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Malik Verlag, 25,00 Euro, 320 Seiten
Es klingt absurd: Vom Weltall aus überwachen und beobachten Wissenschaftler die Bewegungen von Tausenden Vögeln, Säugetieren und Fischen auf der ganzen Welt. Einer von ihnen ist Prof. Dr. Martin Wikelski, Direktor des Max-Planck-Instituts in Radolfzell und leidenschaftlicher Fan globaler Tierwanderungen. Der Ornithologe hat eigens für das Forschungsprojekt „Icarus“ wildlebende Tiere aus 1.200 Arten mit winzigen Sendern bestücken lassen und so das Internet der Tiere initiiert.
Trendinfo-Autorin Maicke Mackerodt gegenüber hat Martin Wikelski erklärt, wie er mit Icarus zum Schutz bedrohter Arten beitragen, von der Schwarmintelligenz der Tiere lernen und vor Naturkatastrophen warnen will. Davon handelt auch sein neues Buch: „The Internet of Animals“
Libellen mit solarbetriebenem Chip auf dem Hinterleib, Giraffen mit einem winzigen GPS-Sender im Ohr, Störche mit stecknadelgroßem Minirucksack: Es klingt nach einem verrückten Science-Fiction-Film, tatsächlich steckt dahinter das satellitengestützte Forschungsprojekt „Icarus“ von Martin Wikelski. Vom Weltraum aus überwacht der Ornithologe, gemeinsam mit einer globalen Gemeinschaft von Tierbeobachtern, weltweit die Bewegungen von über 22.000 Vögeln, Säugetieren oder Fischen.
Tiere sind ständig in Bewegung. 50 Milliarden Zugvögel fliegen jedes Jahr in ihre Winterquartiere. 1,3 Millionen Weißbartgnus wandern jährlich 3000 Kilometer durch afrikanische Savannen, auf der Suche nach frischem Gras. Und Buckelwale schwimmen zwischen ihren Paarungsgebieten in tropischen und subtropischen Gewässern und ihren Fressgebieten in den polaren Meeren hin und her. „Wir haben jetzt etwa sechs Milliarden GPS-Punkte nur für die Tiere an Land und es kommen jeden Tag ungefähr 20 Millionen Punkte dazu“, sagt Martin Wikelski im Interview mit unserer Autorin.
Seine unbändige Freude das Projekt „Icarus“ ist verständlich. Kaum vorstellbar, dass etwa Amseln in einer Art elastischem String-Tanga winzige Sender tragen, die ihre Positionsdaten an Empfängerstationen am Boden und im All funken. Oder direkt auf die App „Animal Track“, über die sich auf dem Smartphone live und stundengenau Bewegungsmuster verfolgen lassen. Für Martin Wikelski entsteht mit der Tierbeobachtung aus dem All ein einzigartiger Datenschatz. Aktuell beginnen wir gerade erst zu verstehen, an was Tiere wie Amseln massenhaft sterben. „Nur, wenn wir das wissen, können wir wirklich eingreifen. Es ist sehr viel effizienter und naturverträglicher, wenn wir die Tiere selbst fragen. Dann können wir sie schützen.“
„Wir können diese virtuellen Erfahrungen sogar den Leuten mitgeben, indem wir sagen: Wandere doch mal mit dem Polarfuchs von Grönland nach Kanada und beobachte, wie es ihm da geht. Begleite die Schildkröte von den Azoren bis in den Golf von Mexiko.“ Für den Erfinder des Internets für Tiere, wie ihn die Süddeutsche Zeitung nennt, bekommt man auf diesem Weg ein sehr viel besseres Gefühl für die Vielfalt des Lebens: „So können wir mit den Tieren reden, weil wir live und gleichzeitig nachvollziehen können, was ein Elefant, ein Nashorn und die Giraffe machen, wie es dem Schneegeier im Himalaya oder dem Albatros in Galapagos geht. Und das ist großartig.“
„The Internet of Animals“ liefert spannende und einzigartige Einblicke. Martin Wikelski erzählt von seiner wissenschaftlichen Entdeckungsreise, von Anlaufschwierigkeiten und vielen Rückschlägen. Entstanden ist die Idee vor 23 Jahren, als der Ornithologe mitten im Dschungel von Panama ein 40 Meter hohes Gerüst aufbaute, nur um den Fleckenbrust-Waldwächter zu beobachten. Im Grunde sei es viel einfacher, die Tiere direkt vom Weltraum aus zu beobachten, witzelte ein Kollege. Die Idee ließ Martin Wikelski nicht mehr los. Ehemalige Kollegen von der Princeton University in New Jersey hielten es anfangs für „völlig unsinnig und überflüssig“, sich mit Tracking die Schwarmintelligenz von Tieren auf der ganzen Welt nutzbar zu machen. Weil die Nasa nicht einsteigen wollte, verließ der Forscher die Princeton University, für ihn die beste Universität der Welt. Der Ornithologe kehrte 2007 als Direktor des Max-Planck-Instituts in Radolfzell nach Deutschland zurück, wo das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrtforschung (DLR) sein Projekt „Icarus“ zwar unterstützte. Aber der Start war holprig.
Eines der späteren Schlüsselerlebnisse, wie Martin Wikelski es nennt, war in der Mongolei, wo er mit Kollegen Jungfernkraniche mit Mini-Sendern beringte. Die Tiere flogen über die Gobi-Wüste nach Südosten Richtung Peking, machten 150 Kilometer nördlich von Peking Station, und die Forscher dachten: Ach, hier bleiben die im Winter. „Es war faszinierend“, erzählt der Ornithologe, „mitzubekommen, dass die Kraniche eine Woche später in einer Linie durch die Innere Mongolei, durch Tibet, über die Annapurna nach Pakistan bis ans Meer weiterflogen. Unglaublich, wie treffen die solche lebenswichtigen Entscheidungen, wie schaffen sie es, trotz Monsun über das Himalaya-Gebirge zu kommen?“ Die Vögel nutzen offenbar zum Teil sogenannte Televerbindungen, die wir Menschen aus der Meteorologie kennen, schreibt der Autor. Demnach können die atmosphärischen Bedingungen an einem Ort Hinweise darauf geben, wie sich die Bedingungen an einem entfernten Ort entwickeln werden. Die Tiere wissen so, wie 200 Kilometer weiter das Wetter ist. Für Martin Wikelski ist das „unfassbar spannend, weil man dann wirklich versteht, welche Strukturen, welche Möglichkeiten das Leben auf der Erde zusammenhält.“
Nach seinem Biologiestudium arbeitete Martin Wikelski in den Nullerjahren in den USA. Mit einer Antenne auf dem Autodach raste er damals noch kreuz und quer durch den Mittleren Westen der USA besenderten Wanderdrosseln hinterher, nur um ihr Signal nicht zu verlieren: „Wir fuhren die ganze Nacht durch mit den Drosseln auf ihrem Zug, haben über die kleinen Mikrofone zugehört, was die da oben machen. Wir hörten jeden Flügelschlag, wie sie mit anderen Drosseln redeten, wie oft sie nachts in der Luft andere Individuen trafen. Wir wollen den Tieren die Möglichkeit geben, uns zu sagen: Hier geht es mir gut, hier geht es mir schlecht, und da musst du auf mich aufpassen.“
Tiertracking dient nicht nur der Grundlagenforschung. Für Martin Wikelski ist es auch eine Art Frühwarnsystem, denn besenderte Tiere könnten auch helfen, den Klimawandel besser zu erfassen. Seeelefanten etwa liefern als Umweltbojen bereits seit zwei Jahrzehnten Wetterdaten für die nordamerikanische Ozeanüberwachungs-Beobachtungsbehörde NOAA. Das machen die Seeelefanten, indem sie in der Drake-Passage zwischen Argentinien und der Antarktis tauchen und in 1.000 Metern Tiefe den Salzgehalt des Wassers und die Strömungen vermessen, so der Autor. „Da kann man keine Drohnen hinschicken, da fragt man einfach die Tiere ab, die in der Zone sind und dann kann man Vorhersagen machen. In verschiedensten Gelegenheiten können Tiere uns wertvolle Informationen geben, aber das meiste verstehen wir noch gar nicht.“
In den Anfängen verfolgte der Ornithologe eine Libelle noch mit einer Cessna, hatte dafür eigens den Flugschein gemacht. Dank des Senders an ihrem Bauch fand der Autor sie nach 100 Kilometern auf einem Baum wieder. „Noch nie hat jemand bis dahin ein einzelnes Insekt bei seiner Wanderung beobachtet“, sagt der Direktor des Max-Planck-Instituts am Bodensee. Mittlerweile werden die Migrationsmuster von Tieren in aller Welt in kartografische Produkte übersetzt. Impulsgeber sei eigentlich ein Kollege gewesen, der sich nicht vorstellen konnte, dass es möglich sei, Insekten zu telemetrieren. „Zwei Wochen später haben wir die ersten Libellen telemetriert, dann auch Monarchfalter, erst hier auf der Mainau im Schmetterlingshaus, dann in Kansas, in Amerika in der Wildbahn. So konnten wir endlich beobachten, was macht ein einzelnes Insekt?“
Prinzipiell wird mit der Tierbeobachtung aus dem Weltall „eine Demokratisierung der Wissenschaft“ angeboten, sagt Martin Wikelski. „Jeder Bauer im Niger-Delta, ein Conservation Manager in Galapagos oder ein Königsdiener in Bhutan kann sich im Internet über die MoveBank oder auf den Move-Apps Analysen zusammenklicken, um zu beobachten: Wie interagieren etwa meine zehn Schneegeier? Das kriegt man täglich auf sein Handy geschickt und hat damit ein eigenes System geschaffen.“
„The Internet of Animals“ ist die Abenteuerreise eines Forschers und Entdeckers, der mit Hilfe verschiedener Raumfahrtagenturen der Welt die Beobachtung der Tierwanderungen revolutionierte. Enthusiastisch beschreibt Martin Wikelski, wie sich die Vielfalt tierischen Lebens mit weltraumgestützter Technik immer feiner entfaltet. Denn die nächste Ausbaustufe steht in den Startlöchern: Voriges Jahr wurde ein zehn Zentimeter großer „Icarus“ -Satellitenwürfel in Kalifornien ins All geschossen. Noch läuft die Testphase, 2025 wird das „Internet der Tiere“ endgültig an den Start gehen. Wikelski bekommt oft zu hören, „Icarus“, benannt nach der Sagengestalt der griechischen Mythologie, die abstürzte, weil sie der Sonne zu nahekam, das sei kein guter Name für ein Raumfahrtsystem. Diesen Einwand pariert er stets mit derselben Antwort: „Unser Ikarus bewegt sich weit weg von der Sonne. Es ist Zeit, dass dieser Ikarus endlich seine Flügel benutzt und wirklich fliegt.“
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