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Lockdown, Quarantäne und Distanzunterricht haben vielen Kinder und Jugendliche psychisch zugesetzt. Auch der Alltag zuhause bekam ihnen nicht immer gut: mehr Fernseher, mehr Smartphone, mehr PC. Nicht nur die Bewegung blieb auf der Strecke, sondern oft auch die Sehkraft. Die Pandemie macht kurzsichtig, vor allem Kinder und Jugendliche, warnen Wissenschaftler der Ernst-Abbe-Hochschule (EAH) Jena. Anhand aktueller Daten zu Nutzungsdauer und Medienkonsum junger Menschen während der Pandemie bewerteten sie die gesundheitlichen Auswirkungen – insbesondere auf Augen und Sehvermögen.
Wobei bereits länger bekannt ist, dass sich Kurzsichtigkeit (Myopie) weltweit ausbreitet. Schon Kinder starren stundenlang auf den Bildschirm, verbringen viel Zeit im Nahsichtmodus und bewegen sich wenig. In den entscheidenden Entwicklungsjahren wächst somit der Augapfel über die Normlänge hinaus, das Bild trifft also nicht wie im Idealfall auf der Netzhaut auf, sondern davor. Damit wird das Sehen in der Nähe scharf, in der Ferne unscharf. Dieser Prozess erhielt infolge von Homeschooling und Homeoffice noch einmal einen deutlichen Schub – und damit auch die Gefahr von Kurzsichtigkeit. Infolge der Coronajahre nutzten Kinder, Jugendliche und Erwachsene digitale Endgeräte „in einem bisher nicht dagewesenen Ausmaß“, schreiben Stephan Degle und Michaela Friedrich, Expert*innen für Augenoptik, Optometrie und Vision Science an der EAH.
Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren surfen im Durchschnitt fast zwei Stunden (111 Min.) pro Tag im Internet, besagen Zahlen einer aktuellen Befragung durch den Digitalbranchenverband Bitkom. Demnach nutzen fast alle (98 %) ein Smartphone oder ein Tablet, die Nutzungsdauer steigt mit dem Alter an: bei Sechs- bis Neunjährigen sind es erst 49 Minuten, bei 16- bis 18-jährigen schon zwei Stunden und 46 Minuten. Eine DAK-Studie belegt eine deutliche Zunahme der Mediensucht von Kindern und Jugendlichen, vor allem bei Computerspielen.
„Bei Schülern und Studierenden sehen wir sowohl in der optometrischen Forschung als auch in der Praxis, dass es in den vergangenen Monaten in zahlreichen Fällen zur einer coronabedingten starken Zunahme von Kurzsichtigkeit kommt“, konstatiert Augenmediziner Degle. „Dabei hat der Anstieg von Kurzsichtigkeit nichts direkt mit der Sehschärfe zu tun, vielmehr ist er die Folge davon, dass die Kinder so viel mehr in der Nähe schauen und weniger Bewegung haben.“ Die Wissenschaftler aus Jena nennen häufige Symptome infolge starker Mediennutzung:
Die Beschwerdemuster bei intensivem und statischem Bildschirmkontakt werden heutzutage als Computer Vision Syndrome (CSV), Office Eye Syndrome (OES) oder Digital Eye Strain (DES) erforscht. „Kinder können genau die gleichen Beschwerdebilder bekommen wie Erwachsene, nur eben schon früher. Und da sie sich noch im Wachstum befinden, können sich Störungen manifestieren und zu lebenslangen Belastungen werden“, führt die Expertise aus.
Oft wird übersehen, dass der hohe Blaulichtanteil der Bildschirme von Smartphone, Tablet & Co. die Produktion des Schlafhormons Melatonin reduziert und somit die Schlafqualität mindern kann. „Deshalb sollten digitale Endgeräte spätestens eine halbe Stunde vor der Schlafenszeit ausgeschaltet und nicht im Schlaf- oder Kinderzimmer abgelegt werden, damit der Tag-Nacht-Rhythmus stabil bleibt und keine Schlafstörungen entstehen.“ Wo der Verzicht auf digitale Medien nicht möglich ist, sollte die Farbtemperatur des Endgeräts angepasst werden. Darüber hinaus helfen qualitativ gute Monitore oder spezielle Brillengläser, welche die Blaulichtanteile herausfiltern.
Ein einmal zu lang gewachsener Augapfel schrumpft nicht wieder. Augenmediziner Degle rät, dem Risiko der Kurzsichtigkeit gezielt vorzubeugen, auch wenn es sich um keine Krankheit handele. „Denn ein schneller Anstieg kann fatale Folgen für die Augengesundheit haben und irreparable Schäden bewirken.“ Einfach, aber wirkungsvoll bei langer Bildschirmbeschäftigung: für Abwechslung sorgen, immer wieder in die Ferne schauen und regelmäßig Pausen machen. Ganz wichtig: Viel Zeit im Freien verbringen, weil das Längenwachstum des Auges durch Tageslicht gehemmt wird. Bekommt das Auge täglich weniger als eine Stunde Tageslicht, ist das Risiko von Kurzsichtigkeit doppelt so hoch wie bei einem regelmäßigen zweistündigen Aufenthalt unter freiem Himmel.
Am wirksamsten sei eine Verhaltensänderung, so etwa der sinnvolle, altersentsprechende Umgang mit Medien aller Art. Zum Aufbau von Medienkompetenz zählten die zeitlich begrenzte und inhaltlich angemessene Nutzung digitaler Endgeräte, eine ergonomische Anpassung der Umgebung (z. B. durch einen höhenverstellbaren Stuhl) – und das Vorbild von Bezugspersonen.
Michaela Friedrich und Stephan Degle, Taschenbuch mit eigener Kinderbroschüre „Entspannt am Smartphone, Tablet und PC für Kinder“, Heidelberg, 2022 (www.doz-verlag.de)
Bernhard Rohleder, Kinder- und Jugendstudie 2022, Bitkom-Research Juni 2022, 17 Seiten, Download
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Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen in Coronazeiten (Pressemeldung, 9. April 2021
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