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Wo leben Familien am liebsten – in der Stadt oder auf dem Land? Die Diskussion darüber ist kontrovers: So meldeten FAZ und Die Welt – unter Berufung auf Bevölkerungsforscher und Statistiken – vor drei Jahren, dass es junge Menschen und Familien immer häufiger in die Stadt zieht. Im Sommer 2016 berichtete Der Spiegel dagegen vom zunehmenden Trend zum Landleben. Und das Wirtschaftsmagazin Capital kam im Sommer 2017 zu dem Schluss, dass der Run auf die Großstädte weniger das Ergebnis einer Binnenwanderung sei, sondern vor allem auf den Zuzug aus dem Ausland zurückzuführen sei. Eine Auswertung aktueller Bevölkerungsdaten von 2015 durch die Prognos AG im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) stellt jetzt fest: Die Zahl der Kinder und Familien hat sich in vielen Städten und Metropolen stark erhöht.
Untersucht wurde, wie sich die Zahl der Kinder unter sechs Jahren zwischen 2005 und 2015 entwickelt hat. Hier gibt es kaum eine Veränderung: Nachdem die Zahl deutschlandweit zunächst kontinuierlich abgenommen hatte, gab es seit 2011 wieder einen Trend nach oben. So lebten 2015 insgesamt rund 5,27 Millionen Kinder unter sechs Jahren in Deutschland – fast ebenso viele wie 2005 (5,34 Mio.).
Geändert hat sich jedoch der Lebensraum: Betrachtet man den Anteil der unter-sechsjährigen Kinder an der Bevölkerung je nach Region, hat in den vergangenen zehn Jahren ein deutlicher Wandel stattgefunden. 2005 lagen süd- und westdeutsche Landkreise mit einem Anteil von mehr als 5,7 Prozent noch deutlich vorn.
2015 hat sich das Bild gewandelt: Jetzt sind hohe Bevölkerungsdichten von Kindern unter sechs Jahren vor allem in größeren Städten und deren Umgebung zu finden. Während der Anteil in den Landkreisen um sechs Prozent sank, stieg sie in den kreisfreien Städten um knapp 13 Prozent an. „Diese Ergebnisse stützen die seit Jahren durchaus kontrovers diskutierte These einer Reurbanisierung des Familienlebens“, so die Studienautoren. Städte würden offensichtlich zunehmend zum typischen Wohnort von Familien.
Familien-Boomtowns sind vor allem ostdeutsche Städte – allen voran die sächsische Metropole Leipzig mit einem Zuwachs von fast 50 Prozent bei den Unter-Sechsjährigen, gefolgt von Dresden, Potsdam und Jena mit jeweils mehr als 30 Prozent. Auch westdeutsche Metropolen wie Frankfurt, München oder Düsseldorf verzeichnen Zuwächse zwischen 19 und 25 Prozent.
Worauf sind diese Entwicklungen zurückzuführen? Nicht unbedingt auf die Wanderungsbewegungen von Familien selbst, konstatiert die Studie. Es seien vielmehr die bereits in den Metropolen lebenden „Bildungswanderer“ – junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren, die ein Studium oder eine andere Ausbildung antreten – und „Berufseinstiegswanderer“ (25- bis 30jährige), die auch in der Phase der Familiengründung in der Stadt blieben. „Die hohen Kinder und Geburtenzahlen sind damit in erster Linie auf die hohe Zahl zuvor zugewanderter potenzieller Eltern zurückzuführen“, so die Autoren.
Warum ziehen immer mehr Bildungswanderer und potenzielle Eltern in die Städte – und bleiben auch dort? Drei Faktoren macht die Studie dafür aus:
„Geeignete Arbeitsangebote für beide Elternteile, eine dichte und ausgeprägte Betreuungsinfrastruktur oder kurze Wege zwischen Wohnung, Kita, Schule und Arbeitsstätte sind in urbanen Gebieten sicher häufiger zu finden als im ländlichen Raum“, schreiben die Autoren. Diese Entwicklung werde sich auch in Zukunft fortsetzen.
Allerdings: Die Zunahme von Frauen im reproduktiven Alter im urbanen Raum bedeutet nicht zwangsläufig, dass dort auch die Zahl der Geburten je Frau steigt. Tatsächlich bekommen Frauen in ländlichen Regionen im Schnitt mehr Kinder.
In diesem Kontext ist eine gemeinsame Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und des Statistischen Bundesamtes interessant, die erstmals die endgültige Kinderzahl von Frauen, die heute Mitte bis Ende 40 Jahre alt sind, untersucht hat. Sie zeigt, dass es regional erhebliche Unterschiede gibt:
Was bleibt zu tun? Die Autoren der Prognos-Studie geben folgende Handlungsempfehlungen: Städte müssen ausreichend geeigneten und bezahlbaren Wohnraum für Familien bereitstellen. Die Infrastruktur (Sozial- und Schulplanung) muss kinderfreundlicher werden. Und ländliche Regionen brauchen Konzepte, um auch in Zukunft attraktiv für junge Familien zu bleiben.
Stadtkinder – Städte in Deutschland werden immer mehr zum Lebensraum für Familien:
Eine Auswertung der aktuellen Bevölkerungsdaten für die Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2017, 29 Seiten
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Martin Bujard / Melanie Scheller, Einfluss regionaler Faktoren auf die Kohortenfertilität:
Neue Schätzwerte auf Kreisebene in Deutschland, in: Comparative Population Studies, Seiten 101-136
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