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Flexibles Arbeiten – das klingt für viele Menschen nach mehr Lebensqualität und großer Freiheit. Demnach machen Homeoffice, Gleitzeit und Vertrauensarbeitszeit den Einzelnen zum Manager seines Alltags, wirken stressbefreiend und schenken ihm mehr Zeit für Familie und Hobby. Doch solche Verheißungen haben auch ihre Schattenseiten, macht eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung klar: Flexible Arbeitszeiten führen häufig zu längeren Arbeitszeiten im Job, bei Vätern noch mehr als bei Müttern. Während die Mütter mehr Zeit für die Kinder aufbringen, feilen die Männer verstärkt an ihrer Karriere. Fazit: Die Erwartung, dank Homeoffice & Co. Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen, kann sich als Fehlanzeige herausstellen.
Wie wirkt es sich auf Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung, Freizeit und Schlafdauer aus, wenn Beschäftigte Arbeitszeit und -ort selbst festlegen können? Die Studie untersucht diese Frage anhand des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), d. h. von Daten aus der Befragung von 30.000 Bundesbürgern über mehrere Jahre hinweg. Die Ergebnisse dürften überraschen:
Woher kommt diese Bereitschaft zur Selbstausbeutung? Studienautorin Yvonne Lott vermutet, dass damit eine besondere Motivation und Karriereeignung signalisiert werden soll.
Stressminderung im Alltag, genauer, der Wunsch danach, spielt für die Befürworter flexibler Arrangements eine erhebliche Rolle. Die Studie unterstützt solche Erwartungen aber nicht. Beschäftigte mit Kindern und flexiblen Arbeitszeiten gewinnen keine zusätzliche Erholungszeit, etwa für mehr Schlaf, Freizeit, Sport. Autorin Lotts Fazit ist ernüchternd: „Freizeitgewinn mit flexiblen Arbeitsarrangements gibt es weder für Mütter noch für Väter. Flexibles Arbeiten geht insgesamt eher zu Lasten der Beschäftigten, und ganz besonders gilt das für Mütter.“
Forderungen nach einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bleiben offenbar häufig im Gestrüpp betrieblicher Zwänge, geschlechtsspezifischer Stereotype und mangelnder Veränderungsbereitschaft aller Beteiligten hängen. So werde Vätern in den Betrieben häufig die Ernährerrolle zugeschrieben, führt die Böckler-Studie aus. Frauen hingegen lebten den Spagat, sowohl im Berufsleben glänzen zu wollen als auch eine gute Mutter zu sein. Das Problem verweist auf den Gender Care Gap – die geschlechtsspezifisch ungleiche Verteilung von Sorgearbeit für Kinder, Haushalt und Pflege. Demnach widmen Väter ihren Kindern nur 13 Stunden wöchentlich, Mütter hingegen 21 Stunden. Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bestätigt diese Erkenntnis.* Danach leisten Frauen auch an Sonntagen mehr unbezahlte Arbeit als Männer: im Durchschnitt rund 1,5 Stunden, in Haushalten mit Kindern bis zu vier Stunden. „Die Ungleichverteilung an diesen Tagen kann also nicht durch die Ungleichverteilung der Erwerbstätigkeit erklärt werden“, heißt es in dieser Untersuchung, die sich empirisch ebenfalls auf den SOEP bezieht.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will bis Ende des Jahres das Recht auf Home-Office einführen. Doch wie die Böckler-Studie klar macht, tragen flexible Arbeitszeiten nicht zwangsläufig zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei. Im Gegenteil, sie können beiden Elternteilen Überstunden bescheren und das klassische Rollenmodell verfestigen. Am extremsten sei dies in Betrieben mit hohem Leistungsethos bzw. einer Kultur der „idealen Arbeitskraft“, die den Job über alles stelle, macht Studienautorin Lott geltend. Das Versprechen: „Arbeite, wann immer Du willst!“ sei häufig Teil einer leistungsorientierten Managementstrategie, die eher meine: „Arbeite rund um die Uhr, wenn es sein muss.“
Dennoch hält die Wissenschaftlerin den verbrieften Anspruch auf Homeoffice und flexible Arbeitszeiten für sinnvoll und im Berufsalltag für ausbauwürdig, plädiert aber für die Beseitigung von Regelungslücken. Die Studie rät zur Abschaffung des Ehegatten-Splittings, da es „offensichtlich eine ungleiche Verteilung zwischen den Partner fördert“. Insgesamt sei ein Umdenken in den Unternehmen zugunsten der Überwindung von Geschlechterklischees gefordert. Arbeitszeiten müssten klar definiert und Zeiten der Erreichbarkeit festgelegt werden. Eine lebenslauforientierte Personalpolitik kalkuliere die Geburt eines Kindes oder einen Pflegefall in der Familie nicht als Störfaktor, sondern als Normalität ein. Von der Politik erwartet die Autorin die Erhöhung der Partner-Monate beim Elterngeld von zwei auf sechs – damit Väter besser motiviert sind, sich in Haushalt und Kinderbetreuung zu engagieren.
Yvonne Lott, Weniger Arbeit, mehr Freizeit? Wofür Mütter und Väter flexible Arbeitszeitarrangements nutzen, WSI-Report Nr. 47, März 2019, Hg.: Hans-Böckler-Stiftung, 16 Seiten, Download
*Claire Samtleben, Auch an erwerbsfreien Tagen erledigen Frauen einen Großteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung, DIW-Wochenbericht 10/2019, 7 Seiten, Download
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