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Die Corona-Pandemie mit ihren Kontakteinschränkungen und Schulschließungen hat junge Menschen in ihrer Entfaltung empfindlich zurückgeworfen. Eine neue Studie legt jetzt mit alarmierenden Erkenntnissen zu deren Medienkonsum nach: Exzessives Zocken, Streamen und Abtauchen in soziale Netzwerke haben während der Pandemie stark zugenommen. Besonders problematisch daran: Viele Kinder und Jugendliche sind mittlerweile mediensüchtig. Daran hat auch das Ende von Corona nichts geändert.
Die genannten Mediensuchtvarianten (engl. Gaming Disorder) sind in der 2022 aktualisierten ICD-11-Klassifikation als eigenständige Diagnose anerkannt. Computerspielsüchtig ist demnach, wer über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr die Kontrolle über sein Nutzungsverhalten verloren hat, sich aus anderen Alltagsbereichen zurückzieht und sein Verhalten auch bei negativen Folgen wie etwa gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder schulischem Leistungsabfall fortsetzt.
Rund 1,6 Millionen Kinder und Jugendliche hierzulande sind durch Gaming, Streaming oder Social Media suchtgefährdet, weitere 600.000 sind bereits abhängig, arbeitet die Längsschnittstudie von DAK und Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) heraus. 1.200 Familien mit Nachwuchs zwischen zehn und 17 Jahren wurden dazu von 2019 (vor Pandemiebeginn) bis 2022 (nach Aufhebung der Einschränkungen) fünfmal befragt.
Das umfangreiche Zahlenmaterial ermöglicht wertvolle Einsichten in die Welt jugendlichen Medienkonsums. Zum einen sind Jungen häufiger suchtgefährdet oder abhängig als Mädchen, ältere Jugendliche mehr als jüngere. Jungen hängen besonders dem Gaming an.
Zum anderennahm die krankhafte Mediennutzung der Zielgruppe während der Pandemie auf mehr als das Doppelte zu: bei Computerspielen von 2,7 (Sept. 2019) auf 6,3 Prozent (Juni 2022), bei Social Media von 3,2 auf 6,7 Prozent. Die Nutzungszeiten stiegen um rund ein Drittel an – auf täglich 115 Minuten (Gaming) bzw. 164 Minuten (soziale Medien).
Die Pandemie habe die Nutzung elektronischer Medien bei jungen Menschen nachhaltig verändert, kommentiert Prof. Dr. Rainer Thomasius, Studienleiter und Ärztlicher Direktor am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am UKE.
Eigentlich bieten die elektronischen Medien riesige Möglichkeiten für persönliche Kontakte und kreative Beschäftigung. Aber: die Dosis macht’s, gerade bei jungen Menschen. Die schier unerschöpfliche Flut an jederzeit verfügbaren Formaten und Inhalten birgt eben auch die Gefahr des Kontrollverlusts. Vor allem Kinder und Jugendliche seien hier aufgrund spezieller neuronaler und psychischer Reifungsprozesse besonders verletzlich, beschreibt Thomasius. Darum ist exzessiver Medienkonsum in jungen Jahren häufig mit seelischen Störungen wie Depression, Ängsten, ADHS, mit sozialem Rückzug und Schulabsentismus verbunden. Auch körperliche Beeinträchtigungen sind belegt: Nackenschmerzen, trockene oder juckende Augen sowie Schmerzen im Unterarm oder in der Hand.
Nach ihren Motiven für den tieferen Einstieg in virtuelle Welten gefragt, nannten die Befragten Langeweile, Stress und Kontaktsuche. Dennoch müsse die Ursachenforschung über den pandemiebedingten Anlass hinaus auf persönliche und familiäre Konstellationen der Betroffenen blicken, rät Thomasius. „Es geht um Jugendliche, die besonders ängstlich und selbst unsicher sind, eine geringe Stressempfindlichkeit aufweisen, die in Familien aufwachsen, wo wenig Fürsorge und Anleitung zu einem angemessenen Internetgebrauch stattfindet, wo negative Rollenvorbilder vorhanden sind und wo möglicherweise auch bereits Defizite in der Entwicklung entstehen.“
Wenn jetzt nicht schnell gehandelt werde, rutschten immer mehr junge Menschen in die Sucht, kommentiert DAK-Vorstandsvorsitzender Andreas Storm die Studienergebnisse und fordert den raschen Ausbau von Präventions- und Hilfsangeboten. Storm sieht Politik und Gesellschaft vor einer „neuen Entwicklungsaufgabe“. Dazu gehöre, Kinder und Jugendliche frühzeitig zur Reflexion über das eigene Nutzungsverhalten und die Risiken digitaler Medien zu befähigen.
Suchtforscher Thomasius nennt konkrete Maßnahmen, aus denen Eltern und Kinder gemeinsam das passende Konzept für eine gesunde Mediennutzung zusammenstellen können. Nicht verbieten, sondern überzeugen ist die beste Devise. Letztlich geht es darum, die Eigenverantwortung zu stärken. Wichtig seien klare Regeln, rät Thomasius:
Weit oben steht die Empfehlung an die Eltern, dem Nachwuchs immer wieder Möglichkeiten sinnvoller Alltagsgestaltung – Freundschaften pflegen, Sport, Hobbys – aufzuzeigen und nutzungsfreie Tage für die ganze Familie einzulegen. Eltern dürften jedenfalls nicht wegschauen, im Gegenteil, sie sollten Klarheit darüber haben, für welche Kanäle und Inhalte sich ihre Kinder interessieren.
Mehr Info
Mediensucht in Zeiten der Pandemie. DAK-Längschnittstudie: Wie nutzen Kinder und Jugendliche Gaming, Social Media und Streaming? Hamburg 2023, 64 Seiten
Download
https://www.dak.de/dak/download/report-2612370.pdf
Unter www.computersuchthilfe.info bekommen Betroffene und deren Angehörige Informationen und Hilfestellungen rund um die Themen Online-, Gaming- und Social-Media-Sucht. Das kostenlose DAK-Angebot ist offen für Versicherte aller Krankenkassen. Der Link führt auch zum Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am UKE.
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