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Die „Praxis ohne Grenzen“ behandelt mittellose Patienten, das „Gemüse-Netzwerk“ versorgt Bedürftige mit gesundem Essen, der Verein „Eisvogel“ begleitet Krebskranke und deren Angehörige: drei von 100 Initiativen, die sich beim startsocial-Wettbewerb zur Förderung des sozialen Engagements qualifiziert haben. Sie gewinnen ein professionelles Beratungsstipendium, zusätzlich erhalten sieben Finalisten Geldpreise im Gesamtwert von 35.000 Euro, darunter ein Sonderpreis der Bundeskanzlerin. Die Trendinfo-Redaktion sprach mit startsocial-Vorstand Dr. Sunniva Engelbrecht über den in der Sozialwirtschaft außergewöhnlichen Wettbewerb.
Wann hat ein ehrenamtliches Projekt Aussichten auf ein startsocial-Stipendium?
Man kann sich bei startsocial auch mit einer guten Idee bewerben. Die Bandbreite der Organisationsformen reicht von Vereinen oder Institutionen, die Jahrzehnte ihre Arbeit tun, bis zu Gruppierungen, die noch keine Rechtsform haben. Entscheidend ist, dass die Initiativen an der Lösung eines sozialen Problems arbeiten und dabei Ehrenamtliche einbinden. Weitere Kriterien sind Nachhaltigkeit, Wirksamkeit, Effizienz und Übertragbarkeit.
startsocial möchte Hilfe für Helfer leisten. Wie läuft das praktisch ab?
startsocial stellt für 100 Projekte Beratungsteams zusammen, die in der Regel jeweils aus zwei startsocial-Coaches bestehen. Beide begleiten die Stipendiaten ehrenamtlich über einen Zeitraum von vier Monaten. Die Zusammenstellung der Teams erfolgt für jedes Projekt individuell und richtet sich nach Art und Umfang des Beratungsbedarfs.
In welchen Fragen besteht der größte Coachingbedarf?
Das ist von Jahr zu Jahr etwas unterschiedlich. Fundraising und Sponsoring sowie Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit werden immer sehr stark nachgefragt. Oft beginnt die Beratung bereits bei der Arbeitsorganisation und der Aufgabenstrukturierung. Das sind schließlich die Grundlagen erfolgreicher Projektarbeit. Aufgrund der großen Breite an Beratungsbedarfen brauchen wir auch Coaches mit sehr unterschiedlichen Qualifikationen.
Woran bemessen Sie den Erfolg der Beratungsstipendien?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Für eine kleine Initiative ist es beispielsweise ein Erfolg, einen Verein zu gründen und 20 neue Ehrenamtliche zu gewinnen. Dagegen ist es für ein bereits erfolgreiches Projekt ein großer Schritt, in weiteren Städten starten zu können.
Es geht also nicht per se um Wachstum?
Wir haben ehemalige Stipendiaten, die ganz klein bei startsocial angefangen haben, und durch das Stipendium den Mut bekommen haben, groß zu denken und mittlerweile in ganz Deutschland aktiv sind: zum Beispiel ArbeiterKind.de, Rock your life!, wellcome und Aufklärung gegen Tabak. Aber das sollte nicht der Maßstab sein. Es geht nicht um „größer, schneller, weiter“, sondern darum, die Initiativen dort abzuholen, wo sie zum Zeitpunkt der Bewerbung stehen. Wir geben den Rückenwind, fliegen müssen sie selbst.
startsocial bringt den Idealismus von Ehrenamtlichen mit der Professionalität von Fach- und Führungskräften aus der Wirtschaft zusammen: Stoßen da nicht Welten aufeinander?
Wir hören immer wieder, dass gerade das Aufeinandertreffen dieser scheinbar unterschiedlichen Welten das Spannende an startsocial ist. Erstens sind die Unterschiede bei genauerer Betrachtung gar nicht so groß, denn auch soziale Initiativen sind Unternehmungen, die möglichst professionell arbeiten müssen. Und das tun sehr viele auch bereits. Doch nicht nur die sozial Engagierten können von den Profis aus der Wirtschaft lernen. Auch die Fach- und Führungskräfte nehmen wertvolle Erfahrungen mit. Viele Coaches bleiben „ihren“ Projekten auch nach der Beratungsphase eng verbunden. Und natürlich gibt es Projekte, die sich zu Sozialunternehmen entwickeln.
Der Wettbewerb startsocial steht kurz vor seinem 20. Gründungsjubiläum. Was hat er bisher bewirkt?
Wir haben seit unserer Gründung 2001 über 1.600 Initiativen intensiv beraten. Rund 7.600 Initiativen haben sich bei uns beworben und Feedbacks von unseren ehrenamtlichen Jurorinnen und Juroren bekommen. Wir sind mit unserem Angebot Pionier in der Beratung sozialer Initiativen gewesen. Ein Stipendium bei startsocial zu gewinnen, ist ein Qualitätssiegel, das bei der Öffentlichkeitsarbeit und auch beim Fundraising helfen kann. Ich denke, dass wir von uns behaupten können, zur Professionalisierung sozialer Initiativen einen erheblichen Beitrag zu leisten.
Die Bereitschaft der Bürger zur langfristigen Bindung an einen Verein oder ein Projekt lässt nach, das Ehrenamt steht im Umbruch. Was bedeutet das für die moderne Engagementkultur?
Ich kann diesen Eindruck nur teilweise bestätigen. Wir sehen vor allem die Vielfalt des sozialen Engagements. Es gibt immer noch sehr viele Menschen, die sich klassisch in Vereinen engagieren. Aber natürlich gibt es auch die jungen Wilden, die extrem professionell aufgestellt sind – vor allem was Technik und Medienkompetenz betrifft. In vielen Projekten arbeiten sehr diverse Menschen zusammen, quer durch alle Altersschichten, Geschlechter und Hintergründe. Diese Vielfalt macht unsere Zivilgesellschaft so lebendig. Und diese Zivilgesellschaft beweist jetzt übrigens gerade in Krisenzeiten, wie systemrelevant ehrenamtliches Engagement ist.
Was wünschen Sie sich vom Gesetzgeber?
Wohlverdiente Organisationen, die ihre Wirksamkeit nachgewiesen haben, sind oftmals zu 100 Prozent von Spendengeldern abhängig und müssen einen guten Teil ihrer Kraft und Zeit in die Akquise neuer Mittel stecken. Das ist nicht effizient und ist im Vergleich zu den Mitteln, die in die Wohlfahrt fließen, ungerecht.
Was schwebt Ihnen konkret vor?
Wenn wir soziale Innovationen wollen, dann muss das ab einer gewissen Größenordnung auch staatlich unterstützt werden. startsocial ist Katalysator in der Gründungs- und Wachstumsphase. Sollen Organisationen dann stabil stehen, brauchen sie Strukturförderung, um Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen, einen professionellen Anknüpfungsort zu geben. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass die Mittel, die in die Ehrenamtsstiftung des Bundes fließen, an etablierte, bundesweit tätige Organisationen ausgezahlt werden, die direkt Hilfe für Menschen anbieten.
… weil sie systemrelevant sind?
In Zeiten der Pandemie und der Diskussion über Systemrelevanz fehlt mir der Blick für die Notwendigkeit der Unterstützung von gemeinnützigen Organisationen ohne wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Der Staat trägt meines Erachtens die Verantwortung dafür, dass ehrenamtliche Strukturen in der Krise ebenso Unterstützung erhalten wie Unternehmen der Wirtschaft. Dass die freiwillig Engagierten einen nicht unerheblichen Beitrag zur Stabilität unserer Demokratie leisten, ist gerade jetzt sichtbar.
Über startsocial
startsocial steht unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die für den Frühsommer geplante diesjährige Preisverleihung im Bundeskanzleramt findet wegen der Coronakrise zu einem späteren Zeitpunkt statt.
Übersicht der 25 besten Initiativen der 16. Wettbewerbsrunde
Die 17. Wettbewerbsrunde hat bereits begonnen: Bis zum 28. Juni 2020 können sich soziale Initiativen wieder für ein Beratungsstipendium bewerben. www.startsocial.de
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