Suche
Verlag Hanser Berlin, 2022, 336 Seiten, 24 Euro
Vor zwanzig Jahren beschrieb Katja Kullmann in dem preisgekrönten Bestseller „Generation Ally“, warum es so kompliziert ist, eine Frau zu sein. Dabei nahm die Journalistin ironisch Bezug auf Ally McBeal aus der gleichnamigen US-Kultserie, die das Gefühl hatte, in einer verzwickten, kaum lösbaren Lage zu sein: Die Junganwältin wollte emanzipiert sein, Karrierechancen wahrnehmen, nicht auf Kinder und eine gute Work-Life-Balance verzichten – und dabei sich nicht selbst verlieren. Zwanzig Jahre später erzählt die Journalistin in „Die singuläre Frau“ wie es ist, mit Anfang 50 eine Frau ohne Begleitung zu sein. Katja Kullmann, selbst Langzeitsingle, hat unserer Autorin Maicke Mackerodt im Telefoninterview erklärt, weshalb das Leben als Solistin sehr begehrenswert sein kann.
In der ersten Buchhälfte schreibt Katja Kullmann meist noch von der Frau ohne Begleitung, der Single-in, der alleinstehenden Frau – oder zitiert Beschimpfungen wie „spätes Mädchen“, „Katzenlady“ oder „Frigider Freak“. Singlefrau, Mauerblümchen, alte Jungfer – Frauen ohne Begleitung haben keinen guten Ruf, stellt Katja Kullmann fest. Alleinlebend, keine Kinder: Frauen, die sich für dieses Lebensmodell entschieden haben, werden argwöhnisch beäugt, oft sogar stigmatisiert als Zicke, die keinen abgekriegt haben. Die Journalistin der Tageszeitung taz nennt sich selbst „gesellige Einzelgängerin“ – und ganz bewusst „singuläre Frau“. Gemeint ist, ohne Zweierbeziehung. Früher hatte die Soziologin mehrere feste Beziehungen, dann brauchte sie eine Pause. Ins Nachdenken kam die Journalistin, als ihr kurz vor dem 50. Geburtstag schockartig klar wurde: Sie ist seit 14 Jahren unverpartnert, regelt ihr Leben sehr gerne alleine. Sie ist Solistin geworden.
In manchen Städten lebt schon fast die Hälfte aller Frauen allein, 18 Millionen Alleinstehende zählte das Statistische Bundesamt 2020. Neuneinhalb Millionen davon waren Frauen, „eine davon war ich – ein Massentierchen“, schreibt die Autorin. Ich gehöre zu den Frauen, denen man nachsagt, dass sie kein Glück in der Liebe haben.“
„Es gab durchaus die eigene Scheu, mich mit dem Alleine-Leben auseinanderzusetzen“, sagt Katja Kullmann im Telefoninterview. „Es war meine eigene Selbstverunsicherung, nach dem Motto: Die hat keinen abbekommen, bin ich nun gescheitert?“ Diese Frage habe sie sich gestellt und sei den ganzen Verlusterzählungen aufgesessen.
Die Soziologin wollte zunächst ihre eigene Existenz klären, entscheidend sei dabei für sie die Suche nach Vorbildern gewesen. „Ich entdeckte Spuren von Frauen, die viel schlimmere Dinge erlebt haben, als allein zu leben. Es machte mir Freude, hunderte Bücher zu lesen, weil ich verstehen wollte, welche Lebensmodelle dahinter stecken.“
Katja Kullmann erzählt von selbstbewussten Frauenrechtlerinnen vergangener Jahrhunderte, von der französischen Revolution bis zur Gegenwart, und nennt es „die moderne Ära, in der Frauen angefangen haben, sich frei zu machen“. Sie schreibt von den modernen Frauen wie alleinstehenden Büroangestellten der Weimarer Republik – und spürt dem Klischee von der angeblich einsamen Akademikerin der Gegenwart nach.
Seit Beginn des 20. Jahrhundert hat die alleinlebende Frau alle zwanzig Jahre in der Öffentlichkeit einen neuen Namen bekommen, der immer auch mit ihrer gesellschaftlichen Stellung zu tun hatte. Die geschlechtsneutrale Junggesellin um die Jahrhundertwende. Zwischen den Weltkriegen, in den 1920er-, 1930er-Jahren nannte man die Bürofräuleins an den neuen Schreibmaschinen „die neue Frau“. „Die waren sehr respektiert und wurden zu ihrer Zeit als glamourös empfunden.“ Eine leuchtend-schillernde Figur der 1920er Jahre ist für die Autorin Marlene Dietrich, selbstbewusst und bewundert mit Bubikopf und Flatterhosen. „Da bin ich umgefallen, das war ein neuer Frauentypus, neue Rollenmodels, die formulierten plötzlich Ansprüche an den Partner: Suchten Gefährten, daher kommt die Gefährten-Partnerschaft. Zuversicht lag in der Luft, viele Männer wollten mitziehen, bis die Nazis den Aufbruch stoppten. In Frankreich, in den USA oder Skandinavien hat sich dieses Frauenbild nie so krass zurückgedreht wie in Deutschland. Die Nazis haben das Frauenbild regelrecht zementiert und das hat Auswirkungen bis heute“, sagt Katja Kullmann.
Das Alleinleben hat sich historisch verändert – alleinlebende Frauen sind heute ein Modell unter vielen geworden. Die singuläre Frau von heute hat ein neues Selbstvertrauen entwickelt, es gibt neue Selbstverständlichkeiten. Die Politikwissenschaftlerin bilanziert: Die meisten Einordnungen zum Rollenstatus kommen von außen – und das kenne ihrer Meinung nach jede Frau. „Selbst Witwen, die nicht schuld sind, erleben es, je länger sie alleine leben. Dieselben Anwürfe, pseudoliebevollen Bemerkungen und Hinweise auf das Defizit, Verkupplungsangebote inklusive. Ich kenne das auch, Sexismus schlägt Alleinlebenden somit doppelt entgegen, vor allem, wenn man als singuläre Frau mit klugen Sprüchen kontert“, stellt Katja Kullmann wenig amüsiert fest.
Die singuläre Frau, die Solistin, so nennt Katja Kullmann all die Frauen, die ohne Begleitung durchs Leben gehen. Sie habe bewusst den Begriff „singulär“ gewählt, der beispielsweise auch einzigartig bedeutet, um zu unterstreichen, dass es sich um ein gleichberechtigtes Lebensmodell handelt. Manche sind verwitwet oder geschieden, manche wollen keine Partnerschaft, andere leben unfreiwillig allein. Sie alle eint, dass in der Gesellschaft die Hetero-Beziehung als normal und im Extremfall zum einzig relevanten Lebensinhalt einer Frau erklärt wird. Die Frau ohne Mann an der Seite ist eine Art freies Radikal, wie die Autorin es ausdrückt, das die angeblich „natürliche“ Ordnung stört. Der Zustand des Alleinelebens muss „eliminiert“ werden, gemeint sei, durch einen „Partner neutralisiert“ werden. Die natürlichen Regungen der Frauen sollen angeblich Fürsorge, Pflege und das Verführen sein. „Das ist kollektiv verankert.“ Eine meiner ersten Fragen: „Bin ich ohne einen Partner als Gegenüber eine vollständige, verführerische Frau? Das will ich miterzählen“, so die Soziologin.
Bei alleinstehenden Männern ist der abwertende Unterton seltener, stellt die Autorin fest. „Die Rede ist vom ewig jung Gebliebenen, einfach das von vielen akzeptierte kulturhistorische Patriarchat, die Männerherrschaft. Der Mann ist das autonome Subjekt, der als Odysseus auf großer Fahrt geht oder als einsamer Cowboy rauchend in der Prärie sitzt. „Selbst bei Versagern verbinden wir eher Heldengeschichten mit alleinlebenden Männern. Für Frauen gibt es diese Geschichtenräume nicht.“ Das Leben von Frauen spielte sich über Jahrhunderte in vier Wänden ab. Durch das Ehekorsett seien sie schwerfälliger gewesen, waren für Katja Kullmann lange das eingesperrte Geschlecht. „Alleine reisen ist meiner Meinung nach ein großes Thema. Ich würde mich nie trauen, im Dschungel eine abgeschiedene Hütte zu mieten, aus Angst vor Vergewaltigung. Der Mann hat diese Grundbefürchtung nicht im Nacken.“
Einer der Schlüsselsätze in „Die singuläre Frau“ lautet: „In jeder Frau steckt eine Frau ohne Begleitung, ob sie will oder nicht.“ Dahinter steckt für Katja Kullmann, dass selbstverständlich auch gebundene Frauen gut daran tun, mehr Mut zur eigenen Geschichte, zu den eigenen Interessen zu haben, anstatt fortwährend um ein Gegenüber zu kreisen, ganz gleich ob eine männliche oder weibliche Partnerin.“
Ihr neues Hobby sei Zufallszwischenmenschlichkeit geworden. „Das heißt, ich bin offen für Freundschaften, für enge nahe Bindungen, aber auch gegenüber flüchtigen Bekanntschaften. Eine Vielfalt an Sozialität. Anstatt mich auf eine einzige Person zu konzentrieren, habe ich neuen Techniken entwickelt, wie ich mich zuhause fühle in der Welt und keinen im Nacken habe, der auf mich aufpasst. Ich kreise nicht ständig um Beziehungshygiene, sondern bin ein soziales freundliches Wesen geworden. Daraus ergibt sich ein unglaublicher menschlicher Reichtum, das geht vielen Frauen so, diese Vielfalt, dieses Vertrauen in die Welt“, erzählt Katja Kullmann im Interview.
Katja Kullmann begibt sich in ihrem profunden Buch nicht nur auf eine Selbsterkundung, sondern „Die singuläre Frau“ ist auch auf eine sehr lesenswerte Zeitreise. Die Autorin zeichnet historische Entwicklungen nach, zeigt auf, wie wirtschaftliche, gesellschaftliche und medizinische Entwicklungen dazu führten, dass Frauen nicht länger gezwungen waren, sich zu verheiraten – oder verheiratet zu bleiben. Das Buch lässt das Alleinsein in verschiedenen Nuancen schillern, ehrlich, selbstironisch und witzig. Die Journalistin hat sich mit viel Selbstironie selbst erkundet, die Geschichte alleinlebender Frauen erforscht und festgestellt: Singuläre Frauen sind für sie „Pionierinnen der Moderne“.
Sozialmarketing
„Immer einen Plan B haben, nie den Mut verlieren!“
Gesundheit
Ein hoher Anteil Hochbetagter genießt das Leben
Soziales
Was soziale Quartiersarbeit leisten kann
Zivilgesellschaft
Vom Wandel in Ostdeutschland lernen: Wie aus Umbruch Aufbruch wird
Digitalisierung
Wenn Kinder stundenlang auf den Bildschirm starren
Buchempfehlung
Katja Kullmann: Die singuläre Frau
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail