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Pandemie, Jahrhundertflut, Krieg: seit fast drei Jahren eine Krise nach der nächsten. Für junge Leute ein ganzer Lebensabschnitt im Ausnahmezustand, mit prägenden Eindrücken und Ausblicken. Wie gehen sie damit um, wie blicken sie in die Zukunft, was erwarten sie von der Politik? Eine aktuelle Erhebung der Bertelsmann Stiftung liefert eine aufschlussreiche Momentaufnahme der Befindlichkeit von Kindern und Jugendlichen hierzulande: Auf die Welt um sich herum schauen sie voller Sorge und Angst, in ihre persönliche Zukunft blicken sie mit Zuversicht.
500 repräsentativ ausgewählte Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren nahmen an der Umfrage Anfang Mai 2022 teil und gaben Auskunft, was sie am meisten bewegt: Der mögliche Tod eines nahen Angehörigen (83 % der Befragten), Angst vor einer Ausweitung des Ukraine-Krieges auf Deutschland (82 %) und die Folgen des Klimawandels (80 %) – das sind die Hauptthemen, die der jungen Generation „sehr“ oder „etwas“ Sorgen bereiten.
Ein Versagen in Schule, Studium oder Arbeit (78 %), Corona-Pandemie (69 %) und Armut (68 %) rangieren auf der Sorgen-Skala weiter unten. Zugleich nehmen viele junge Menschen die großen Probleme wahr, vor denen das Land steht. Mehr als ein Drittel (37 %) geht für die kommenden drei Jahre von einer Verschlechterung der Situation aus, die Mehrheit (60 %) befürchtet Wohlstandsverluste und nur eine kleine Minderheit (16 %) glaubt an eine Verbesserung der Gesamtsituation.
Anders die Vorstellungen zur persönlichen Zukunft. Hier herrscht eine auffallend optimistische Erwartung. „Kaum ein Jugendlicher ist wirklich unzufrieden mit seinem Leben“, heißt es in der Expertise – genau genommen nur fünf Prozent. Hingegen „sehr zufrieden“ sind 47 Prozent, „neutral“ äußern sich 40 Prozent. Nach konkreten Wünschen befragt, sind den Kindern und Jugendlichen vor allem ihre persönliche Freiheit (94 %), ein hoher Verdienst (90 %), Karriere (79 %) und Reisen (83 %) sehr oder eher wichtig. „Besonders erstaunlich“ finden es die Autor*innen vor dem Hintergrund der vielen Krisen, dass zwei von fünf Jugendlichen (43 %) glauben, dass ihr Leben in drei Jahren besser sein wird als derzeit.
Der persönliche Optimismus umfasst auch das künftige Erwerbsleben. Zwei Drittel der Umfrageteilnehmer*innen (66 %) sehen sich bei der Berufs- und Studienwahl gut unterstützt, indes geschieht das im persönlichen Umfeld. Viele beurteilen ihre beruflichen Perspektiven zuversichtlich (59 %) und können sich eine selbstständige Erwerbstätigkeit und sogar eine Unternehmensgründung vorstellen (42 %).
Allerdings gehen die Beurteilungen der Qualifizierung durch die Schule weit auseinander: 55 Prozent fühlt sich nicht angemessen auf den Beruf vorbereitet. „Insgesamt benötigen ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen deutlich mehr Unterstützung. Dies gilt vor allem für Kinder und Jugendliche mit einem niedrigen Bildungsniveau (28 %). Niederschwellige Angebote müssen gefördert werden, um berufliche Potentiale besser auszuschöpfen“, gibt die Studie zu bedenken.
Mit dieser eher moderaten Empfehlung der Bertelsmann-Studie will es der bislang unveröffentlichte Ergebnisbericht zum Langzeit-Survey des Deutschen Jugendinstituts (DJI) nicht bewenden lassen. Die aktuelle Ausgabe des Forschungsmagazins „DJI Impulse“ präsentiert unter dem Titel „Der lange Weg aus der Pandemie“ einen aufrüttelnden Befund zu den sozialen Chancen eines beträchtlichen Teils junger Menschen. Demnach hat die Pandemie bereits zuvor bestehende soziale Ungleichheiten verstärkt, ja geradezu eine „Bruchlinie“ in der jungen Generation gezogen. „Während die große Mehrheit der 12- bis 25-Jährigen die Folgen der Pandemie gut bewältigt, sorgt sich etwa ein Drittel, beruflich und wirtschaftlich ausgegrenzt zu werden“, schreibt das Autoren-Duo Klaus Hurrelmann und Dieter Dohmen. Wenn in Kitas und Schulen jetzt nicht sofort ein Förderprogramm anlaufe, das sich nicht nur auf ein fachliches Nachholen beschränke, sondern alle Entwicklungsbereiche umfasse, würden diese jungen Menchen zur dauerhaft benachteiligten „Generation Corona“.
Zurück zur Bertelsmann-Expertise: Sie beschreibt die junge Generation in einem gesellschaftspolitischem Schwebezustand gefangen. Eine Mehrheit (69 %) möchte einen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten, ist gewillt, Verantwortung zu übernehmen (80 %) und eine Familie zu gründen (63 %). Mehr als die Hälfte (63 %) fühlt sich jedoch von den Politiker*innen nicht wertgeschätzt und vermisst einen respektvollen Umgang in der Gesellschaft. Hier schält sich ein Manko der Umfrage heraus: Was nach Ansicht der jungen Leute besser gestaltet werden sollte, bleibt vage, wo sie sich selbst einbringen wollen, wird nicht abgefragt. Klar ist nur, dass Politik für sie kaum eine Rolle spielt. Für knapp 18 Prozent ist es wichtig, Politik aktiv zu gestalten, für Jungen (22 %) mehr als für Mädchen (14 %). Für mehr als zwei Drittel der Jugendlichen (72 %) ist aktive Beteiligung in einer Partei unwichtig, sich regelmäßig über das politische Geschehen zu informieren, steht nicht sonderlich hoch im Kurs (31 %).
Die vorliegende Umfrage leuchtet ein überaus kontrastreiches Lebensgefühl unter Jugendlichen aus. Das ist nichts Besonderes in der Altersgruppe, wichtig ist die konkrete Befindlichkeit. Demnach konkurrieren Sorgen und Ängste rund um Ukraine-Krieg und Klimawandel mit einem persönlichen Grundoptimismus, geht das Gefühl mangelnder politischer Teilhabe mit dem Wunsch nach mehr Verantwortung einher. Dringend aufgegriffen werden sollten die Empfehlungen der Wissenschaftler zum Ausgleich der pandemiebedingten Bildungsbenachteiligung von Kindern und Jugendlichen, bevor sich diese in der Biografie verfestigt.
Was bewegt die Jugend in Deutschland? Einstellungen und Sorgen der jungen Generation Deutschlands, Befragung im Auftrag des Liz Mohn Centers der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2022, 11 Seiten
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Forschungsmagazin DJI Impulse: Der lange Weg aus der Pandemie: Wie sich die Coronakrise auf Jugendliche auswirkt und welche Unterstützung sie benötigen. Heft 2/2022, Deutsches Jugendinstitut, München, Seiten 22-25
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