Suche
Nordrhein-Westfalen ist das erste Bundesland, das die Erweiterung von Kindertagesstätten zu Familienzentren einführte. Seit dem Start im Jahr 2006 gibt es aktuell 2.500 Familienzentren mit zusammen rund 3.500 Kindertageseinrichtungen. Über die herkömmliche Kinderbetreuung hinaus leisten sie vielseitige Unterstützung für Familien. In den Familienzentren treffen Früherziehung, Familienförderung und kommunale Sozialpolitik zu einer bislang noch wenig untersuchten multiprofessionellen Kooperation zusammen. Das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen legt dazu jetzt eine Bestandsaufnahme vor: Welche Aufgaben haben die neuen Familienzentren, mit welchem Mehrwert können sie punkten?
Der Report nimmt beispielhaft eine namentlich nicht genannte Stadt in NRW unter die Lupe. 33 (von 38) Kitas arbeiten dort in neun trägerübergreifenden Verbund-Familienzentren zusammen, 31 Kitas nahmen an der Befragung durch das IAQ-Forscherteam teil. Der Grundstein für das kommunale Gesamtkonzept wurde vor zehn Jahren gelegt. Die Familienzentren fungieren darin als Knotenpunkte eines örtlichen Netzwerks mit externen Partnern wie Erziehungsberatung, Kindertagespflege, Kinderärzten, Logopäden, Ergotherapeuten, Familienbildungsstätten und Volkshochschule. „Dabei gelingt es den Familienzentren unterschiedlich gut, die Eltern zu erreichen“, stellt IAQ-Forscherin Prof. Dr. Sybille Stöbe-Blossey in einer Pressemitteilung fest. Um gezielt Eltern anzusprechen, die durch familiäre Probleme belastet sind, seien niederschwellige Angebote gefragt.
Dass die Kommune den gesamtstädtischen Ausbau und die inhaltliche Koordination der Familienzentren von Anfang begleitet hat, ist von erheblicher Bedeutung für das Gelingen. Für diese Aufgabe wurde eigens eine Fachkraftstelle beim Jugendamt der Stadt eingerichtet. Sie wird durch das Budget der Familienzentren selbst finanziert, eine Tatsache, die in einigen Zentren kritisch gesehen wird. Zertifizierte Familienzentren erhalten einen Landeszuschuss in Höhe von 13.000 Euro, in sozialen Brennpunkten von 14.000 Euro pro Kindergartenjahr.
Beratungs- und Unterstützungsangebote für Kinder und Familien sowie Angebote zur Familienbildung stellen den Schwerpunkt der Familienzentren dar. Alle Einrichtungen halten Sprechstunden zur Erziehungsberatung ab, mehrere bieten außerdem Logopädie und Ergotherapie an. Die Therapeuten sind möglichst nicht in ihrer Praxis, sondern in den Räumlichkeiten der Familienzentren präsent, um berufstätige Eltern zu entlasten. Vorträge und Seminare aus der Familienbildung widmen sich Themen wie Medienerziehung, gesunde Ernährung und kindliche Sexualität. Zahlreiche Zentren warten mit einem Elterncafé auf, besondere Veranstaltungen wie „Vater-Kind-Tage“ mit Nachtwanderung, Picknick und Bastel-Aktivitäten setzen Akzente.
Die meisten Einrichtungen haben zwischen neun und zehn Stunden geöffnet, in der Regel zwischen sieben und 17 Uhr. Lediglich zwei Einrichtungen öffnen bereits um sechs Uhr, eine davon schließt erst um 18 Uhr. Einige der befragten Zentren übernehmen in Notfällen auch die Betreuung von Geschwisterkindern, um so die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. In drei der neun Verbünde können Tagesmütter Räumlichkeiten zur Kinderbetreuung in Randzeiten nutzen. Gerade für Beschäftigte mit atypischen Arbeitszeiten und für Pendler sind diese Angebote interessant.
Die Zusammenarbeit im trägerübergreifenden Verbund und mit den Netzwerk-Partnern kostet Zeit, wird aber von den Befragten mehrheitlich als notwendig und sehr bereichernd wahrgenommen. Überdies empfinden die Erzieherinnen die Aufwertung zum Familienzentrum gleichzeitig als Aufwertung ihrer Arbeit. Weiterhin vorteilhaft sind finanzielle Einsparungen, zum Beispiel, wenn Dozenten aus Verbundbetrieben zum Einsatz kommen.
Auch Nachteile kamen zur Sprache: Eine Kita-Leitungskraft sah die Gefahr der Kontrolle der eigenen Arbeit durch Kollegen der Partnereinrichtungen, eine andere bemängelte deren „sehr hohe Ansprüche“. In einem Fall wurde von Interessenkonflikten zwischen den Trägern im Verbund berichtet, was die Zusammenarbeit erschwere. Weiterhin erfordert der erhöhte Koordinationsaufwand für Leitungsfunktionen zusätzliches Fachpersonal in den Kitas.
Persönliche Ansprache, Pinnwände, soziale Netzwerke – den Kita-Leitungen ist sehr daran gelegen, ihre Aktivitäten zu kommunizieren. Akzeptanz und Wahrnehmung durch die Eltern reichen von „gut“ bis „es läuft im Moment sehr schlecht“. Auch die Idee, Veranstaltungen des Familienzentrums in einer Partner-Einrichtung abzuhalten, um den Eltern entgegenzukommen, fruchtet nicht immer. Die mitunter geringe Resonanz wird mit der Berufstätigkeit der Eltern erklärt, manchmal auch mit belasteten Familienstrukturen.
Wie die Studie belegt, haben sich fast alle Kitas in der Beispiel-Kommune zu leistungsfähigen Familienzentren weiterwickelt. „Die betrachteten Verbund-Familienzentren verstehen sich heute als ein Angebot, das nicht nur Kinder in ihrer Entwicklung fördert, sondern darüber hinaus Eltern im Sozialraum bei ihrer Erziehungsarbeit professionell begleitet und in ihrem Familien- und Berufsalltag entlastet.“ Auch wenn der vorliegende Report nicht ausdrücklich darauf eingeht: Vor allem benachteiligte Stadtteile oder Regionen, die von mangelnder Infrastruktur und Armut geprägt sind, dürften von den Unterstützungsstrukturen der Familienzentren profitieren.
Die überwiegende Mehrheit der befragten Einrichtungsleitungen steht hinter dem Konzept und möchte es ausbauen. Ein Anliegen, das die IAQ-Experten unterstreichen. Allerdings seien Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die personelle Entlastung der Leitungskräfte sowie eine einvernehmliche Lösung bei der Finanzierung der kommunalen Koordinierungsstelle durchaus „ausbaufähig“.
Stefan Drathen / Ansgar Mertens / Brigitte Micheel / Sybille Stöbe-Blossey / Celina Stromski, Familienzentren – Ergebnisse einer kommunalen Analyse, IAQ-Report, Aktuelle Forschungsergebnisse aus dem Institut Arbeit und Qualifikation, Universität Duisburg-Essen, 7/2017, 19 Seiten
Download
Mehr zum NRW-„Landesprogramm Familienzentrum“:
www.familienzentrum.nrw.de/landesprogramm/ziele-und-entwicklung-des-landesprogramms/
Krankenhaus
Digitalisierung im Krankenhaus: Keine Angst vor Jobverlust!
Pflege
Ambulante Pflege 4.0: Digitalisierung im Schneckentempo
Pflege
Umfrage: Bürger haben Angst vor dem Pflegeheim
Bildung
Früherziehung: Je besser die Kita, desto sozialer das Kind
Bildung
Familienzentren in NRW: Niederschwellige Angebote gefragt
Integration
Alle Kids sind VIPs: Und die Gewinner sind ...
Globalisierung
Die EU als Teil der Problemlösung
Buchempfehlung
Die Top Ten der Zukunftsliteratur
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail