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„Es waren einmal Dinos, Ponys, Ballett, Laserstrahlen und ein Wurmloch und plötzlich hatten alle Lust auf die Schleich-Figuren im Happy Meal. The End.“ Märchenstunde bei McDonald’s, das bei jungen Facebook-Nutzern Appetit auf sein Fast-Food-Menü wecken will. Eines von vielen Beispielen aus einer Studie der Universität Hamburg über das zunehmende Kindermarketing speziell für Lebensmittel. Die hierzu konsumierten Spots in TV und Internet preisen fast ausschließlich Fast Food, Snacks und Süßigkeiten an.
Die Studie wurde von der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), dem AOK-Bundesverband und sieben medizinischen Fachgesellschaften und Organisationen finanziert. Studienautor und Ökonom Dr. Tobias Effertz analysiert darin ein Jahr lang die Werbekontakte von 3- bis 13-jährigen Kindern in Internet und Fernsehen. Danach sieht jedes Kind im Schnitt täglich 15 Werbespots für Lebensmittel, die nach WHO-Klassifikation ungesund sind und nicht an Kinder vermarktet werden sollten: fünf im Internet und zehn im Fernsehen.
Von den untersuchten Werbespots im TV werben 89 Prozent für ungesunde Produkte, auf Facebook nahezu alle, auf Instagram bis zu 80 Prozent. Weitere Fakten:
Wirkmechanismen und Kausalität des Kindermarketings „für gesteigertes, ungesundes und damit zu Adipositas führendes Konsumverhalten von Kindern“ sind laut Studie mittlerweile wissenschaftlich belegt. Entsprechend kritisch äußert sich Professor Dr. Hans Hauner, Leiter des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin der TU München. Als Vorsitzender der Deutschen Diabetes Stiftung (DDS) spricht er zugleich für eine der Fachorganisationen, welche die Studie gefördert haben. „Über 15 mal am Tag werden unsere Kinder von der Industrie dazu animiert, mehr Zucker, Salz und Fett zu essen. Das macht alle Bemühungen um eine Erziehung zur gesunden Ernährung zunichte und darf nicht weiter toleriert werden.“ Zumal Werbung stärker wirken könne als ein gutes Vorbild der Eltern.
Die Lebensmittelindustrie sieht die Dinge naturgemäß anders und nimmt die Verbraucher in die Pflicht. „Ein Werbeverbot für einzelne Lebensmittel macht die Menschen nicht schlank“, sagt Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer beim Lebensmittelverband Deutschland. Der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie fordert, die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu stärken und verwies auf Untersuchungen zum Bewegungsmangel junger Menschen.* Mehr als die Zusage freiwilliger Selbstbeschränkung bei Werbebotschaften für ungesunde Lebensmittel war der Industrie bisher nicht abzutrotzen.
Die Studie belegt indes, dass sich die Werbung für Lebensmittel in Inhalt und Aufmachung (Cartoons, Bonus-Spielzeug) trotz dieser Zusagen immer häufiger und sehr gezielt an Kinder richtet. „Freiwillige Vereinbarungen zur Reduktion haben sich damit als wirkungslos erwiesen“, stellt Studienautor Effertz fest. Das gelte nicht nur für Deutschland, sondern für alle Länder, die alleine auf diese Variante zur Beschränkung von Kindermarketing gesetzt hätten. Der Wissenschaftler betont stattdessen die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regulierung analog zum Verbot von Tabakwerbung – die Gesundheit von Kindern wiege höher als die Meinungs- und Berufsfreiheit der Lebensmittelindustrie. Es sei höchste Zeit, die Branche in die Pflicht zu nehmen: „Wichtig wäre, dass die Regel alle Massenmedien umfasst und insbesondere das Influencermarketing speziell reguliert, indem man die sozialen Medienplattformen in die Regulierung einbindet.“
* Süddeutsche Zeitung, Kindermarketing: Aktion 24 Stunden Chips essen, vom 12. 3 2021 (aufgerufen am 30.06.2021)
Tobias Effertz, Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel in Internet und TV, Universität Hamburg, 2021, 46 Seiten
Kurzfassung der Studie unter www.dank-allianz.de/dokumente.html
Langfassung unter www.bwl.uni-hamburg.de/irdw/forschung.html
Zum Thema siehe auch:
Food Watch-Report 2021: Junkfluencer. Wie McDonalds, Coca-Cola und Co. in sozialen Medien Kinder mit Junkfood ködern, 48 Seiten, Download
Ärzte Zeitung, Kindermarketing: Selbstbindung ist praktisch ohne Wert, vom 22.05.2017 (aufgerufen am 30. 7. 2021)
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