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Keine guten Nachrichten für das Gesundheitswesen: Der Bedarf an Therapeuten ist groß, aber die Lust gering, sich beruflich darauf einzulassen. Im Gegenteil. Unter Physiotherapeuten, Logopäden und Ergotherapeuten grassiert die Aussteigermentalität. Viele von denen, die drin sind, kehren ihrem Beruf den Rücken. Diesen Trend untersucht eine neue Studie der Hochschule Fresenius Idstein unter dem bezeichnenden Titel „Ich bin dann mal weg“. Und fragt: Was sind die Ursachen? Droht uns ein gravierender Fachkräftemangel im Gesundheitswesen?
Rund 1.000 Befragte – ehemalige und aktuell in ihrem Beruf tätige Therapeuten – nahmen an der Erhebung teil. Das Ergebnis: Jeder vierte ist aus seinem Beruf ausgestiegen, fast die Hälfte denkt darüber nach. Nur knapp jeder dritte befragte Therapeut beabsichtigt, in seinem Beruf weiterzuarbeiten. Keine Kleinigkeit angesichts eines prognostizierten Mangels von 100.000 Beschäftigten in den nichtärztlichen Therapie- und Heilberufen im Jahr 2030. Das ist rund ein Viertel der benötigten Fachkräfte, berechnet das Wirtschaftsforschungs-Institut (WifOR).
Vor allem Physiotherapeuten und Logopäden sind gefährdet. Bei den Aussteigern liegen die Berufsgruppen noch nah beieinander: Ergotherapeuten 21 Prozent, Logopäden 24 Prozent und Physiotherapeuten 25 Prozent. Bei denjenigen, die über einen Ausstieg nachdenken, ergeben sich erhebliche Abweichungen: Bei den Ergotherapeuten denken laut Studie 38 Prozent darüber nach, bei den Logopäden und Physiotherapeuten 50 beziehungsweise 51 Prozent.
„Einer der wichtigsten Gründe ist das Gehalt, das mit durchschnittlich 2.000 Euro Brutto/Monat deutlich unter z.B. den Pflegeberufen liegt und sich auch dann nicht erhöht, wenn ein akademischer Berufsabschluss vorliegt“, erklärt Dr. Sabine Hammer, Dekanin des Master-Studiengangs Therapiewissenschaften an der Hochschule Fresenius. Weiterhin nennt sie fehlende Perspektiven, d.h. geringe Aufstiegschancen und eine Fortbildungspflicht, die keine Höherqualifikation oder bessere Bezahlung nach sich zieht. Die Therapeuten beklagen zudem den hohen bürokratischen Aufwand in der Abrechnung mit den Krankenkassen. Sie sind unzufrieden mit den kassenseitig vorgegebenen Therapiezeiten sowie mit der Abhängigkeit von den Ärzten, die entscheiden, ob und wie lange ein Patient behandelt wird.
21 Prozent der Aussteiger gaben an, in einen anderen Beruf gewechselt zu haben, z.B. den des Polizisten, Lehrers, Schreiners und Arztes. 66 Prozent haben sich in ihrem Therapieberuf weiter entwickelt, das heißt, sie arbeiten nun als Lehrende an Fachschulen/Hochschulen für Therapieberufe, in der Forschung oder als Führungskräfte etwa in Reha Zentren. Die restlichen 13 Prozent sind weiterhin als Therapeuten tätig, jedoch nicht mehr im Rahmen des Kassensystems. Sie behandeln ausschließlich Privatpatienten, arbeiten als Heilpraktiker oder im deutschsprachigen Ausland.
Die Diskussion im Rahmen eines Symposiums an der Fresenius-Hochschule arbeitete mehrere Lösungsansätze heraus:
Die Erhebung der Studierenden des Masterstudiengangs Therapiewissenschaften an der Hochschule Fresenius erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität. Sie zeigt jedoch alarmierende Entwicklungen in den Therapieberufen auf. Hier gilt es nicht zuletzt im Hinblick auf den demografischen Wandel und den wachsenden Bedarf an rehabilitativen Leistungen gegenzusteuern.
Die Betroffenen wünschen sich generell mehr Wertschätzung für ihre Arbeit. „Menschen, die noch nicht selbst in einer physiotherapeutischen, logopädischen oder ergotherapeutischen Behandlung waren, können selten einschätzen, was in einer Behandlung passiert, wer überhaupt behandelt wird und welchen Wert die Therapie tatsächlich haben kann“, beklagt Sabine Hammer. „Überdies haben starke Lobbygruppen wie die Pharmabranche wenig Interesse an uns, da wir ja gerade nicht-medikamentös arbeiten.“
Daher plädieren Vertreter der Therapeutenberufe auch für eine stärkere berufspolitische Präsenz. Das Recht, im Gemeinsamen Bundesausschuss angehört zu werden, müsse durch das Stimmrecht ergänzt werden. Schließlich liege es an den Therapeuten, Zweck und Praktikabilität von Heilmittelrichtlinien kompetent zu bewerten.
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