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Inmitten blühender Obstwiesen leben, morgens und abends Hühner und Hahn versorgen, bei der Gartenarbeit oder im Kartoffelverkauf mithelfen, in ständiger Interaktion mit Mensch, Tier und der Natur sein – für viele Senioren ein Traum. Doch der Weg dahin ist weit. „Die neue Landlust: Bauernhof statt Altenheim“, die Ausgabe 2/17 der Zeitschrift „Pro Alter“ vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA), beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Potenzial von Green-Care-Angeboten für Senioren.
Bundesweit gibt es derzeit rund 20 landwirtschaftliche Betriebe, die Wohnangebote oder Tagespflege für ältere Menschen vorhalten – eine sehr überschaubare Zahl. Forscher wie die Agrarwissenschaftlerin Claudia Busch vom Zukunftszentrum Holzminden-Höxter sind jedoch überzeugt: Betreuungsangebote für ältere Menschen auf dem Land werden zunehmen.
Dass bisher erst wenige landwirtschaftliche Betriebe hierzulande Betreuungsangebote für Senioren anbieten, hat einen simplen Grund: Es braucht viel Pioniergeist, Mut und vor allem Durchhaltevermögen, sind sich die Autoren in dem KDA-Schwerpunktheft einig. Es reicht nicht, ein paar leerstehende Zimmer in Seniorenwohnungen umzufunktionieren. Gesetzliche Bestimmungen und Auflagen, beispielsweise der Heimaufsicht, müssen bedacht, Investitionen (z. B. Treppenlift) getätigt und Beschäftigungsangebote vorgehalten werden. Je nach Pflegegrad ist qualifiziertes Pflegepersonal vor Ort erforderlich, bei Tagespflegeangeboten muss der Transport der Senioren zu den Gehöften organisiert werden.
Andererseits kann ein solches Angebot eine Chance für Landwirte sein, ist das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überzeugt: „Service-Wohnen auf dem Bauernhof ist ein denkbarer neuer Betriebszweig, um die bäuerliche Existenz im ländlichen Raum zusätzlich zu sichern“, heißt es auf der Webseite des Ministeriums unter dem Stichwort „Erwerbskombination“. Die Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bieten interessierten Betrieben dazu Hilfe zur Selbsthilfe an.
In Schleswig-Holstein läuft seit rund zwei Jahren ein gemeinsames Projekt „Bauernhöfe als Orte für Menschen mit Demenz“, getragen von der Landwirtschaftskammer und dem Kompetenzzentrum Demenz in Norderstedt. „Bisher wurden acht landwirtschaftliche Betriebe gecoacht, vier haben sich bereits für eine niedrigschwellige Betreuung qualifiziert“, sagt Anneke Wilken vom Kompetenzzentrum.
Hilfestellung für interessierte Bauern will auch das Projekt „Lebensabend im Dorf. Seniorenangebote auf landwirtschaftlichen Betrieben“ (VivAge) leisten, das vom Bundesbildungsministerium gefördert wird und beim Zukunftszentrum Holzminden-Höxter angesiedelt ist. „Positive Effekte der landwirtschaftlichen Umgebung vor allem auf Demenzkranke sind bereits nachgewiesen. Formale Hindernisse könnten diese pragmatische Lösung jedoch verhindern, da Altenhilfe und Landwirtschaft in der deutschen Politik und Verwaltung vollkommen getrennt strukturiert sind“, beschreiben die Projektverantwortlichen.
Im Rahmen des Projekts werden derzeit vier Modelle für verschiedene Betreuungsmöglichkeiten entwickelt – von stundenweisen Angeboten zur Alltagsgestaltung bis hin zu einer Rundum-Betreuung – und anschließend an die gültigen Rahmenbedingungen des Landes Niedersachsen angepasst. „Daraus soll dann eine Art Gebrauchsanleitung für interessierte Betriebe entstehen“, meint Expertin Claudia Busch vom Zukunftszentrum im Interview mit Pro Alter.
In kleinen Dörfern ist die Ortsbindung alter Menschen oft stark ausgeprägt. Durch die zunehmende Frauenerwerbstätigkeit und die Landflucht junger Menschen fehlen jedoch Unterstützungsmöglichkeiten. Das führt immer häufiger zu Versorgungslücken. „Wohnangebote für Senioren sind daher in jedem Fall ein wichtiges Thema im Bereich der ländlichen Entwicklung“, meint Busch.
Andere Länder haben dies schon länger erkannt: In Norwegen und den Niederlanden gibt es beispielsweise eine langjährige Green-Care-Praxis mit jeweils mehr als 1.000 Betrieben. Dabei werden nicht nur Betreuungsangebote für Senioren vorgehalten, sondern auch weitere Zielgruppen wie Kinder oder Menschen mit Behinderung bedient. Es gibt in den Niederlanden sogar ein eigenes „Green-Care-Gütesiegel“, mit dem rund drei Viertel der Pflege-Bauernhöfe ausgezeichnet sind.
In einer Studie hat die Universität Maastricht zwei Pflege-Bauernhöfe mit einem Rund-um-die Uhr-Angebot mit anderen kleinräumigen Einrichtungen und klassischen Pflegeheimen verglichen. Ergebnis: Pflege-Bauernhöfe sind eine echte Alternative. Die Versorgung sei im Hinblick auf Mitarbeiterqualifikation, Pflegedokumentation und Sicherheitsstandards qualitativ vergleichbar mit der Versorgung im Heim. Allerdings: „Zur Qualität der Arbeit der Pflegenden können wir noch keine eindeutige Schlussfolgerung ziehen“, so die Studienautoren. Hier müssten Wege aufgezeigt werden, um die Qualität der Versorgung zu stabilisieren.
Derzeit arbeiten die Maastrichter Forscher an einem spannenden Folgeprojekt: Sie untersuchen, wie erfolgreiche Bestandteile der Pflege-Bauernhöfe in herkömmliche Pflegeeinrichtungen übertragen werden können.
Mit dem Thema „Bauernhof statt Altenheim“ setzt das KDA einen interessanten Schwerpunkt: Pflegeplätze auf dem Bauernhof sind eine wertvolle Ergänzung im Spektrum der Pflegeeinrichtungen. So bieten sie älteren Menschen mehr körperliche Aktivität und soziale Interaktion mit Mensch, Tier und Natur als herkömmliche Einrichtungen. Gleichzeitig können sie Landwirten zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten verschaffen und die dörflichen Strukturen stützen.
Die Umsetzung gestaltet sich derzeit noch schwierig; landwirtschaftliche Betriebe, die hier tätig werden wollen, müssen einen langen Atem haben. Forscher machen sich jetzt jedoch daran, praktikable Modelle zu entwickeln. Dabei könnte das KDA als Motor und Koordinator einer Green-Care-Initiative in Deutschland eine wichtige Rolle spielen.
Die neue Landlust – Bauernhof statt Altenheim, Pro Alter 02/2017, S. 14-35, Hrsg.: Kuratorium Deutsche Altershilfe, www.kda.de
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