von schärferer Regulierung verschont. Hierzulande nehmen aktuell Frankfurt a. M., Dortmund und Dresden an der Vereinbarung teil.
Die Corona-Krise bescherte Airbnb einen scharfen Umsatzeinbruch, zwischen Mitte Februar und Mitte März 2020 allein in Deutschland von 31 auf 13 Mio. Euro. Der naheliegenden Strategie einiger Städte, etwa Lissabon und Paris, die Wohnungseigentümer mit Mitgarantien zur langfristigen Vermietung zu bewegen, war bisher nur bescheidener Erfolg beschieden. In Städten mit hohen Mieten neigen Vermieter laut ILS-Expertise ohnehin wieder mehr zur langfristigen Vermietung, das aber nur schleppend. So wird aus Prag die Überführung von mehreren Hundert der geschätzt 13.000 Kurzzeitvermietungen in den regulären Wohnungsmarkt berichtet – mit einem gesamtstädtisch mitpreisdämpfenden Effekt von immerhin 8-15 Prozent. Anders in Barcelona, wo Kurzzeitvermieter ihre Unterkünfte zunächst leer stehen lassen, weil sie befürchten, ihre Lizenz für Kurzzeitvermietungen zu verlieren.
Die Forschenden gehen von einem Aufschwung der Branche nach Aufhebung der coronabedingten Kontakt- und Reisebeschränkungen aus. Für die Zukunft empfehlen sie eine flächendeckende Genehmigungspflicht für die regelmäßige Vermietung an wechselnde Gäste. Eine erfolgversprechende Lösung biete das Hamburger Modell mit seiner Kombination aus Zweckentfremdungsverbot und Registrierungspflicht. Denn: Es gehe nicht darum, Kurzzeitvermietungen gänzlich zu verbannen. „Vielmehr wird nach einem maßvollen Modus und Verträglichkeit dieses neuen Geschäftsfeldes gesucht.“ Airbnb hat noch für dieses Jahr den Börsengang angekündigt.
Jan Polívka / Vilim Brezina / Martin Stark, Das Geschäft mit dem Teilen.
Wie verändert das internetbasierte Teilen von Ressourcen durch Kurzzeitvermietungen unsere Städte? Hg.: ILS − Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH Dortmund 2020, 4 Seiten
Tomaso Duso / Claus Michelsen / Maximilian Schäfer, Airbnb and Rents: Evidence from Berlin, Hg.: DIW Berlin, Discussion Papers 1890, Berlin 2020, 49 Seiten
Steuerfahnder knacken Airbnb, taz vom 07.09.2020
(am 18.10.2020 abgerufen)
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