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Das klingt doch mal richtig gut! Zwischen 2012 und 2017 stiegen die Löhne für Beschäftigte in der Altenpflege um knapp 16 Prozent – stärker als für Krankenhauspfleger und Erwerbstätige anderer Branchen. Doch die Sache hat einen Pferdefuß: Die Löhne nahmen von einem niedrigen Niveau zu und liegen aktuell immer noch bei nur 85 Prozent des allgemeinen Entgeltniveaus. „Die Beschäftigten im gesellschaftlich enorm wichtigen Tätigkeitsfeld der Altenpflege tragen ein überdurchschnittliches Risiko, trotz Arbeit arm zu sein“, heißt es bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung unter Verweis auf eine neue Studie des Instituts Arbeit und Technik (IAT). Nach Auffassung der Studienautorinnen braucht es eine arbeitspolitische „High-Road-Strategie“, um die Altenpflege vor dem Kollaps zu bewahren.
Für ihre Untersuchung haben die Wissenschaftlerinnen Michaela Evans und Christine Ludwig die repräsentative Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit für die Jahre 2012 und 2017 ausgewertet. Demnach lag der mittlere Monatsverdienst hierzulande über alle Berufe hinweg (Bruttomedianverdienst) für eine Vollzeitbeschäftigung bei 3.209 Euro (2017). Im Vergleich dazu die Altenpflege: Die Entgeltspanne für Fachkräfte reicht in Krankenhäusern von 3.252 Euro über 2.821 Euro in Pflegeheimen bis zu 2.471 Euro in der ambulanten Pflege. Hier verdiente ein Fünftel der Fachkräfte in Vollzeit sogar weniger als 2.000 Euro brutto. Hinsichtlich der Lohnverteilung nach Pflegeberufen, Einrichtungen und Qualifikationsniveaus sprechen die Studienautorinnen von einer „Polarisierung der Verdienstsituation“. Weitere Details:
Das niedrige Entgeltniveau sei nicht nur ein Problem für die Beschäftigten, sondern auch für die Arbeitskräftesicherung in der Branche, argumentieren die Autorinnen. 37 Prozent der stationären Pflegeeinrichtungen und 59 Prozent der ambulanten Dienste arbeiten ohne Tarifvertrag, weshalb die Forscherinnen die Schaffung flächendeckender Tarifverträge mit verbindlichen Mindeststandards empfehlen. Dieser Schritt biete überdies auch „Schutz vor kurzfristigen und branchenfremden Kapitalinteressen“, wie sie durch die Aktivitäten internationaler Finanzinvestoren in der Pflegebranche zunehmend sichtbar würden.
Weiterer Ansatzpunkt ist die Dynamik der Ausbildungsreform für Pflegeberufe: Da angehende Pflegerinnen und Pfleger zunächst mit einer generalistischen Ausbildung beginnen, um sich dann zu spezialisieren, „dürften sie sich also doppelt fragen, warum sie sich für einen Bereich mit schlechteren Verdienstmöglichkeiten entscheiden sollten“, gibt die Studie zu bedenken. Dem zu erwartenden Sogeffekt der Krankenhäuser für die regionalen Arbeitskräftemärkte sollte die Altenpflege durch finanzielle Anreize sowie attraktive Fortbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten entgegenwirken.
Weiterhin plädieren die Wissenschaftlerinnen für eine gesetzliche Änderung zur Refinanzierung von Lohnerhöhungen in der Branche. Bessere Bezahlung wird bislang nicht durch die Pflegeversicherung aufgebracht, sondern durch Eigenbeiträge der Pflegebedürftigen. Dieser Mechanismus bremse die Löhne in der Altenpflege „faktisch auf relativ niedrigem Niveau“ aus, kritisieren die Autorinnen. Einerseits dürften notwendige Lohnsteigerungen der Beschäftigten nicht zu Lasten der Pflegebedürftigen gehen, anderseits benötigten vor allem die kleinen und mittleren Pflegeunternehmen stabile Rahmen- und Refinanzierungsbedingungen.
Geld allein ist nicht alles: Auch funktionale Personalbemessungssysteme, verlässliche Arbeitszeiten und ein digitalisiertes Arbeitsumfeld gehören zu einem zukunftsorientierten Berufsbild. Die Studie möchte darauf hinwirken, „das Beschäftigungssystem Altenpflege und die Leistungs- und Modernisierungsfähigkeit der Branche insgesamt in den Blick zu nehmen.“
Die Lohn- und Tarifpolitik ist dabei nur ein Aspekt. Die Autorinnen verorten die Altenpflege vor einer „arbeits- und branchenpolitischen Richtungsentscheidung“. Es geht um die Versorgung der Gesamtwirtschaft mit entlastenden Pflegedienstleistungen, da eine zunehmende Zahl von Erwerbstätigen aller Branchen zugleich pflegende Angehörige sind. Von einer modernen und angemessen honorierten Altenpflege profitiert also nicht nur die Branche, sondern der Wirtschaftsstandort Deutschland.
Michaela Evans / Christine Ludwig, Zwischen Aufwertung, Abwertung und Polarisierung. Chancen der Tarif- und Lohnpolitik für eine arbeitspolitische „High-Road-Strategie“ in der Altenpflege, hg. vom Institut Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, Working Paper, Nr. 128, März 2019, 61 Seiten
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