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Wie tickt die Jugend? Eine besorgte Frage, seitdem es Erwachsene gibt. Mutmaßungen und Analysen sollen regelmäßig ein wenig Licht in die verborgenen Welten jugendlicher Befindlichkeiten bringen. Aktuell erblicken Beobachter eine „Jugend im Dauerkrisenmodus“, etikettieren sie als „Generation Schneeflocke“ oder selbstverliebte „Generation Z“. Nicht nett und meist auch ziemlich angreifbar, was der Nachwuchs da zu hören bekommt. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zur politischen Haltung junger Erwachsener hat hingegen durchaus Erfreuliches herausgefunden – allerdings nicht nur.
Allen Unkenrufen von Politikfrust und Selbstbezogenheit zum Trotz haben junge Menschen in Deutschland ein vergleichsweise hohes Vertrauen in Demokratie und Europäische Union, besagt eine Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. 59 Prozent der 18- bis 30-Jährigen erklärten demnach, der Demokratie zu vertrauen, 62 Prozent der Europäischen Union. Diese Zustimmungswerte übertreffen entsprechende Werte in neun weiteren europäischen Ländern, darunter Frankreich, Italien, Niederlande, Polen und Vereinigtes Königreich. Die Studie basiert auf 516 Teilnehmenden aus Deutschland von 18 bis 30 Jahren sowie 1.732 Befragte von 31 bis 70 Jahren. Die Erhebung fand zwischen Februar und April 2023 statt.
Die Jugendexpertin der Bertelsmann Stiftung, Regina von Görtz, bewertet das grundsätzliche Vertrauen der jungen Deutschen in Demokratie und EU als „gute Nachricht“, vor allem mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen zum Europaparlament im Juni und zu den drei Landtagen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Dieses Vertrauen dürfe nicht verspielt werden: Eine Mahnung, die unbedingt ernst genommen werden muss, da bei der bevorstehenden Europawahl am 9. Juni mit der Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre hierzulande 1,4 Millionen Jugendliche zusätzlich wahlberechtigt sind. Allerdings konstatiert die Studie auch ein merkliches Misstrauen der Befragten: 52 Prozent gaben an, der Bundesregierung nicht zu vertrauen, 45 Prozent misstrauen dem Parlament, 60 Prozent den Medien. Diese wenig schmeichelhaften Werte werden von den jungen europäischen Nachbarn noch übertroffen.
Viele gesellschaftspolitische Themen treiben die junge Generation um. Die Top-5- Sorgenthemen sind die Verletzung von Menschenrechten (51 %) und der Klimawandel (46 %), gefolgt von sexueller Belästigung, Kindesmissbrauch und mentaler Gesundheit. Gerade die mentale Gesundheit beschäftigt junge Menschen mehr als ältere: 41 Prozent machen sich darüber Sorgen, bei den älteren Befragten sind es 26 Prozent. Junge Erwachsene fühlen sich häufig allein, und sie gehen von einer Verschlechterung ihrer mentalen Gesundheit in den kommenden Jahren aus.
Sowohl junge wie ältere Menschen blicken recht pessimistisch in die Zukunft, ergibt die Studie: „Wenn es um ihre Erwartungen geht, wie sich verschiedene Aspekte wie das Klima oder die Einkommensungleichheit verändern werden, erwarten die Menschen viel eher, dass sich die Dinge verschlechtern oder gleichbleiben, als dass sie sich verbessern.“ Generationenübergreifend herrscht auch große Sorge um Wohlstandseinbußen, schwindendes Vertrauen in den Staat und die Zunahme politischer Spannungen. Durchaus alarmierend: Über die Generationen hinweg besteht wenig Vertrauen in die politische Bewältigung künftiger Herausforderungen.
Man muss schon genauer hinschauen, um die einzelnen Befragungswerte zu einem aussagekräftigen Bild zusammenzufügen. Auf den ersten Blick ließe sich feststellen: Eine Jugend, die dem demokratischen System vertraut, hingegen der Regierung und den Medien misstraut oder mindestens skeptisch gegenübersteht, verfügt über eine ganz passable Skepsis. Was soll daran falsch sein?
Zumal diese Haltung durch die Wertschätzung traditioneller Lebensziele unterstrichen wird: Besitz, Karriere, Eigenheim und gutes Aussehen rangieren der Erhebung zufolge weit oben. „Die jungen Erwachsenen streben mehrheitlich nach klassischen Zielen, die wahrscheinlich denen früherer Generationen sehr ähneln“, heißt es.
Bei näherem Hinsehen jedoch ergibt sich ein komplizierteres Stimmungsbild. Die Befragung verweist auch auf eine merkliche Distanz breiter Bevölkerungskreise zum politischen System hierzulande. Besonderes Indiz ist das mangelnde Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der Politik. Das, zusammen mit dem mangelnden Zukunftsoptimismus vor allem der Jüngeren, müsse als „Warnsignal“ ernst genommen werden, konstatieren die Studienautorinnen.
Darüber hinaus gelte es, die positive Einstellung zu Demokratie und Europaidee zu bestärken. Sonst hätten populistische und radikale Kräfte leichtes Spiel. Eine Befürchtung, die nicht von der Hand zu weisen ist. So dürfte die Video-Plattform TikTok bei den Wahlkämpfen in diesem Jahr eine erhebliche Rolle spielen. Für viele Jugendliche ist sie als Informationsquelle längst wichtiger als die traditionellen Medien. Die AfD macht sich das konsequent zunutze und erzielt auf TikTok zehnmal mehr Views als die anderen Parteien.
Was im Sinne von Demokratieförderung konkret getan werden muss, führt die Studie nur vage aus: Sie empfiehlt eine vorausschauende Politik, die gezielt auf die Bedürfnisse und Anliegen junger Menschen eingeht, Antworten also gerade auf die großen Sorgen in puncto Menschenrechtsverletzungen und Klimakrise findet. Zusätzlich sollte sich Politik an den oben genannten klassischen Lebenszielen orientieren.
Wichtig dürfte auch die Etablierung moderner Partizipationsformen sein, um das Vertrauen in politische Prozesse zu stärken – durch digitale Dialogformate und durch die Berücksichtigung jugendbezogener Perspektiven in politischen Entscheidungsprozessen: „Insgesamt erfordert die vorliegende Situation eine proaktive und zukunftsorientierte Herangehensweise seitens der politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger.“
Regina von Görtz / Anja Langness, Jung. Kritisch. Demokratisch. Perspektiven junger Erwachsener auf die Herausforderungen unserer Zeit. Hrsg. Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh 2024, 19 Seiten, Download
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