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Politiker in Berlin, die derzeit die politischen Weichen für die nächsten Jahre stellen, sollten ruhig einmal einen Blick auf die jüngsten Umfrageergebnisse aus Allensbach werfen. Rechtzeitig präsentiert das Institut für Demoskopie (IfD) eine Erhebung zu „Bilanz und Erwartungen am Beginn der neuen Legislaturperiode“. Darin kommt die Generation der 30- bis 59-Jährigen zu Wort.* Also jene mehr als 35 Millionen Deutschen, die mitten im Berufsleben stehen, 80 Prozent der steuerpflichtigen Einkünfte erwirtschaften, Kinder aufziehen und den Großteil der Wahlberechtigten stellen.
Die Befragten äußern ihre dringendsten Erwartungen an die Politik. Ein zukunftssicheres, bezahlbares Gesundheitssystem (84 %), Verringerung sozialer Unterschiede (79 %) und eine entschlossene Terrorismusbekämpfung (78 %) führen die Prioritäten an. Es folgen die Senkung der Kriminalität (78 %), Anpassung der Altersvorsorge an die Alterung der Gesellschaft (76 %) und die Verbesserung von Bildungssystem (72 %) und Familienförderung (68 %).
Aus dem Zahlenwerk sticht heraus, dass die Befragten ihre materielle Situation und Lebensqualität überaus positiv einschätzen. Der Anteil derjenigen, die sich über die letzten fünf Jahre hinweg als Wohlstandsverlierer wahrnehmen, ist von 23 auf 17 Prozent gefallen. 34 Prozent beurteilen ihre finanzielle Lage vergleichsweise besser. Vier von fünf Umfrageteilnehmern (79 %) bewerten ihre Lebensqualität als gut oder sehr gut – vier Prozent mehr als 2016.
Die Umfrageteilnehmer haben recht klare Vorstellungen von den Stärken und Schwächen Deutschlands: Breite Zustimmung finden das kulturelle Angebot (83 %), der Lebensstandard, die Meinungs- und Pressefreiheit (jeweils (80 %) und das Gesundheitssystem (79 %).
Zu den Schwächen zählen die soziale Verteilung der Einkommen und Vermögen (77 %), das Pflegesystem und der Umgang mit Pflegebedürftigen (66 %). Außerdem die Art, wie Bürger an politischen Entscheidungen beteiligt werden (64 %). Nicht zufrieden äußern sich die Befragten auch mit der Flüchtlingsintegration (62 %), dem Rentensystem (59 %), der sozialen Chancenverteilung (53 %) und der Absicherung gegen Armut (52 %).
Große Sorgen bereitet den Bürgern die Altersversorgung. Nur 37 Prozent halten ihre eigene Alterssicherung für ausreichend. Trotz optimistischer Einschätzung ihrer finanziellen Lage gibt die Mehrheit der Befragten an (62 %), keinen Vorsorge-Spielraum zu haben. Stattdessen sehen sie Staat und Wirtschaft in der Verantwortung. Demnach sollten alle Berufsgruppen verpflichtet werden, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen, also auch Beamte und Selbständige (71 %). Eine stärkere Förderung der privaten und betrieblichen Altersvorsorge befürworten 58 Prozent der Befragten. Länger zu arbeiten, stößt nur bei wenigen (7 %) auf Zuspruch.
Manche Ergebnisse der Erhebung wirken wenig schlüssig oder sogar diffus. So sind die Befragten in puncto Wohlstand und Lebensqualität hochzufrieden, haben aber wenig Vertrauen in die Wahrnehmung ihrer Interessen durch die Politik (41 %). Weiteres Beispiel: Eine breite Mehrheit (66 %) schätzt die eigene finanzielle Situation gut ein, erwartet aber eine Entlastung bei Steuern und Abgaben. Obendrein wünscht man eine Verringerung der sozialen Kluft in der Gesellschaft.
In den Medien werden die Studienergebnisse recht unterschiedlich interpretiert. „Selten zuvor ging es den 30- bis 59-Jährigen so gut wie heute. Und doch gärt es: Etwa jeder Vierte steht dem Staat negativ gegenüber“, fasst Spiegel Online seinen Bericht zusammen. „Die Welt“ fällt ein härteres Urteil: „Deutschlands ‘Generation Mitte‘ – sorglos und egoistisch“.
Widersprüchliche Aussagen wirken befremdlich, müssen aber nicht falsch oder unbedacht sein. Wahlforscher und Marketingstrategen können ein Lied davon singen. Möglicherweise sind sie Ausdruck einer komplex wahrgenommenen Realität mit unsicheren Zukunftsperspektiven. Tiefere Interpretationshilfen zur Gemütsverfassung der Generation Mitte könnten frühere Umfrageergebnisse geben. So ergab die Allensbach-Befragung 2016 einen signifikanten Zukunftspessimismus angesichts von Flüchtlingskrise und Terrorgefahr. Ein Meinungstrend, der auch dann fortwirken könnte, wenn er nicht ausdrücklich abgefragt wird.
Immerhin wird eines deutlich: Bei der Interpretation von Umfrageergebnissen sollte man sehr genau hinschauen und naheliegenden Schlüssen mit Misstrauen begegnen. Fragile Meinungsbilder können angesichts der abrupten Verwerfungen in unserer schnelllebigen Gegenwart schon morgen ganz anders aussehen.
* Die Studie wurde im Auftrag des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) erstellt. Dabei werden die Erwartungen der 30- bis 59-jährigen Bundesbürger an die Politik, deren Ängste und Zukunftsperspektiven deutlich. Für die repräsentative Untersuchung wurden im August 2017 knapp 1.100 Männer und Frauen im Alter zwischen 30 und 59 Jahren befragt. Der GDV beauftragt das Institut für Demoskopie Allensbach seit 2013, die Bevölkerungsschicht der 30- bis 59-Jährigen einmal jährlich zu befragen.
Generation Mitte 2017 – Bilanz und Erwartungen am Beginn der neuen Legislaturperiode, Berlin, November 2017.
Institut für Demoskopie Allensbach, im Auftrag von Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), 29 Seiten
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