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Mehr als die Hälfte der Bevölkerung (55 %) hierzulande hat sich seit 2015 für Flüchtlinge engagiert – durch tatkräftiges Anpacken, durch Sach- oder Geldspenden und die Übernahme von Patenschaften. Viele dieser Bürger waren schon vorher ehrenamtlich unterwegs. 12 Prozent der Deutschen wurden jedoch zum ersten Mal aktiv. Diese Daten einer repräsentativen Umfrage, kürzlich vom Institut für Demoskopie Allensbach vorgestellt, belegen den Motivierungsschub der Flüchtlingshilfe für die Zivilgesellschaft. Doch mittlerweile hat sich vieles verändert: Die einen ziehen eine positive Bilanz ihres Wirkens, die anderen haben sich zurückgezogen oder wenden sich anderen ehrenamtlichen Aufgaben zu. Die Studie liefert eine detailreiches Bild zu Motivation, Herkunft und Kritikpunkten der Helfer. Sie zeigt auf, an welchen Schwachstellen der Flüchtlingshilfe nachgebessert werden muss, damit Integration gelingt.
Gegenwärtig helfen noch 19 Prozent der Bevölkerung, davon 11 Prozent durch direkte Mitarbeit. Dieser Personenkreis unterstützt Flüchtlinge bei Behördenkontakten und Arztbesuchen, unterrichtet Deutsch oder verbringt Freizeit mit ihnen, berichtet die Studie. Ein Teil der Helfer nimmt Patenschaften wahr oder lässt Flüchtlinge bei sich wohnen.
„Dabei unterscheidet sich die Flüchtlingshilfe in mancher Hinsicht von anderen Formen des bürgerschaftlichen Engagements“, fand die Studie heraus. Dazu gehört, dass weniger als die Hälfte der aktiven Helfer (43 %) in organisierten Gruppen mitwirkt. Vielfach bestehen andere Formen des Engagements: teils auf eigene Faust (29 %), teils in Gruppen, die auch in anderen Bereichen aktiv sind (27 %; z.B. in Sport, Kultur, Kirche). Alle diese Personen leisten wertvolle Hilfe, werten sie aber selten als förmliches Engagement. Darunter sind zahlreiche Bürger, die Flüchtlinge zum Beispiel in ihren Sportverein mitnehmen, um ihnen Kontakte zu eröffnen. Auffallend in der Helferszene sind viele Angehörige sozialer Berufe, die sich auch in ihrer Freizeit für Flüchtlinge einsetzen. Freiwillige verbringen in der Flüchtlingshilfe mit wöchentlich fünfeinhalb Stunden mehr Zeit als Ehrenamtler in anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Flüchtlingshelfer entstammen allen Bevölkerungsschichten. Jedoch sind Personen mit höherer Bildung und höherem Einkommen auffallend häufig vertreten, häufiger als in anderen Engagementbereichen. Ursächlich dafür nennt die Studie gesicherte materielle und soziale Verhältnisse, Organisationserfahrung und Fremdsprachenkenntnisse. Und noch etwas sticht heraus: 25 Prozent der befragten Helfer haben selbst einen Migrationshintergrund.
Wie steht es um die Motive und Befindlichkeiten der Helfer? Soziale Gerechtigkeit (65 %), Hilfe für Menschen in Not (54 %) und die Neugier auf Neues (49 %) rangieren in ihren Wertvorstellungen weit vorne. Wichtig sind ihnen auch Sinnfragen, Glaubensüberzeugungen und die Teilnahme am politischen Leben. Diese Motive scheinen sich mehrheitlich zu erfüllen. 80 Prozent der Helfer empfindet Freude an der Arbeit und hat das Gefühl, etwas zurückzubekommen. Einige Kommentare der Freiwilligen nennen einen neuen Blick auf die deutsche Kultur, den Abbau von Egoismus und die Sensibilisierung für die Geringfügigkeit eigener Sorgen angesichts erschütternder Flüchtlingsschicksale.
Licht und Schatten liegen in der Flüchtlingsarbeit mitunter eng zusammen. Neben der Erfahrung großer Dankbarkeit von Flüchtlingen (81 %) und Zuspruch im persönlichen Umfeld (68 %) erleben die Helfer auch einigen Frust. 28 Prozent der Befragten haben eine offene Ablehnung von Flüchtlingen in der Kommune erlebt und 24 Prozent mussten mit persönlicher Ablehnung und Anfeindung zurecht kommen. Zahlreiche Freiwillige haben das ungute Gefühl, dass der Staat viele Aufgaben auf ehrenamtliche Helfer abwälzt (48 %). Insgesamt 28 Prozent der Befragten berichten ausdrücklich von Frust unter den Ehrenamtlichen: wegen schlechter Koordination der Arbeit (54 %), großer Anspruchshaltung von Flüchtlingen (46 %), geringer Bereitschaft zur Integration (44 %) und wegen des Gefühls, zu wenig zu bewirken (42 %).
Rund die Hälfte der Freiwilligen beurteilt die staatliche Unterstützung von Flüchtlingen und die Organisation der Hilfe in den Kommunen vor Ort als gut (41 bzw. 56 %), ein beträchtlicher Anteil sieht jedoch Verbesserungsbedarf (35 bzw. 23 %). Den Befragten zufolge sollte vor allem die Kooperation zwischen Ämtern und Helfern verbessert werden (61 %), u. a. mittels zentraler Anlaufstellen für die Ehrenamtlichen. Weitere unerfüllte Wünsche beziehen sich auf die Unterstützung der alltäglichen Arbeit: durch mehr Übersetzer, Räume und Arbeitsmittel (Handy, Computer, Drucker, Werkzeuge) sowie fundierte Weiterbildungsangebote speziell im Asylrecht.
Die Politik tut gut daran, die Helfer mit ihrer hohen Motivation und Kompetenz zu unterstützen. Die Freiwilligen sehen manche Probleme der Flüchtlingsarbeit ganz realistisch, ordnen sie aber als geringfügig ein, etwa Alltagskonflikte zwischen Flüchtlingen und Einheimischen (z.B. Verhalten in der Öffentlichkeit, Zuteilungskonflikte mit Einheimischen um Wohnungen) oder von Flüchtlingen untereinander. Skeptisch sind sie hingegen hinsichtlich der Integration von Flüchtlingen in Gesellschaft (40 %) und Arbeitsmarkt (55 %). Für diese beiden politischen Großbaustellen gilt es Lösungen zu finden. Die Studie kann als nützliche Wegweisung dazu gelesen werden.
Engagement in der Flüchtlingshilfe – Ergebnisbericht einer Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach, hg. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin 2017, 63 Seiten
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