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Mit einem Vorurteil räumt die Studie „Digitalisierung im Krankenhaus“ der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Studie gleich zu Beginn auf: Beschäftigte im Gesundheitswesen sind keineswegs technikfeindlich, wie ihnen häufig nachgesagt wird – im Gegenteil: Fast 90 Prozent der befragten Klinikbeschäftigten sind an technischen Neuerungen interessiert, und die Mehrheit fühlt sich in der Lage, technische Probleme selbst zu lösen. Auch ist die Digitalisierung in den Krankenhäusern weiter vorangeschritten, als häufig angenommen. Mehr als 70 Prozent der Studien-Befragten nutzen regelmäßig digitale Technik am Arbeitsplatz. Aber: Die Qualität des technischen Standards lässt offenbar noch häufig zu wünschen übrig, so eine zeitgleich erschienene Umfrage des Marburger Bundes unter Klinikärzten und -ärztinnen.
Bisher gibt es nur wenig belastbare Zahlen zu Einsatz und Auswirkungen digitaler Technik im Krankenhaus. Daher befragte das Gelsenkirchener Institut Arbeit und Technik (IAT) für die Böckler-Stiftung 648 Klinikmitarbeiter – 79 Prozent davon Pflegekräfte, sechs Prozent Mediziner und 15 Prozent aus Assistenzberufen, Verwaltung und Technik (2016). Zusätzlich zur Online-Befragung wurden Interviews mit Managern zweier Krankenhäuser geführt.
Ergebnis: Digitale Technik ist in Krankenhäusern weit verbreitet, vor allem in der Bildgebung, der OP-Robotik oder der Intensivmedizin. Es gibt Techniken, die Patienten involvieren, wie beispielsweise die telemedizinische Überwachung von Vitaldaten, die tragbare Datenverarbeitung zur EKG-Messung oder Operations-Roboter. Andere Techniken steuern Hintergrundprozesse der Versorgung (Dokumentation von Falldaten oder digitale Vermittlung von Patienteninformationen). 84 Prozent der Beschäftigten nutzen Computer, 60 Prozent Digitalkameras, z.B. zur Dokumentation von Wundheilung, 53 Prozent arbeiten mit Monitoring-Systemen. Ein Viertel verwendet im Dienst Smartphones, jeder zehnte nutzt ein Tablet.
Die Befragung der Klinikbeschäftigten ergibt ein differenziertes und teils widersprüchliches Bild über die Auswirkung digitaler Technik: Rund 60 Prozent der Befragten finden, dass die neuen Technologien die eigene Arbeit erleichtern, knapp die Hälfte berichtet von Zeitersparnis und mehr Effektivität, 41 Prozent glauben, dass sich die Versorgung der Patienten dadurch verbessert.
Gleichzeitig klagt jeder Dritte über mehr Leistungsdruck, jeder Vierte fühlt sich stärker kontrolliert. „Während einerseits Zeitersparnis durch Digitalisierung diagnostiziert wird, berichten die Beschäftigten an anderer Stelle von gestiegenem Arbeitsdruck und Hetze. Insgesamt zeigt sich eine Tendenz zur Arbeitsverdichtung“, konstatieren die IAT-Studienautoren.
Die Studie „Digitalisierung im Krankenhaus“ der Ärztegewerkschaft Marburger Bund aus dem Herbst 2017 kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Zwar glauben 80 Prozent der 1.800 befragten Klinikärzte und -ärztinnen, dass die medizinische Arbeit durch Digitalisierung künftig noch verbessert werden kann, doch nur 40 Prozent gaben an, dass die Digitalisierung ihre Arbeit vereinfacht. Noch gebe es viel zu oft Doppelarbeit, da Daten immer noch sowohl digital als auch in Papierform erfasst werden müssten, auch ließen die technische Ausstattung und der IT-Support oft zu wünschen übrig.
Tatsächlich findet der Informationsaustausch zwischen den Beschäftigten im Krankenhaus immer noch überwiegend mündlich oder in Papierform statt: Abstimmungen und Patienteninfos werden zum größten Teil mündlich kommuniziert, die Dokumentation erfolgt bei 58 Prozent schriftlich (41 % digital), so die Böckler-Studie. Vorteile bringt die Digitalisierung nach Ansicht der Befragten vor allem in der Zusammenarbeit mit anderen Bereichen des Krankenhauses und anderen Gesundheitsdienstleistern – weniger im persönlichen Arbeitsumfeld.
Als besonderes Problem sehen die Studienautoren, dass die Beschäftigten bei der Einführung neuer Techniken oft zu wenig eingebunden werden. Während das Interesse an einer echten Beteiligung der Mitarbeiter beim Management eher geringer ausgeprägt ist, würden die Beschäftigten gern früher und umfassender informiert werden. Nur knapp 30 Prozent der Mitarbeiter fühlen sich vor der Einführung neuer Technologien in diesem Sinne mitgenommen. Weniger als die Hälfte (44 %) erhält bei Bedarf eine zusätzliche Qualifizierung.
Anders als in vielen anderen Branchen – wo die Digitalisierung häufig Ängste vor Arbeitsplatzverlust schürt – sehen die Klinik-Beschäftigten diese Gefahr kaum: 92 Prozent der Befragten haben keine Sorge, dass die digitale Technik ihre Arbeit künftig überflüssig macht. Im Gegenteil: 42 Prozent gehen von einer Aufwertung ihrer Arbeit aus. Dies könnte nach Ansicht der Studienautoren bei der Nachwuchsgewinnung von Bedeutung sein.
Im unmittelbaren Umfeld der Beschäftigten sind jedoch Arbeitsplätze weggefallen, wobei es hier deutliche Unterschiede je nach Trägerschaft des Krankenhauses gibt. So sind bei freigemeinnützigen Trägern 13 Prozent, bei öffentlichen 19 Prozent und bei privaten Trägern 28 Prozent der Arbeitsplätze verloren gegangen. Zugleich sind neue Arbeitsplätze entstanden: bei freigemeinnützigen und privaten Trägern rund 17 Prozent, bei den öffentlichen 29 Prozent.
Die Sorglosigkeit der Befragten hinsichtlich des eigenen Arbeitsplatzes können die Studienautoren nicht ganz nachvollziehen. Sie vermuten Unkenntnis oder Indifferenz dahinter. Denn: „Digitalisierung bedingt Standardisierung, den Zwang, neuen Prozessroutinen zu folgen und ermöglicht Kontrolle und Steuerung. Diese Entwicklungen haben das Potenzial, die Professionalität der Beschäftigten zu unterminieren“, warnt die Studie und entwirft die Vision einer Verwandlung des Krankenhauses hin zu einem „Expertensystem“, in dem es mehr auf statistische Wahrscheinlichkeiten als auf klassisches professionelles Handeln ankommt.
Das Thema Digitalisierung sollte künftig daher dringend unter Einbeziehung und Mitbestimmung der Beschäftigten diskutiert werden: „Ein aktives und gestaltetes Agieren der betroffenen Professionen und Beschäftigtengruppen sowie ihrer Interessenvertreter ist notwendig“, empfehlen die Autoren des IAT.
Christoph Bräutigam / Peter Enste / Michaela Evans / Josef Hilbert u. a., Digitalisierung im Krankenhaus. Mehr Technik – bessere Arbeit?
Institut Arbeit und Technik (IAT) im Auftrag der Hans Böckler-Stiftung,
Study Nr. 364, Düsseldorf, Dezember 2017, 59 Seiten
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Digitalisierung im Krankenhaus. Bundesweite Umfrage unter Mitgliedern des Marburger Bundes, Berlin, Dezember 2017, 20 Seiten
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