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Abgehängte Bürger in ländlicher Diaspora? In Zeiten der Digitalisierung ist das eigentlich kein Thema: Ideen für neue Formen der Vernetzung und Zusammenarbeit schießen derzeit wie Pilze aus dem Boden. Sie verbessern das Miteinander von Kommunen und Bürgern, erleichtern die Nahversorgung in entlegenen Regionen und lassen neue Kontakte und Beziehungen entstehen. In der Aufsatzsammlung „Digitalisierung – neue Plattformen für Beteiligung und Demokratie auf dem Land?“ der CSU-nahen Hanns Seidel Stiftung berichten Autoren unterschiedlicher Fachrichtungen über erfolgreiche Digitalisierungsstrategien im ländlichen Raum.
Basis für die Nutzung digitaler Dienste ist eine vernünftige Infrastruktur: Kaum verwunderlich, liegen die Stadtstaaten hier ganz vorne (laut Deutschland-Index der Digitalisierung 2017 des Kompetenzzentrums Öffentliche IT), dicht gefolgt von den Flächenländern Schleswig-Holstein, Hessen, NRW und Saarland. Hier sind fast alle Haushalte mit hohen Übertragungsraten versorgt.
Eine gute Infrastruktur bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass die dort lebenden Menschen besonders Web-affin sind: Tatsächlich sind die eifrigsten Internetnutzer neben Bremen und Hamburg in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz beheimatet. „Offenbar hat die Infrastruktur einen geringeren Einfluss auf die Nutzung grundlegender digitaler Dienste als vermutet – denn Niedersachsen und Rheinland-Pfalz sind in Sachen Infrastruktur nur im Mittelfeld“, so Nicola Opiela vom Kompetenzzentrum Öffentliche IT des Fraunhofer-Instituts für offene Kommunikationssysteme (FOKUS). Der Grund könnte darin liegen, dass in diesen Bundesländern viele Menschen in kleinen und Kleinstkommunen wohnen – und Online-Shopping mangels anderer Angebote besonders gefragt ist.
Damit die Bürger beim Online-Shoppen dem lokalen Handel nicht verloren gehen, muss man sich etwas einfallen lassen: Die Bayerische Staatsregierung fördert seit zwei Jahren das Projekt „Digitales Dorf“, einer der Modell-Orte ist der Gemeindeverbund der Steinwald-Allianz im Landkreis Tirschenreuth. Dort läuft der „Digitale Dorfladen“, eine Internet-Plattform, die Bürger, Dorfladen und Erzeuger vernetzt. Präsentiert werden dort überwiegend regional erzeugte Waren, die online bestellt werden können. Ein Lieferwagen hält das Grundsortiment an Waren des täglichen Bedarfs vor, bringt aber auch vorab bestellte Produkte. „Durch den Abgleich von Grundsortiment, georderter Ware und dem Bestand im Dorfladen kann jeweils die optimale Tour zusammengestellt werden“, so Dr. Bettina Williger und Annemarie Wojtech von der Fraunhofer-AG für Supply Chain Services. Wer keinen Internetanschluss hat oder nicht Web-affin ist, kann bei Bedarf Waren aus dem Grundsortiment kaufen. Ziel des Projekts ist auch, Ältere fit in Sachen Internet zu machen.
Stichwort Ältere: Der demografische Wandel mit der Überalterung der Gesellschaft und der Zunahme von Alleinerziehenden und Singlehaushalten lässt nachbarschaftliche Kontakte an Bedeutung gewinnen. Digitale Nachbarschaftsplattformen wie etwa www.nebenan.de oder www.nachbarschaft.net sind daher zunehmend gefragt – zum gegenseitigen Kennenlernen, für Kleinanzeigen oder die Vermittlung von Hilfen. (s. BFS-Trendinfo 11/2017 zum Deutschen Nachbarschaftspreis)
Der Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung (vhw) und das Forschungsinstitut adelphi identifizieren acht überregionale und 13 lokale Nachbarschaftsplattformen. Demnach ist die Nutzung vor allem ein großstädtisches Phänomen. Aber auch in eher ländlich geprägten Regionen wird diese Form der Vernetzung erprobt (www.Lokalportal.de). „Nachbarschaftsplattformen bieten ein bisher wenig beachtetes Potenzial für die Mobilisierung und Initiierung von zivilgesellschaftlichem und politischem Engagement auf lokaler Ebene“, heißt es in der Studie von vhw und adelphi.
Auch die Kommunen bemühen sich zunehmend um digitale Offenheit: Sie präsentieren sich in sozialen Medien, stellen Verwaltungsdaten als Open Data zur Verfügung, weisen auf öffentliche WLAN-Hotspots hin oder bieten die Möglichkeit, online Mängel (defekte Straßenlaternen, wilder Müll etc.) zu melden. Das Kompetenzzentrum Öffentliche IT hat im Sommer 2016 bundesweit 302 kommunale Webportale analysiert. Dabei wurde untersucht, wie es vor allem kleine Kommunen schaffen, ihren Bürgern trotz geringerer Nachfrage, begrenzter Mittel und struktureller Hindernisse ein attraktives digitales Angebot zu machen. Immerhin knapp die Hälfte der Kommunen nutzt bereits soziale Medien oder setzt ein digitales Anliegen-Management ein.
Zwei interessante Beispiele sind die Kleingemeinden Fürstenstein im Landkreis Passau (3.300 Einwohner) und Deckenpfronn im Landkreis Böblingen (3.200 Einwohner). Die Gemeinde Fürstenstein ist bei Facebook (rund 1.000 Abonnenten), bietet auf der Gemeinde-Webseite einen Mängelmelder und will demnächst kostenfreie WLAN-Hotspots zur Verfügung stellen. Zusätzlich geht der Breitbandausbau mit Glasfaser voran. Die Gemeinde Deckenpfronn ist ebenfalls auf Facebook unterwegs, hat einen elektronischen Mängelmelder und fördert einen regelmäßigen PC-Treff, bei dem Ehrenamtler Hilfe bei Computerproblemen bieten. Über das Onlineportal sind Formulare der Kommune und des Landes Baden-Württemberg direkt verfügbar – was Bürger und Kommunen bei Behördendienstleistungen deutlich entlastet.
„E-Government bietet eine große Chance für schnelle und effiziente Erledigung von Verwaltungsanliegen und eine kostengünstigere Umsetzung rechtlicher Vorgaben“, so Nicole Opiela vom Kompetenzzentrum Öffentliche IT. Um die Digitalisierung der kommunalen Verwaltung voranzubringen, sollten Nutzung von bzw. Verweis auf landes- oder bundesweit verfügbare Lösungen verpflichtend werden, schlägt Opiela vor. Die Expertin setzt auf das 2017 in Kraft getretene Onlinezugangsgesetz: Danach müssen bis 2022 alle Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern über ein einheitliches Online-Portal zugänglich gemacht werden. „Für die Bürger wird der Zugang zur Verwaltung dadurch in Zukunft viel einfacher.“
Dass gerade bei den Online-Angeboten der Behörden (E-Government) Bürger und Unternehmen noch einigen Handlungsbedarf sehen, das ergab eine Befragung des Statistischen Bundesamtes (destatis) zur Zufriedenheit mit behördlichen Dienstleistungen von 2017. Auf einer Skala von – 2 (sehr unzufrieden) bis + 2 (sehr zufrieden) lag der Indikator für E-Government weit unter dem Durchschnitt. Da die Bereiche Studium, Pflege und Behinderung mit rund 70 Prozent einen besonders hohen Anteil an postalischer Kommunikation aufweisen, könnte hier ein großes Potenzial für E-Government liegen. Dazu müssten die Verfahren jedoch nutzerfreundlich gestaltet werden.
Silke Franke/Holger Magel (Hrsg.), Digitalisierung – Neue Plattformen für Beteiligung und Demokratie auf dem Land? Hanns Seidel Stiftung, Akademie für Politik und Zeitgeschehen, München 2018, 130 Seiten
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