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Der Kunde ist König, benimmt sich nur nicht immer so. Beschimpft, beleidigt und bedroht zu werden, gehört für viele Mitarbeiter hinter der Ladentheke, bei Behörden oder im Callcenter zum Alltag, belegt der Kundenkonfliktmonitor 2021 der Hochschule Darmstadt. Im Vergleich zur Vorgängeruntersuchung 2018 hat die Zahl solcher Konflikte zugenommen – wegen der persönlichen Kontakteinschränkungen in den Corona-Monaten häufig am Telefon. Die Konsequenz: Immer mehr Unternehmen ergreifen technische Vorkehrungen zum Schutz ihrer Mitarbeiter.
Der aktuelle Konfliktmonitor wurde von Studierenden des Fachbereichs Wirtschaft unter Leitung von Prof. Dr. Matthias Neu erstellt. Die Umfrage liefert ein Stimmungsbild zu Aggressionen im Kundenkontakt, keine tiefschürfende Analyse. 207 Unternehmen aus 13 Branchen waren daran beteiligt: darunter 21 Prozent aus dem Finanzdienstleistungsbereich, 20 Prozent aus der Immobilienbranche, 16 Prozent aus Behörden und 9 Prozent aus IT und Telekommunikation.
Klagten 2018 noch 23 Prozent der befragten Unternehmen und Einrichtungen über häufige Kundenkonflikte, waren es drei Jahre später schon 38 Prozent. Den meisten Ärger gab es am Telefon, deutlich weniger im direkten Gespräch (87 vs. 66 %). Die beiden Werte sind die bislang höchsten bzw. niedrigsten für ihre Kontaktform: ein Hinweis auf die pandemiebedingte Verlagerung der Kundenkontakte von der Präsenz zur Distanz, interpretiert Studienleiter Neu.
Als häufigste Formen der Kundenkonflikte zählen die Befragten verbale Auseinandersetzungen (97 %), Beleidigungen (47 %) und Drohungen (32 %) (Mehrfachnennungen möglich). Auch Sachschäden (19 %), körperliche Angriffe (8 %) und sogar bewaffnete Situationen (2 %) kommen vor. Insgesamt meint eine Mehrheit der Befragten (51 %), dass die Konfliktbereitschaft zugenommen habe, 45 Prozent sagen, sie sei gleich geblieben.
Auf die Frage nach den Gründen für die steigende Konfliktbereitschaft haben die Befragten mehrere Erklärungen. Einen Spitzenplatz nimmt die Wahrnehmung erhöhten Drucks im Berufsleben ein (26 %). Im Einzelnen geht es dabei um Leistungs-, Erfolgs-, Zeit- und Kostendruck. Eine große Rolle spielen auch pandemiebedingte Sorgen und Ängste (12 %), finanzielle Schwierigkeiten (10 %) sowie unverhüllter Egoismus und offen ausgelebte Respektlosigkeit (10 %). Weitere Untersuchungen zum Thema fanden heraus, dass Konflikte bevorzugt dort drohen, wo Servicemitarbeiter Regeln gegenüber Kunden durchsetzen müssen, etwa die Corona-Schutzregeln bei der Bahn oder Sicherheitskontrollen an Flughäfen. Öffentlich in die Schranken gewiesen zu werden, entspreche oft nicht dem Selbstbild der Kunden.
Was auch immer die Ursachen für Beschwerden und Ärger sind: Wesentlich für den Konfliktverlauf ist die Reaktion der Mitarbeiter*innen: Sind sie den Attacken schutzlos ausgeliefert oder tragen sie zur Eskalation bei? Können sie die Situation entschärfen oder sogar eine einvernehmliche Lösung herbeiführen? Laut Konfliktmonitor versuchen die Beschäftigten, die Situation zu beruhigen (94 %), ziehen Vorgesetzte hinzu (61 %), brechen das Gespräch ab (41 %) oder fordern Polizei oder einen Sicherheitsdienst an.
Viele Unternehmen haben erkannt, wie wichtig der konstruktive Umgang mit „schwierigen“ Kunden ist. Dabei geht es nicht nur um die Reputation des Unternehmens, sondern auch um den Schutz der Mitarbeiter*innen. Folglich sollen Gespräche (16 %) und Schulungen (59 %) die Beschäftigten zur Deeskalation befähigen. Gängige Strategien der Konfliktbewältigung sind etwa das wohlmeinende Überhören von Spitzen, ein Win-Win-Angebot zur Güte oder das nochmalige Aufrollen des Falls von Anfang an, um Missverständnisse auszuräumen und eine gemeinsame Bewertungsbasis zu finden.
Aber dabei bleibt es nicht. Zwei Drittel der Unternehmen (65 %) setzen inzwischen auf technische Maßnahmen, um Konfrontationen zu vermeiden (2018: 22 %). „Dies können Kameras oder Notfallmechanismen sein, auch digitale, um Beschäftigte zu schützen“, erklärt Neu.
Fast 70 Prozent der Umfrageteilnehmenden gaben selbstkritisch an, dass Unstimmigkeiten und Streitigkeiten mit Kunden auch gelegentlich auf Fehler des Unternehmens bzw. einzelner Mitarbeiter*innen zurückgeführt werden können. Kunden geraten zum Beispiel in Rage, wenn wichtige Vertragsinformationen im Kleingedruckten versteckt werden, sie ärgern sich über missverständliche Werbebotschaften, schlechten Service sowie fehlerhafte Beratung durch Mitarbeiter*innen. Eine Perspektive, die so manches Scharmützel entschärfen dürfte: Zur Konfliktbewältigung gehört eben auch eine aufgeklärte Fehlerkultur in den Unternehmen und Behörden.
Matthias Neu u.a., Kundenkonfliktmonitor 2021. Hochschule Darmstadt (Hg.), 29 Seiten, Pressemeldung
Die Erhebung ist auf Anfrage bei Prof. Dr. Matthias Neu erhältlich:
E-Mail: matthias.neu[at]h-da.de
Mehr zum Thema: Hendrik Hilmer, Konflikte in Projekten, Erklärungsmodelle, Methoden und Lösungen für eine bessere Konfliktkompetenz, Berlin, Heidelberg, 333 Seiten
Konflikte mit Kunden. Der Kunde ist immer König? Von wegen! Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag, vom 24.11.2017, www.shz.de/deutschland-welt/panorama/der-kunde-ist-immer-koenig-von-wegen-id18408966.html (abgerufen am 22. 8. 2021)
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