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Constantin Schreiber spricht fließend Arabisch und arbeitete nach seinem Jurastudium mehrere Jahre als Reporter in Beirut und Dubai. Für seiner Fernsehserie Marhaba - Ankommen in Deutschland bekam der Nahostexperte 2016 den renommierten Grimme-Preis und wurde gleichzeitig heftig kritisiert, dass er Flüchtlinge nach Deutschland locke. Zuletzt löste der Journalist mit „Inside Islam“ über die Predigten in deutschen Moscheen heftige Debatten aus. Seit 2021 ist er als ARD-Tagesschau-Moderator zur objektiven Neutralität verpflichtet. In seinem neuen Buch „Glück im Unglück. Wie ich trotz schlechter Nachrichten optimistisch bleibe“ lotet er Wege aus, trotz aller Widrigkeiten um uns herum Glück zu empfinden. Unsere Autorin Maicke Mackerodt hat mit Constantin Schreiber über seine für ihn völlig untypische Nachrichtenermüdung und die Suche nach Glück gesprochen.
Corona, Ukraine-Krieg und Inflation. Energiekrise, Klimawandel, steigende Lebensmittelpreise: Schlechte Nachrichten zu verbreiten gehört zum Alltag von Constantin Schreiber. Seit gut zwei Jahren ist der Journalist Moderator der renommierten Tagesschau und in dieser Funktion ist eine persönliche Haltung unerwünscht. Erwartet wird freundliche seriöse Objektivität. Als Autor interessierte sich der Nahostexperte lange vor allem für kontroverse Themen wie den Islam oder den saudi-arabische Blogger Raif Badawi, der 2014 wegen „Beleidigung des Islam“ zu 1000 Peitschenhieben verurteilt und 2022 frei gelassen wurde. Constantin Schreiber wurde mal von rechts, mal von links angegriffen, stand immer wieder mitten im Shitstorm.
Umso überraschender, dass ihm die geballten Krisen, die Kriegs- und Katastrophenbilder zuletzt zunehmend nahekamen. „Als ich zu Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine ständig Bilder sah, von Verzweiflung, von weinenden Frauen und Kindern, bekam meine professionelle Distanz, bekam mein Schutzschild Risse. Ich spürte eine für mich völlig untypische News-Fatigue, eine Nachrichtenermüdung“, schreibt Constantin Schreiber, „und konnte das einfach nicht mehr wegdrücken.“
„Ich sträube mich dagegen, in so eine negative Spirale zu fallen und merke aber, dass das durch die Gesamtstimmung fast so ein bisschen erwartet wird“, sagt Constantin Schreiber im Interview: „Hauptsache man ist verschreckt und ängstlich, weil alles ja so fürchterlich ist.“ Er dagegen sei ein Mensch, der mit Herausforderungen umgehen kann. Anstatt sich permanent Angst machen zu lassen, schlaflose Nächte zu haben und sich dauernd zu sagen: „Oh Gott, es ist ja vollkommen aussichtslos, alles wird immer schlimmer“, das entspreche so gar nicht seinem Habitus.
Der Autor nimmt wahr, dass viele Debatten über das Klima, die Inflation oder die Zuwanderung tatsächlich davon geprägt sind, immer neue negative News. „Es geht unterschwellig oder explizit ja um die Annahme, es geht jetzt nur noch bergab. Open End, bis man ganz unten ist. Aber das bringt ja eigentlich nichts“, sagt der Moderator.
Der tägliche Overkill an schlechten Nachrichten erzeugt nicht nur bei Constantin Schreiber eine Mischung aus Betroffenheit und emotionaler Abstumpfung. Für den Journalisten ist die Übersättigung längst Mainstream geworden. „Ein panischer Zeitgeist bestimmt das Leben“, stellt er fest. Wirklich bedrohlich findet der Journalist darüber hinaus noch den Einbruch des Politischen in den Alltag. Jeder Kinofilm, jede Avocado, jede Dusche, jede Autofahrt, im Grunde werde jedes Thema inzwischen ideologisch aufgeladen. „Mich stört schon lange, dass viele Menschen ihre politischen Überzeugungen wie eine Monstranz vor sich hertragen“, schreibt Constantin Schreiber und führt im Privaten keine sinnlosen politischen Diskussionen mehr.
„Ich habe eigentlich den Wunsch, das Beste aus dem Hier und Jetzt, aus meinem Leben und mit den Menschen um mich zu machen“, sagt der Autor. „Ich empfinde das als hinderlich, dass so viel Negativität um mich herum stattfindet und alles so pessimistisch gesehen wird.“ Ja, es gebe tatsächlich globale Probleme, ebenso wie Probleme in unserer Gesellschaft und Probleme miteinander. Nur werden sie seiner Meinung nach „verstärkter wahrgenommen und nehmen einen viel größeren Raum ein, als es vielleicht notwendig wäre“.
Constantin Schreiber versucht seitdem zwischen dem persönlichen Glück und dem allgemeinen Unglück eine Art Balance herzustellen: Dem Gefühl, sich gut zu fühlen und es sich gut gehen zu lassen wieder mehr Raum geben, dann ist man seiner Meinung nach auch offener für andere Menschen und für Problemlösungen.
Constantin Schreiber hat begonnen, mit kleinen Glücksmomenten gegenzusteuern. Ganz oben stehen bei dem Hamburger Natur und Meer oder Yoga mit seiner Tochter. Als unbewusstes Glückstraining oder Initialzündung bezeichnet er das Wiederentdecken des Klavierspiels. Nach 23 Jahren konnte er Mozarts Rondo alla Turca noch aus dem Gedächtnis spielen, nun präsentiert er sein Buch Glück im Unglück sogar in der Elbphilharmonie in Hamburg.
Religion als spirituelles Element, auch das entdeckt Constantin Schreiber bei seinen Recherchen als einen Glücksbaustein: Begreifen, dass die eigenen Möglichkeiten begrenzt sind, das macht seiner Meinung nach zufriedener und ausgeglichener. Geholfen haben ihm dabei seine frühen und langjährigen Erfahrungen im Nahen Osten.
Er nennt es das Inschallah-Prinzip: „Das bezieht sich auf ein Lebensgefühl im Nahen Osten, das ich immer wieder wahrgenommen habe und tatsächlich vorbildlich fand, Inschallah, so Gott will.“ Das sei nicht so ein wahnsinnig religiöser Ausspruch, sondern beinhaltet für den Autor so was wie Urvertrauen, es wird schon werden, wenn der Bus nicht kommt, Inschallah kommt der Nächste.
„Wenn in Deutschland der Bus nicht kommt, würde man sagen, es kommt nie wieder einer, um etwas überspitzt die kulturellen Unterschiede darzustellen.“ Constantin Schreiber hat beobachtet, dass diese Inschallah-Haltung, dieses ‚Es-wird-schon-werden‘, die Menschen gerade im Nahen Osten, wo ja vieles nicht gut funktioniert im Alltag, erstaunlich positiv und gelassen durch den Alltag, durch ihr Leben trägt: „Da, denke ich wirklich, könnten wir uns eine Scheibe von abschneiden.“
Als Pendant dazu, sich aus der Welt der schlechten Nachrichten komplett auszuklinken, bietet Constantin Schreiber an, sich im Leben auf etwas einzulassen, was ein gutes Gefühl erzeugt. Er habe bei den Recherchen gelernt: Glück ist ein biologischer Prozess, den man gezielt trainieren kann, indem man Freunde einlädt, ins Museum oder ins Konzert geht und so das Schöne wieder ins Leben holt. Dann werde Dopamin und Serotonin ausgeschüttet, alles Botenstoffe, die ein wohliges Gefühl erzeugen.
Der Moderator ist überzeugt davon, dass man Glücklichsein trainieren kann, auch in Zeiten des Unglücks, gerade in Zeiten von Krisen. Für ihn hat es jeder „ein Stück weit in der Hand, sich auf diese Weise gegen schlechte Nachrichten oder gegen die Krisen zu wappnen.“ Er probiert verschiedenen Möglichkeiten aus und lässt sich auf Vertrautes und auf Neues ein, um herauszufinden, was funktioniert für ihn - und was nicht. Constantin Schreiber will Freundlichkeit trainieren und installiert einen Freundlichkeitstag, der sich als gar nicht so einfach entpuppt. Eine andere Methode, nämlich Blut zu spenden, klappte dagegen, „weil es ein freundlicher Akt unseren Mitmenschen gegenüber ist. Ein selbstloser Akt, deswegen sagen Wissenschaftler: Das ist etwas, was uns glücklich macht.“ In der Tat war der Moderator anschließend „stolz und glücklich, dass ich das getan habe, weil ich wusste, das ist jetzt gut“.
Constantin Schreiber schlägt zahlreiche Formen vor, seine positive Grundhaltung zum Leben zu trainieren. Beglückend erlebte er bei seinen Recherchen, als der Glücksforscher Tobias Esch ihm von der U-Kurve des Glücks erzählt hat. „Man startet mit sehr viel Glücklichsein im Leben als junger Mensch, dann geht es bergab.“ Forschungen und Befragungen haben gezeigt, dass weltweit Menschen den Tiefpunkt ihres Lebensglücks erreichen, wenn sie 43 sind. „Ich bin 43, also statistisch gesehen am Tiefpunkt meines Lebensglücks“, sagt Constantin Schreiber und klingt sehr zuversichtlich, nicht zuletzt, weil er weiß: Dann wird es wieder besser. „Je älter die Menschen werden und das läuft ja dem zuwider, was man vielleicht manchmal denkt oder befürchtet, desto glücklicher werden sie.“ Und das sei eben ein besonders starkes Glück, das der Glückseligkeit.“ Wenn das Glück, so habe Tobias Esch das gesagt, sich demaskiert als etwas, also ich brauche nichts und will auch etwas nicht, sondern es ist einfach da. „Es kommt aus einem selbst, als eine Art Lebenslohn für das, was man geleistet hat.“ Diese Aussicht findet Constantin Schreiber sehr schön: „Ich kenne tatsächlich genügend Menschen, bei meinen Eltern angefangen, wo ich sagen würde: Ja, doch, ich glaube, das ist auch tatsächlich so.“
Für „Glück im Unglück. Wie ich trotz schlechter Nachrichten optimistisch bleibe“ kombiniert Constantin Schreiber leicht verständlich wissenschaftliche Erkenntnisse aus Philosophie oder Neurologie mit eigenen Erfahrungen. Er habe sein Leben neu ausgerichtet, mit dem klaren Ziel: weniger Medienkonsum, mehr ausgleichende Glücksmomente wie reisen, wandern, Musik machen, essen mit Freunden. Die Suche des Autors nach dem persönlichen Glückscode mag für sich gesehen banal und belanglos sein. Interessant und anregend ist dagegen das Nachdenken gerade eines Top-Journalisten über die um sich greifende Nachrichten-Müdigkeit, die News-Fatigue, und welche Strategien gegen die emotionale Abstumpfung hilfreich sein könnten.
Autorin Maicke Mackerodt
Constantin Schreiber: "Glück im Unglück" | Leipziger Buchmesse 2023
https://www.derstandard.de/story/3000000134944/das-glueck-in-gluecksfernen-zeiten
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