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Leonhard Fischer (54), besser bekannt unter dem Spitznamen Lenny Fischer, ist ein „Banker mit Wunderkind-Zertifikat“, wie es das Manager-Magazin ausdrückt. Der Finanzmanager wurde 1987, gleich nach seinem Studium der Betriebswirtschaft, binnen sieben Jahren in die Geschäftsleitung von JP Morgan Chase, eines der größten amerikanischen Finanzunter-nehmen berufen. Mit 36 Jahren wurde Lenny Fischer 1999 jüngster Vorstand einer deutschen Großbank, der Dresdner Bank. Als die Allianz 2001 übernahm, musste er ein Jahr später gehen. Seinen Aufstiegen in den Finanz-Olymp folgten einige Jahre später Abstürze, die nicht unumstritten waren, auch wenn sie seiner Reputation letztendlich kaum geschadet haben. Nach 20 Jahren auf der Vorstandsebene hat Finanzmanager Fischer mittlerweile kein Interesse mehr, als Angestellter für Konzerne zu arbeiten. Jetzt veröffentlicht er sein erstes Buch mit dem vielversprechenden Titel: „Es waren einmal Banker. Warum das moderne Finanzsystem gescheitert ist.“
Zuletzt war Lenny Fischer als „Banker der armen Leute“, wie das Schweizer Onlineportal „finews“ es ausdrückte, in den Schlagzeilen. Gemeinsam mit dem früheren Chefredakteur der „Bild“-Zeitung Kai Diekmann, einem Freund aus der gemeinsamen Schulzeit in Bielefeld, will Lenny Fischer im Frühjahr 2018 einen Zukunftsfonds auflegen. Ziel dieses „Volksfonds“: Binnen einiger Jahre die Summe von 20 Milliarden Euro von Anlegern zu bekommen, die ihre Geld bisher mit wenig Rendite auf dem Sparbuch liegen haben. Kai Diekmann kümmert sich um die Vermarktung, Lenny Fischer ist für Anlagestrategie und Investmentpolitik zuständig, wie beide dem „Manager Magazin“ erklärten. Sie wollen in der Niedrigzinsphase den Kleinanlegern sichere Renditen ohne Risiko bescheren. „Kein Risiko einzugehen ist aber letztendlich auch ein Risiko“, sagt Lenny Fischer im Interview mit unserer Autorin.
„Ich war sehr lange leitender Angestellte, bin dankbar für eine tolle Karriere, möchte aber in den nächsten 20, 30 Jahren lieber unternehmerisch tätig sein“, erzählt Lenny Fischer. „Und das Buch ist als Übergang gedacht.“ Gemeinsam mit dem erfahrenen Wirtschaftsjournalisten Arno Balzer hat der „Stehauf-Banker“, wie ihn das „Handelsblatt“ einmal nannte, über den Aufstieg und vor allem den Niedergang des Finanzkapitalismus und seine Folgen geschrieben. Der international erfolgreiche Finanzmanager analysiert gut nachvollziehbar die politischen und ökonomischen Strömungen und entmystifiziert entlang seiner persönlichen Erfahrungen die großen Finanzkrisen und spektakulären Crashs. „Mir ging es wirklich darum, die Hintergründe auszuleuchten und sie so darzustellen wie ich sie wahrgenommen habe. Ich will die Erkenntnis vermitteln, das etwas groß und strukturell schief gelaufen ist.“
Das Autoren-Duo beginnt mit dem Saturday Night Massacre im Oktober 1979, das mit der Freigabe der amerikanischen Zinsen und einer Talfahrt der Börsen die Finanzwelt radikal veränderte. Schnelle Computerprogramme hielten Einzug, finanzmathematisch geschulte Banker wie der damals blutjunge Lenny Fischer waren gefragt. Fast im Tagesrhythmus entstanden hochriskante Derivate. 1987 kam es zum ersten großen Crash, die amerikanische Zentralbank bewältigte die Krise nach einem ähnlichen Muster wie heutzutage: mit Zinssenkung und Liquiditätsflutung. Bei risikofreudigen Bankern wie Lenny Fischer entstand der trügerische Eindruck: „too big to fail“ – wir sind zu wichtig, um zu scheitern.
„In den 90er Jahre hat es einen Zeitpunkt gegeben, wo es sowas wie einen absoluten Marktglauben gab“, erinnert sich Fischer. „Alles sollte privatisiert werden, inklusive der Gefängnisse, alles nur nicht der Staat. Das Ganze war eingebettet in einen unheimlichen Glauben an die Technologie und an die Möglichkeiten, dank digitaler Technologie und riesiger Datenverarbeitung absolute Wahrheiten zu finden. Das hat sich letztlich als komplett falsch erwiesen.“
In mehreren Kapiteln beschäftigt sich Lenny Fischer schonungslos mit den gefährlichen Entwicklungen, der Ignoranz und dem fehlenden Verantwortungsbewusstsein der von Männern dominierten Branche. Das Finanzsystem investierte Milliarden in leistungsfähige Rechner, um mit ausgeklügelt programmierten Algorithmen immer noch präzisere Risikoprognosen zu erstellen. Die Folge: Der ausufernde Derivatehandel und die Deregulierung, die offenen, globalisierten Märkte und der beinah religiöse Glaube an die Unfehlbarkeit des technikbasierten Risikomanagements ließen einen grenzenlosen und gierigen Raubtierkapitalismus entstehen. Am 15. September 2008 platzte bekanntlich in den USA eine riesige Immobilienblase. Diesmal gab es für Banken wie Lehman Brothers keine Hilfe vom Staat. Die Krise war kein Unfall, so eine der Kernthesen seines Buches, sondern die marktwirtschaftliche Konsequenz zu hoher Schulden, auch Pleite genannt.
Für Fischer war die Finanzkrise 2008 außerdem keine zockende Gier der Banker: „Wenn es Zockerei gewesen wäre, dann wäre es nicht so schief gegangen. So richtig schief geht nur etwas, wenn sie gar nicht merken, dass sie zocken.“ Das eigentlich Peinliche, wie der Ex-Bankmanager es nennt, ist die erstaunliche Erkenntnis: „Selbst wenn alle glauben, die Banker wären gierig gewesen, das war nicht das Problem. Wir sind unseren eigenen Versprechen so auf den Leim gegangen, haben sehr früh mit künstlicher Intelligenz und Algorithmen gearbeitet, uns blind auf die Computer verlassen – und das ist völlig schief gegangen.“
Ehrlich bekennt Lenny Fischer, er habe 2008 den Crash keineswegs kommen sehen. Er sei „aus tiefster Überzeugung“ Teil des Finanzsystems gewesen, habe nächtelang mit den vermeintlich tollen Algorithmen gearbeitet und bereue das auch nicht. „Nach der Krise ist vor der Krise“, bilanziert der Liebhaber schneller Autos heute. Eine der wichtigsten Lektionen seiner spannend zu lesenden Zeitreise durch fast dreißig Jahre des modernen Weltfinanzsystems: Es wäre ein fataler Fehler zu glauben, man kann große Marktteilnehmer pleitegehen lassen, ohne einen Systemkollaps zu riskieren. Für Lenny Fischer ist deshalb „eine komplett neue internationale Geldarchitektur längst überfällig“.
Hinter dem etwas märchenhaft klingenden Titel des populärwissenschaftlichen Buches: „Es waren einmal Banker“ steckt die Botschaft: Die Zeit der Banker mit ihrem Anglizismen-Kauderwelsch und der märchenhaften Renditefolklore ist vorbei. Banken sind heute extrem reguliert – für Lenny Fischers Geschmack etwas zu sehr – und Banker stinknormale Ange-stellte und keine Überflieger mehr. Das Risiko stellen für Fischer heute eher die Zentralbanken und ihre aufgeblähten Bilanzen dar.
Den Preis für die 2008 verhinderte Rettungsaktion zahlen wir alle in Form des gegenwärtigen Nullzins-Umfeldes, schreibt der Ex-Banker. „Deshalb sage ich sehr bewusst und sehr provokativ, es gibt keinen Kapitalmarkt mehr, die Zentralbanken sind der Kapitalmarkt geworden.“ Mit anderen Worten: „Alle Preise für alle Finanzgüter, die sie heute haben, sind manipuliert. Von der Zentralbank. Bewusst. Über den Zins, der auf alles wirkt bis zum Aktienkurs.“ Da sollte sich keiner der Illusion hingeben, es gäbe das freie Spiel von Angebot und Nachfrage noch.
Lenny Fischer ist sich sicher: Der Kapitalismus und die Marktwirtschaft des 20. Jahrhunderts werden die Digitalisierung nicht überleben. Sie verändert unsere Wirtschaft, unser Leben, unser Miteinander in einem Maße, „ohne dass wir bis jetzt auch nur die geringsten Antworten hätten“. Die Digitalisierung wird darüber hinaus auch „das Wesen des Geldes grundsätzlicher verändern, als der Finanzmarktkapitalismus mit all seinen Krisen“. Einer der Hauptgründe: Die Digitalisierung basiert auf der Ökonomie des Plattformgedanken, gemeint sind Monopolisten wie Amazon, Facebook, Google & Co. Deren Geschäftsmodell ist für Lenny Fischer „zutiefst antimarktwirtschaftlich, weil ihr Konzept ist, alle anderen Plattformen an sich zu saugen, um die ultimative Plattform zu sein, an der keiner vorbeikommt“.
„Unser Wirtschaftssystem ist nicht für Monopolisten vorgesehen, die ihre Gewinne in irgend-welche Null-Steuer-Standorte transferieren.“ Hierzulande werde noch das Einkommen der Menschen besteuert, während sich die Wertschöpfung immer mehr technologisiert hat. So werde menschliche Arbeit immer teurer, während die Technologie subventioniert wird. Spannend beschreibt der New-Economy-Experte, welche Gefahren zudem davon ausgehen, dass die USA, Japan und zahlreiche Länder der Eurozone seit Jahrzehnten über ihre Verhältnisse leben. Sollte es in Europa zu einer Transferunion kommen, würde das in finanzstarken Ländern wie Deutschland zu exorbitanten Vermögensverlusten führen.
„Es waren einmal Banker“ analysiert fundiert und umfassend über dreißig Jahre die Geschichte des globalen und nationalen Finanz- und Bankenwesen, inklusive Fehler und Versäumnisse in der Finanzpolitik. Manchmal liest man überrascht, wie kindlich naiv die Banker in den 90er Jahren der digitalen Technik vertraut haben. Am Ende empfiehlt Lenny Fischer in dem Kapitel „Anlegen in Zeiten der Cholera“: „Weniger sparen, sich nicht übermäßig verschulden, in die natürlichen Ressourcen unseres Planeten investieren und in Lebensfreude.“
Leonhard Fischer, Arno Balzer: Warum das moderne Finanzsystem gescheitert ist. ecowin Verlag, Salzburg 2017, 246 Seiten, 24,00 Euro, ISBN: 978-3-7110-0163-4
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