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Finanzinvestoren haben den deutschen Gesundheitsmarkt entdeckt. Übernahmen großer Pflegeheimbetreiber und Krankenhauskonzerne, von Facharztpraxen und medizinischen Versorgungszentren (MVZ) sorgen für Schlagzeilen. Eine Studie des Instituts Arbeit und Technik (IAT) liefert jetzt wertvolle Detailinformationen: Seit 2013 kam es zu knapp 130 Übernahmen, davon 60 Prozent alleine in den vergangenen zwei Jahren. Tragen hier gerade renditehungrige Heuschrecken die gemeinwohlorientierte Patientenversorgung zu Grabe? Die Wissenschaftler warnen vor voreiligen Schlüssen: Dringend notwendige Analysen stünden noch am Anfang und bedürften intensiven Monitorings von Private-Equity-Investments und deren Auswirkungen.
Private Equity-Gesellschaften (PEG) legen mit dem Geld von institutionellen Investoren und vermögenden Privatanlegern Fonds auf, kaufen davon Unternehmen („Buyout“) und strukturieren diese neu. Die Expansion folgt häufig der Buy-and-Build-Strategie, der Integration fachgleicher Betriebe in eine Unternehmenskette, u. a. um Kostenvorteile zu erzielen. Geschäftszweck ist der schnelle und gewinnbringende Weiterverkauf („Exit“).
Hiervon abzugrenzen sind strategische Investoren, die ebenfalls auf den Unternehmenserwerb abzielen, das aber in Branchen oder Technologiefeldern tun, in denen sie selbst dauerhaft operieren.
Die IAT-Studie beleuchtet das Übernahmegeschehen im Bereich versorgungsorientierter Gesundheitsdienstleister, d. h. bei Pflegeheimen und -diensten, Krankenhäusern sowie Facharzteinrichtungen (Praxen, MVZ) . Datengrundlage sind der „Private Equity Monitor Deutschland” des IAT und zusätzliche Recherchen; die Analyse umfasst den Zeitraum von 2013 bis einschließlich des ersten Halbjahres 2018.
Von 2013 bis 2018 kam es im Gesundheitssektor zu 125 Übernahmen mit 65.809 Beschäftigten. Pflegeheime und -dienste waren mit einem Anteil von 38 Prozent an allen Übernahmen (absolut: 48) und von 56 Prozent an allen Beschäftigten die wichtigsten Ziele des Übernahmegeschäfts. Krankenhäuser folgten mit rund 7 Prozent der Übernahmen (9) und 31 Prozent der Beschäftigten. Den dritten Schwerpunkt bilden verschiedene Facharztsparten mit 55 Prozent (68) und 13 Prozent. Vor allem die Sparten Zahnmedizin, Augenheilkunde und Radiologie hatte es den Investoren angetan.
PE-Aktivitäten im Versorgungsbereich scheinen in jüngster Zeit erst richtig Fahrt aufzunehmen, berichten die Autoren. Als Startschuss gilt hierzulande die Übernahme des Pflegeheimbetreibers Casa Reha durch die ECM Equity Capital Management GmbH (1998). Erst ab 2007 wurden auch größere Buyouts getätigt (Alloheim, Procon, RHM Klinik). Zwischen 2013 und 2016 gab es zehn Übernahmen pro Jahr, bevor es 2017 zum sprunghaften Anstieg (53 Übernahmen) kam. 2018, so vermuten die Autoren, dürfte zum neuen Rekordjahr werden. Während der Übernahmetrend für den Pflegebereich bereits fortgeschritten ist, steht er für die Facharztsparten offenbar erst am Anfang. Die IAT-Studie belegt diesen Prozess am Beispiel der Zahnmedizin. In kurzer Zeit wurden hier sieben Zahnarzt-Ketten etabliert, allein drei davon 2018.
Die zehn größten PEG zwischen 2013 und 2018 vereinigen 93 Prozent aller Mitarbeiter und 89 Prozent des Umsatzes aller übernommenen Unternehmen auf sich. Zwei deutschen PEG auf den Plätzen acht und zehn stehen fünf PEG aus dem europäischen Ausland und drei PEG aus den USA gegenüber. Der Blick auf den rechtlichen Sitz der aufgelegten Fonds macht die Bedeutung von Offshore-Finanzplätzen deutlich: Drei Viertel aller Buyouts wurden von Standorten auf Guernsey, Jersey, den Cayman-Islands und in Luxemburg abgewickelt. „Kurz gesagt: Wenn Einrichtungen des Gesundheitssektors in Deutschland von einer PEG übernommen werden, dann werden die Gewinne ganz überwiegend über eine Steueroase an die eigentlichen Investoren weitergereicht“, macht die IAT-Studie deutlich. Private Equity erwirtschaftete im Vergleich zu anderen Anlageklassen in den vergangenen Jahren meist überdurchschnittliche Renditen – laut Studie knapp 19 Prozent.
Die Kontroverse um Private Equity besteht schon seit den 1980er-Jahren und wird oft mit grundsätzlichen Positionen zum Finanzkapitalismus befeuert. Die Ausbreitung dieses Geschäftsmodells nun auch im Gesundheitsbereich verleiht entsprechenden Sichtweisen neue Aktualität.
Die primäre Renditeorientierung alleine sage nicht viel darüber aus, wie zu- oder abträglich ein Übernahmemodell für alle Beteiligten ist, sind die Autoren überzeugt. Vielmehr spiele auch die Kurz- oder Langfristigkeit des Investments eine wichtige Rolle bei der Frage, inwieweit Private Equity die technologische und arbeitsorientierte Modernisierung von Gesundheits- und Sozialunternehmen antreibt.
Christoph Scheuplein / Michaela Evans / Sebastian Merkel, Übernahmen durch Private Equity im deutschen Gesundheitssektor. Eine Zwischenbilanz für die Jahre 2013 bis 2018. Discussion Paper 19/01, Institut Arbeit und Technik, Gelsenkirchen, 42 Seiten, Download.
Lesen Sie zum Thema auch:
Jens Hayer / Markus Sobottke, Erfolgsfaktor Kapital in der Sozialwirtschaft, BFS-Report, Bank für Sozialwirtschaft, Köln 2018, 88 Seiten, Download
Rainer Bobsin: Finanzinvestoren in der Gesundheitsversorgung in Deutschland, 20 Jahre Private Equity – eine Bestandsaufnahme, 4. erweiterte und aktualisierte Auflage, 2019, 104 Seiten, ISBN 978-3-945447-23-9
Christoph Scheuplein, Private Equity Monitor 2017: Die aktuelle Tätigkeit von Finanzinvestoren in Deutschland, Mitbestimmungsreport Nr. 40/2018, Hg.: Hans-Böckler-Stiftung, 22 Seiten Download
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