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Liquiditätssicherung und Personalgewinnung kristallisieren sich in der Corona-Pandemie als eine der wichtigsten Herausforderungen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft heraus. Ein Jahr nach Ausbruch der Krise liefert die zweite bundesweite Erhebung der Bank für Sozialwirtschaft (BFS) einen umfassenden Branchenbefund.* Beträchtliche Ertragsausfälle und Mehrbelastungen, die auch von den staatlichen Schutzschirmen nur unzureichend aufgefangen werden, müssen bewältigt werden. Die jetzt veröffentlichte Erhebung von November und Dezember 2020 schließt an die Vorgängerumfrage im Sommer an. Die Trendinfo-Redaktion spricht mit Britta Klemm, Leiterin des Kompetenzzentrums Sozialwirtschaft BFS Service GmbH, über zentrale Ergebnisse und den anstehenden Handlungsbedarf.
Britta Klemm: Die Umfrage zeigt deutlich, dass eine Normalisierung der Auslastungssituation in allen untersuchten Hilfefeldern nach wie vor nicht festzustellen ist. Ohne die große Bedeutung der Schutzschirmregelungen in Frage zu stellen, besteht Verbesserungsbedarf bei der Gestaltung und Handhabung der Schutzmaßnahmen. Zudem bleibt die Liquiditätssicherung eine zentrale Herausforderung.
Die bisherigen Einnahmenausfälle beziffern die Teilnehmenden mehrheitlich auf fünf bis 20 Prozent. Jedoch ist der Anteil der Befragten, die noch höhere Einnahmeausfälle zu verzeichnen haben, im Vergleich zu der Umfrage im Sommer 2020 angestiegen.
In beiden Umfragen erwartet etwa ein Drittel unserer Teilnehmer*innen im weiteren Verlauf der Pandemie eine Refinanzierungslücke im Umfang von 5 bis 10 Prozent. Der Anteil der Befragten, die von einer Refinanzierungslücke von über 21 oder über 30 Prozent ausgehen, ist gestiegen. Jedoch sieht nur ein kleiner und gegenüber Sommer 2020 sogar rückläufiger Teil der Befragten derzeit eine akute Insolvenzgefahr für die eigene Organisation. Das ist für uns als Bank erfreulich.
Handlungsbedarf besteht bei der fehlenden Refinanzierung von Mehraufwendungen sowie bei der Deckelung der Erstattung. Es wird die ungenügende Refinanzierung von Schutzkleidung und -ausstattung kritisiert. Aber auch bei der Refinanzierung von Personal und sonstigen Sachmitteln sehen die Teilnehmenden der Studie Optimierungsbedarf.
Aktuell erwarten rund 60 Prozent der Teilnehmenden eine Verringerung ihrer Liquidität infolge der Corona-Pandemie. Um unsere Kund*innen zu unterstützen, hat die Bank für Sozialwirtschaft speziell auf deren Bedürfnisse zugeschnittene Finanzierungslösungen entwickelt. So haben wir zum Beispiel ein Sonderkreditprogramm in Höhe von 500 Millionen Euro aufgelegt. Bisher wurde etwa die Hälfte der Mittel dieses Programms von unseren Kund*innen in Anspruch genommen. Dies bedeutet freilich nicht, dass entsprechende Liquiditätshilfen im weiteren Verlauf der Pandemie nicht doch noch gebraucht werden. Denn sowohl die wirtschaftlichen Herausforderungen als auch die Unwägbarkeit hinsichtlich der Schutzschirme bleiben groß. Zudem haben wir für Kund*innen, die von Corona betroffen waren, die Möglichkeit von Tilgungsaussetzungen und Stundungen geschaffen.
Zur Sicherstellung der Liquidität bieten wir unseren Kund*innen über BFS Service zudem Factoring-Produkte an, welche die Finanzierung des Umsatzes absichern. Mit dem Online-Factoring steht ein unbürokratisches Sofortprogramm zur Verfügung welches der Branche hilft, ihren Liquiditätsbedarf zeitnah, flexibel und individuell abgestimmt zu decken.
Ja, das ist richtig. Eine pandemiebedingte Schwächung der Personaldecke ist einer der Gründe für wesentliche Auslastungsprobleme. Das trifft die eh schon mit einer angespannten Personalsituation konfrontierte Branche hart. Zudem wird eine zusätzliche Belastung für das Personal in dem stark angestiegenen Dokumentations- und Bürokratieaufwand deutlich. Die Refinanzierung von Mehraufwendungen für das Personal ist aus Sicht der Teilnehmenden nicht hinreichend geklärt. Folglich besteht daher insbesondere bei der qualifizierten Personalgewinnung und -entwicklung Unterstützungsbedarf.
Unterstützungsbedarf wird jedoch auch bei der Beratung hinsichtlich Fördermitteln und der Inanspruchnahme der Schutzpakete deutlich.
Die Bedeutung der Digitalisierung zur Bewältigung der Pandemie hat nicht nur zu Beginn der Krise, sondern auch im Verlauf der Corona-Pandemie stark zugenommen. Neben digitalen Weiterbildungsangeboten haben Online-Beratung und verbandliches Intranet eine stark steigende Bedeutung, um die Angebote der sozialen Organisationen und der Wohlfahrtspflege auch in der Pandemie für die Leistungsempfänger erreichbar zu halten.
Tatsächlich ist die bedeutsamste Hürde für den Einsatz von Technik und Digitalisierung weiterhin das Fehlen von Mitarbeitenden, die sich kompetent und mit freien Zeitressourcen um diese Aufgabe kümmern können. Zudem ist die unzureichende Finanzierungsbasis für mehr als die Hälfte der Teilnehmenden ein Problem. Vor diesem Hintergrund ist es meines Erachtens wichtig, dass Kooperationen ausgebaut werden müssen.
Die Corona-Krise ist leider noch lange nicht überwunden. Die hohen Teilnehmerzahlen beider Umfragen verdeutlichen, wie wichtig das Thema für die Sozial- und Gesundheitswirtschaft ist. Die unverzichtbare gesellschaftliche Bedeutung der Leistungen, die in den Branchen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft sowie durch die Freie Wohlfahrtspflege erbracht werden, ist durch die Pandemie sehr deutlich geworden. Es gilt, diese Bedeutung im Bewusstsein zu halten und neben einer entsprechenden finanziellen Ausstattung die Steigerung der Attraktivität der sozialen Berufe herbeizuführen.
Wir werden die Auswirkungen der Pandemie auf das Sozial- und Gesundheitswesen und die Freie Wohlfahrtspflege engmaschig im Blick behalten und dafür eine weitere Befragung durchführen, mit welcher sich die wirtschaftlichen Entwicklungen auf die Branche darstellen lassen.
* Beide Erhebungen führte die BFS in Kooperation mit den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege, dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, dem Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa e.V.) und der Universität zu Köln durch. Die aktuelle Umfrage lief vom 16. November bis 20. Dezember 2020 (rund 1.400 Teilnehmer), die erste Umfrage vom 15. Mai bis zum 15. Juni 2020 (rund 1.000 Teilnehmer). Angesprochen waren Geschäftsführer und Vorstände von Trägern und Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens.
Zur aktuellen Erhebung:
Bank für Sozialwirtschaft (Hg.), Zweite Umfrage der Sozialbank und der Verbände zu wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie (Nov./Dez. 2020), 46 Seiten
www.sozialbank.de/covid-19/umfrage
Zur ersten Umfrage:
Befragung zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Sozial- und Gesundheitswesen (Mai/Juni 2020), 37 Seiten, Presseinfo
Siehe dazu: Interview mit Britta Klemm, in: BFS-Trendinfo 8/20
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