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„Sozialraumorientierte Ansätze für ein gelingendes Alter(n)“ lautet der etwas sperrige Titel der Sonderausgabe des Fachmagazins „Pro Alter“: Mitglieder des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA) beschreiben darin, wie Leben und Alltag in einer Kommune altenfreundlicher gestaltet werden können – immer Bezug nehmend auf den Siebten Altenbericht, der Ende 2016 veröffentlicht wurde. Zentrale Aussage der unterschiedlichen Beiträge: Ein „Weiter-so“ wird es nicht geben. Nur im Quartier und nur in geteilter Verantwortung lässt sich Pflege künftig sichern.
Alexander Künzel, Vorstandsvorsitzender der Bremer Heimstiftung und Sprecher des bundesweiten Reformbündnisses „Netzwerk: Soziales neu gestalten“ (SONG), macht in seinem Beitrag klar, wo die Reise hingeht: Die bisherige Pflegeheim-Infrastruktur mit ihrem hohen Personalbedarf werde in Zukunft nicht zu halten sein, von einem Ausbau ganz zu schweigen. Zu angespannt sei der Arbeitsmarkt, so Künzel. Aktuelle Zahlen aus dem Bundesgesundheitsministerium belegen das: Danach werden bis 2025 – also in den nächsten acht Jahren – zwischen 110.000 und 200.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt. Für das Jahr 2030 prognostiziert die Bertelsmann Stiftung sogar eine Versorgungslücke von einer halben Million Beschäftigten in der Pflege.
Für Künzel steht fest: „Es geht nicht darum, mit wie viel, sondern mit wie wenig stationären Pflegeplätzen unsere Gesellschaft in Zukunft organisiert werden kann“. Er sieht die stationäre Pflege künftig eher als Ergänzung denn als Gegensatz zur ambulanten Versorgung. Um die erforderlichen Sorgestrukturen im ambulanten und teilstationären Bereich zu stärken, brauche man zwei Dinge: eine umfassende Qualifizierung der Akteure und eine kompetente Steuerung. Das Netzwerk SONG – dem auch die Bank für Sozialwirtschaft angehört – hat dazu die Formate „Qualifiziert fürs Quartier“ und „Bürger im Quartier“ entwickelt. Eine aktive Zivilgesellschaft sei allerdings nicht zum Nulltarif zu haben, sagt Künzel: Die „vergleichsweise überschaubaren Aufwendungen“ für Bildung und Case & Care Management sollten im Verbund mit Kommune und Pflegekassen rechtlich abgesichert werden.
Bildung und Care-Management spielen auch bei der 2015 vom Land Brandenburg gestarteten Pflegeoffensive eine wichtige Rolle. Hier ist der Handlungsdruck besonders groß: In dem östlichen Bundesland sind 4,2 Prozent der Bevölkerung pflegebedürftig (Bundesdurchschnitt 3,1 %) – mit steigender Tendenz. Die Offensive hat drei Schwerpunkte: Förderung der beruflichen Pflege, Entlastung pflegender Angehöriger und Entwicklung alternsgerechter Strukturen. Dazu wurde eigens die Fachstelle Altern und Pflege im Quartier (FAPIQ) etabliert, die von Land und Pflegekassen zunächst bis Dezember 2019 finanziert wird.
An fünf Standorten in Brandenburg sind insgesamt 18 Mitarbeitende im Einsatz. Sie geben Infomaterial aus, beraten und begleiten Kommunen und Initiativen bei deren Projekten. „Es gibt eine Vielzahl engagierter Gruppen, denen es wichtig ist, dass das Leben vor Ort nicht stirbt“, sagt Fachstellenleiterin Anja Ludwig. „Sie haben Ideen, aber es fehlt die fachliche und manchmal auch die finanzielle Unterstützung.“ Wie beispielsweise bei dem Bürgerverein, der eine alte Gaststätte zur Pflege-WG umbauen will, oder der „Männer-Werkelecke“, einem regelmäßigen Angebot für handwerklich interessierte Männer mit und ohne Pflegebedarf. 50.000 Euro stehen der FAPIQ für die Förderung von kleinen Projekten zur Verfügung, im vergangenen Jahr wurden damit zwölf Initiativen unterstützt.
Vom dünn besiedelten Flächenland in den dichtbebauten urbanen Raum, wo vor allem eines knapp ist: bezahlbarer, altersgerechter Wohnraum. Die Stadt Wiesbaden hat schon vor mehr als 30 Jahren das Thema barrierefreies Wohnen auf die Agenda gesetzt, bietet zum Beispiel Schulungen und Weiterbildungen für Architekten und Handwerk zum Thema Barrierefreiheit an. Die Dauerausstellung „Belle Wi – besser barrierefrei wohnen und leben“ zeigt interessierten Besuchern vielfältige technische Möglichkeiten, die das Leben zu Hause einfacher und komfortabler machen – vom elektronischen Schlüsselfinder über Hausnotrufsysteme bis zum Smart-Home-Modell. Dazu kommt die soziale Komponente: Bei den Stadtteilkonferenzen oder Projekten wie „Soziale Stadt“ geht es um bauliche Infrastruktur, haushaltsnahe Dienstleistungen und soziale Angebote für ältere Menschen.
Stichwort „technischer Fortschritt“: Nach Ansicht von Joachim Wilbers, geschäftsführender Gesellschafter des Beratungsunternehmens ProjectCare GmbH, werden neue Entwicklungen wie Telemedizin, Robotik oder Liefersysteme das Zusammenleben drastisch verändern. Der Gegensatz zwischen Individual- und öffentlichem Verkehr werde in Zukunft vermutlich verschwinden, selbstfahrende Autos bedeuteten für ältere Menschen eine größere Mobilität. „Möglicherweise werden dann (preiswertere) Wohnorte auf dem Land wieder attraktiver, da die Nachteile der fehlenden Infrastruktur zumindest teilweise kompensiert werden können.“ Eine langfristige Wohnraumplanung durch die Kommune hält er für schwierig: „Quartiere wandeln sich, Zentren des sozialen und kommunikativen Zusammenhalts fallen weg, z.B. durch die Zusammenlegung von Kirchengemeinden.“ Benötigt werde daher ein vielfältiges Wohnangebot mit echten Wahlmöglichkeiten. „Wir brauchen ein Anreizsystem, das so neutral ist, dass sich die Menschen nach ihren Bedürfnissen entscheiden und nicht nach dem, was besser finanziell unterstützt wird.“
Elisabeth Scharfenberg, bis vor kurzem gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, nimmt mit dem „grünen Modell der Gesundheitsregionen“ vor allem die medizinische und pflegerische Versorgung in den Blick: mit passgenauen, lokal gestalteten Versorgungsangeboten will sie die Gesundheit der Menschen vor Ort stärken. Landkreise oder Kommunen sollten durch ein „Initiativrecht“ die Möglichkeit bekommen, sich mit den Krankenkassen vor Ort zu einer Gesundheitsregion zusammen zu schließen. Das operative Geschäft sollte ein Gesundheitsverbund, getragen von lokalen Leistungserbringern, übernehmen. Medizinische Versorgungszentren würden zu Gesundheitszentren ausgebaut und die örtlichen Angebote unter ihrem Dach vereinen. Finanziert werden könnte das Modell aus Mitteln des Gesundheitsfonds.
Sozialraumorientierte Ansätze für ein gelingendes Alter(n). Kommunale Ansätze des Siebten Altenberichts, in: Pro Alter. Das Fachmagazin für Lebensqualität, hg. v. Kuratorium Deutsche Altershilfe, Sonderausgabe Oktober 2017, Berlin, 31 Seiten
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