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Weil der geltende „Pflege-TÜV“ mit seinen Noten in der Kritik steht, sollte bis Ende 2017 ein neues Bewertungssystem für Pflegeheime vorliegen: transparent, qualitätsorientiert, nutzerfreundlich. Eigentlich. Doch der von der schwarz-roten Bundesregierung beauftragte Qualitätsausschuss mit den Spitzenverbänden der Pflegeanbieter und -kassen kann frühestens 2019 liefern. Was ebenfalls Kritik hervorruft: „Das geht zulasten der Ratsuchenden", urteilt Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung. „Schon heute wäre es ohne großen Aufwand möglich, entscheidungsrelevante Informationen bereitzustellen." Gesagt, getan: Den starken Worten ließ die Gütersloher Stiftung eine repräsentative Umfrage folgen, die den tatsächlichen Informationsbedarf der Nutzer verdeutlicht.
Hintergrund der Umfrage ist die Befürchtung, dass sich die Akteure der Selbstverwaltung nicht nur später als nötig, sondern auch zulasten der Verbraucher einigen könnten. Bereits vorher hatte die Bertelsmann Stiftung im Rahmen des Internetportals „Weiße Liste“ ihr „Reformkonzept zur verbraucherorientierten Qualitätsberichterstattung in der Pflege“ vorgestellt. Diese Überlegungen werden jetzt anhand der Umfrage durch ein aktuelles Meinungsbild der Bevölkerung ergänzt: Welche Qualitätsmerkmale von Pflegeheimen sind den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen wirklich wichtig, welche entscheidungsrelevanten Informationen erwarten sie? Wichtige Ergebnisse im Überblick:
Der Informationsbedarf der Bevölkerung zu Angebot und Qualität von Pflegeheimen ist riesig: Jeder dritte Deutsche über 50 Jahre (32 %) hat bereits einmal für sich oder jemand anderen nach einem Pflegeheim gesucht, bei den Befragten über 60 Jahre sind es 38 Prozent. Bereits junge Menschen machen sich auf die Suche (18 – 29 Jahre: 14 %) – mit zunehmenden Jahren immer häufiger.
Die Ergebnisse belegen, dass die Hälfte der Befragten fürchtet, im Bedarfsfall nicht das passende Heim zu finden, weil ihnen wichtige Informationen zur Entscheidungsfindung fehlen. Ebenfalls wenig schmeichelhaft für den bestehenden Pflege-TÜV: Der Anteil der Menschen mit dieser Befürchtung ist unter denjenigen, die schon einmal ein Heim gesucht haben, mit 23 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei den Unerfahrenen (11 %).
Wer schon einmal gesucht hat, bekommt einen Blick für gravierende Qualitätsunterschiede zwischen den Einrichtungen. Mehr als die Hälfte der Deutschen (55 %) sieht laut Studie „sehr starke“ bzw. „eher starke“ Qualitätsunterschiede zwischen den Heimen. 63 Prozent aller Befragten befürchten Personalmangel; bei denen, die schon gesucht haben, sind es 73 Prozent.
Aufschlussreich ist die Rangfolge der Auswahlkriterien bei der Suche: Qualität von Pflege und Betreuung (86 %), Anzahl des Personals (75 %), fachliche Qualifikation (74 %) und Engagement des Personals (70 %) führen die Präferenzen an. Die Personalsituation ist den Verbrauchern also außerordentlich wichtig. Dann folgen das Preis-Leistungsverhältnis, Verpflegung und hauswirtschaftliche Versorgung sowie Komfort und Ausstattung des Hauses. Fazit der Befragung: „Es gibt eine große Anzahl an möglichen Kriterien zur Auswahl eines Pflegeheims. Welche das sind und wie diese gewichtet werden, ist individuell verschieden.“
88 Prozent der interessierten Bürger wünschen mehr Informationen zum Personaleinsatz, 95 Prozent zur Pflegequalität und 92 Prozent zur Ausstattung der Heime. 82 Prozent der Befragten meinen, dass die Prüfberichte der Heimaufsichten in allen Bundesländern veröffentlicht werden müssten, 74 bzw. 78 Prozent befürworten die Veröffentlichung der Ergebnisse von Bewohner-, Angehörigen- sowie Mitarbeiterbefragungen.
Im Zusammenhang mit den Umfrageergebnissen thematisieren die Autoren zentrale Eckpunkte für eine zukünftige Qualitätssicherung und -berichterstattung. So sollen zum Beispiel alle Informationen online verfügbar sein und spezielle Filter- und Sortierfunktionen eine maßgeschneiderte Suche ermöglichen. Dabei soll die „Engführung auf pflegerische Ergebnisqualität“ zugunsten eines vielfältigen und weitgespannten Kriterienkatalogs aus Verbrauchersicht möglichst vermieden werden. Insgesamt, so die Autoren, gilt es nicht das beste Heim zu finden, sondern das passende. Zum Beispiel: Hat der Pflegebedürftige eine Behinderung, darf er ein Haustier mitbringen, gibt es eine gemeinsame Hobbywerkstatt? Weiterhin bietet es sich an, das Erfahrungswissen aller an der Pflege Beteiligten, vor allem der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen, in die Berichterstattung einzubinden.
Zusätzlich sollten Kassen und Anbieter den Personalschlüssel des Heims offenlegen und über die Qualifikation der Mitarbeiter Auskunft geben. Pflegequalität muss durch verständliche Orientierungshilfen ablesbar sein – verdeutlicht zum Beispiel durch Piktogramme wie Warndreieck und grünen Daumen. Eine kaum verhüllte Kritik an den wenig aussagefähigen Bestnoten beim aktuellen Pflege-TÜV war nämlich: Vor schlechten Anbietern sollte gewarnt, gute Anbieter sollten hervorgehoben werden. Die erhobenen Rohdaten über Pflegeanbieter könnten dann zur freien Verfügung als Open Data im Netz bereitstehen.
Stefan Etgeton / Johannes Strotbek, Umfrageergebnisse: Verbraucherorientierte Qualitätsberichterstattung in der Pflege. Hrsg.: Bertelsmann Stiftung, Juli 2017, 14 Seiten
Weitere Informationen zum Reformkonzept:
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