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„Nicht mehr lange, dann fegt der 85-jährige Dachdecker mit Rollator über das Dach und der Maurer wird mit dem Gabelstapler auf die Mauer gehievt“, ätzt ein User. Andere geißeln die „neoliberale Schallplatte“ und befürchten „Magerrente bis zum Tod“. Viele User lassen an der neuen Studie zur demografischen Alterung kein gutes Haar. Ziel des Unmuts ist eine Untersuchung von Martin Werding und Benjamin Läpple von der Universität Bochum im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Die Thesen: Selbst deutlich mehr Geburten und höhere Zuwanderung können den Anstieg der alterungsbedingten Soziallasten künftig kaum abfedern. Dazu bedarf es eines ganzen Bündels einschneidender Maßnahmen, die der Bevölkerung bitter aufstoßen werden.
Die starke Alterung der Bevölkerung stellt das System der sozialen Sicherung vor gewaltige Herausforderungen. Immer weniger junge Beschäftigte müssen immer mehr Ruheständler finanzieren, die Kosten für den Sozialstaat könnten sich innerhalb von etwa 30 Jahren verdoppeln: „Unabhängig davon, ob die demografischen Trends der letzten 40 Jahre anhalten oder sich Geburten- und Zuwandererzahlen deutlich erhöhen, steigen die Ausgaben der sozialen Sicherung dadurch bis 2045 von derzeit 890 Milliarden Euro auf etwa 1,6 Billionen Euro (in Preisen von 2017)“, warnen die Studienautoren. Auch danach sei keine Entspannung in Sicht.
Für Menschen, die im Jahr 2010 geboren sind, steigen die künftigen Beitragssätze laut Studie im Schnitt auf über 50 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens. Für 1940 geborene Rentner lag diese Quote noch bei 34 Prozent, aktuell liegt die Sozialabgabenquote bei rund 40 Prozent. Anders gesagt: Ein 2010 geborener Durchschnittsverdiener zahlt in seinem Erwerbsleben für gleiche Leistungen etwa 170.000 Euro an Sozialbeiträgen mehr als ein 1970 Geborener (741.000 vs. 570.000 Euro).
Im Jahr 2035 werden auf 100 Personen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren 50 Alte kommen, heute sind es 33. Die Wissenschaftler kalkulieren zwei Szenarien durch: mehr Zuwanderung und mehr Geburten. Ersteres bewirkt eine kurzfristige demografische Änderung, letzteres hat einen langfristigen Effekt.
Zusätzliche Kinder müssten erst ihr 15. Lebensjahr vollendet haben und erwerbsfähig sein, um „positiv auf die demographische Alterslast“ zu wirken.“ Die demografischen Probleme hierzulande setzen jedoch bereits in wenigen Jahren ein und verschärfen sich bis 2040 erheblich, stellen die Autoren fest. Als realistisch rechnet die Studie in ihrem Szenario „junge Bevölkerung“ mit einer Geburtenrate von 1,65 Kindern pro Frau.
Außerdem setzen die Autoren auf einen moderaten Zuwachs durch Migration von 250.000 Menschen jährlich. Migration könne die Alterung der Gesellschaft „zwar zunächst abdämpfen.“ Langfristig alterten jedoch auch die Zuwanderer oder wanderten wieder ab: „Bleiben die Wanderungssalden nicht dauerhaft hoch, verschärft sich der Alterungsprozess langfristig sogar noch.“
In den vergangenen Jahren hat Deutschland einen erheblichen Zustrom an Migranten und einen moderaten Anstieg der Geburtenrate erlebt. Selbst realistisch kalkulierte höhere Zuwanderungs- und Geburtenzahlen reichen nicht aus, die demografische Alterung und ihre Folgen für die soziale Sicherung aufzuhalten oder auch nur abzumildern, meinen die Autoren. Doch die Entwicklung sei nicht unausweichlich. Empfehlenswert sei die kombinierte Bedienung mehrerer Stellschrauben, die in einem höheren Beschäftigungsniveau resultieren und zur Entlastung der Sozialfinanzen beitragen.
Es bleibt abzuwarten, ob sich Elemente der skizzierten Maßnahmen auch im „Verlässlichen Generationenvertrag“ der Rentenkommission wiederfinden, die bis 2020 ihr Konzept zur Zukunft der gesetzlichen Altersvorsorge in Deutschland präsentieren soll. Das von den Bochumer Wissenschaftlern vorlegte Maßnahmenbündel jedenfalls nimmt für sich in Anspruch, den Anstieg der Sozialausgaben bis 2045 um drei Prozentpunkte, bis 2060 um fast fünf Prozentpunkte zu senken. Klar ist auch, dass diese Maßnahmen der Bevölkerung manche bittere Wahrheit bescheren. Den stärksten Effekt schreibt die Studie der kombinierten Anhebung der Regelaltersgrenze, einem geringeren Anstieg der Arbeitslosenquote und der schnelleren Integration von Zuwanderern in den Arbeitsmarkt zu. Gerade beim letzten Punkt sehen die Autoren noch viel Potenzial, vor allem, wenn auch bereits zugewanderte Personen der zweiten Generation und deren Angehörige einbezogen würden.
Martin Werding | Benjamin Läpple, Wie variabel ist der demografische Alterungsprozess? Effekte von Geburten und Zuwanderung – Folgen für die soziale Sicherung. Kurzstudie, Hg.: Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 2019, 37 Seiten, Download
Die Studie liegt in Kurzform (8 Seiten) als Policy Brief #2019/02 der Reihe „Zukunft Soziale Marktwirtschaft“ vor. Mitautorin ist Martina Lizarazo López. Download
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